Weckrufe und Machtworte

Die Parteien der großen Koalition rüsten sich für den nächsten Wahlkampf

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Der SPD-Vorsitzende Kurt Beck hat am Montag via ARD seiner Partei die Leviten gelesen. Er will dort "einige Leute in der dritten und vierten Reihe, die hinter Büschen sitzen und mehr oder weniger Intelligentes erzählen – auf jeden Fall Unverantwortliches", ausgemacht haben. Er persönlich könne das ja noch "sehr gut ab". Aber er werde nicht zulassen, so verkündete der SPD-Chef drohend, "dass die Aufbauarbeit, die wir geleistet haben, die Früchte trägt, immer wieder gestört wird durch solche Zwischenrufe von hinten, zu denen man nicht steht". Mit diesen kryptischen Andeutungen hat Beck in aller Öffentlichkeit deutlich gemacht, dass es in der SPD einen Machtkampf gibt und dass er selber keineswegs schon der ungekrönte Kanzlerkandidat ist.

Wenn auch erwartungsgemäß nach Becks Schelte scheinbar alle geschlossen hinter ihrem Vorsitzenden stehen, Solidaritätsadressen kamen sowohl von der Parteilinken Andrea Nahles wie von den rechten Antipoden vom Seeheimer Kreis, wird doch schnell deutlich, dass die parteiinterne Auseinandersetzung damit noch lange nicht beendet ist. Denn es sind eben nicht irgendwelche Heckenschützen aus der dritten Reihe, die Beck kritisierten. Angesprochen haben dürften sich Vizekanzler Müntefering ebenso wie der gelegentlich schon als Alternative zu Beck genannte Außenminister Frank Steinmeier.

Ein Weckruf mit Folgen

Der hatte mit Finanzminister Peer Steinbrück und Becks Vorgänger Matthias Platzeck ein Buch unter dem programmatischen Titel Auf der Höhe der Zeit geschrieben, das als Weckruf und Ideenfundament für eine neue SPD angepriesen wurde. Weiter so wie unter Schröder, heißt kurz gefasst die Devise des Trios. Besonders die Verteidigung der auch parteiintern kritisierten Agenda 2010, die der rotgrünen Koalition letztlich die Macht kostete, haben sich die Autoren zur Herzensangelegenheit gemacht. Dabei geht es nicht nur um die Deutung der Vergangenheit, sondern auch um den Weg einer SPD, der mit der Linkspartei ein ernsthafter Konkurrent erwachsen ist. Ob sich hier zukünftige Kanzlerkandidaten in Stellung bringen wollen? Kurt Beck durfte auf jeden Fall nicht mitschreiben, hieß es in der Süddeutschen Zeitung ahnungsvoll.

Mitautor Steinbrück sprach von einem „gemeinsamen Aufruf gegen das gute Gewissen von solchen Sozialdemokraten, die heute immer noch behaupten, die Partei hätte besser die Finger von Gerhard Schröders Reform-Agenda 2010 lassen sollen“. Die bekennenden Schröderianer bekamen aber schnell heftigen Gegenwind zu spüren. Parteienforscher Franz Walter bezeichnete das Duo als Geschichtsklitterer.

Schlagabtausch

Der sozialdemokratische Bundesfinanzminister Peer Steinbrück und Mitverfasser des Buches legte nach und forderte seine Partei auf, mit Kritik, Klagen und Schmollen aufzuhören. "Die Vorstellung aus Sicht der SPD, sie würde Eindruck machen bei den Wählern durch ein Herumkritteln an der Kanzlerin, ist ein Irrtum."

Für den linken Parteiflügel konterte Juso-Chef Björn Böhning: „Nein, ich kenne nur einen stellvertretenden Parteivorsitzenden, der Parteimitglieder als Heulsusen bezeichnet hat. Auf dem Parteitag in Hamburg wird Peer Steinbrück das vertreten müssen.“ Platzeck, Steinmeier und Steinbrück sind für Böhning „drei Herren.., die jetzt wieder alte Gräben aufreißen“. Der Schlagabtausch in der SPD-nahen Frankfurter Rundschau zeigte deutlich, wie tief die Gräben in der SPD sind. Die Protagonisten der unterschiedlichen Flügel nahmen Beck bei ihren Auseinandersetzungen gar nicht wahr. In dem Buch steht keine Zeile über ihn.

Mit seinem Machtwort hofft er zu zeigen, wer in der Partei einstweilen das Sagen hat Das könnte ihn aus zwei Gründen gelingen.. Viele Sozialdemokraten geben die nächsten Wahlen schon verloren. Die Bereitschaft, Verantwortung für eine Niederlage zu übernehmen, ist bei den ambitionierten Genossen, die für sich noch eine Zukunft sehen, daher gering und so könnte die ungeliebte Aufgabe an Beck hängen bleiben.

Außerdem gibt es zu Beck keine wirkliche Alternative. Gerade Steinmeier, der häufig genannt wird, hat sich als Mitautor des Buches eindeutig als Mann des rechten Flügels positioniert und ist für die Kritiker daher nicht akzeptabel. Das könnte einen Mann wie Beck einstweilen den Posten sichern.

Merkel alternativlos

Auch in der Union ist Bundeskanzlerin Merkel zur Zeit ohne Gegenkandidaten. Das wurde auf einem Unionskongress zum neuen Grundsatzprogramm in Hanau deutlich. Die innerparteilichen Merkelgegner wagen sich zur Zeit nicht aus der Deckung. Das wird sich bis zur nächsten Bundestagswahl nicht ändern. Neben dem Klimawandel sprach Merkel auch die innere und äußere Sicherheit an, die für Merkel nicht mehr zu trennen sind. Sie sprach sich für eine schnelle Legalisierung der Online-Durchsuchung aus und erteilte sozialdemokratischen Bestrebungen einer schnellen Abschaltung alter AKWs eine deutliche Absage.

Diese Positionen sind von Merkel alle bekannt, nur hat sie in der letzten Zeit, in der sie sich vor allem als Moderation im Kanzleramt verstand, von ihren Parteifreunden vertreten lassen. Das ändert sich im beginnenden Vorwahlkampf Der konservative Parteiflügel warnte gemeinsam mit der CSU davor, dass sich die Partei zu beliebig in der Mitte verankere. Die Partei müsse auch für die offen sein, die stolze Deutsche sind, betonte Kurt Beckstein. Der designierte bayerische Ministerpräsident setzt vielleicht gelegentlich andere Akzente als Merkel, aber im Wesentlichen handelt es sich um eine parteiinterne Arbeitsteilung, mit der die Union bisher gut gelebt .hat. Solange sie keine großen Wahlniederlagen erlebt, dürfte das so weitergehen. Erst dann hätte Merkel ein Problem und viele potentielle Nachfolger.