Liquiditätskrise hält an

Noch hat die Liquiditätszufuhr der Notenbanken die Interbanken-Kreditkrise nicht beigelegt. Es dürfte aber nur noch eine Frage der Zeit sein, bis die Fed eine erlösende Zinssenkung vornehmen wird

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Die Liquiditätskrise, die den Interbankenmarkt seit sechs Wochen erschüttert, gibt nach wie vor Rätsel auf. So stellt sich die Frage, ob dadurch auch die Realwirtschaft bald von Kreditrestriktionen und höheren Zinsen betroffen sein wird, was bisher jedoch noch nicht der Fall zu sein scheint. Nicht weniger wichtig für die Finanzmärkte dürfte aber sein, ob das Misstrauen, dass sich die Banken derzeit gegenseitig entgegenbringen, tatsächlich berechtigt ist und es also wirklich eine der internationalen Großbanken existentiell erwischt hat. Klar ist hingegen, dass die bisherigen quantitativen Hilfen der Notenbanken die Krise noch nicht beigelegt haben. Vermutlich wird sich die US-Notenbank daher zu einer Zinssenkung durchringen müssen.

Durchaus beunruhigend ist jedenfalls, dass die Banken sich nach wie vor nicht dazu aufraffen können, sich gegenseitig Kredite einzuräumen. Das zeigt unter anderem die so genannte „Ted-Spread“, die die Zinsdifferenz zwischen 3-monatigen US-Schatzscheinen und dem unbesicherten 3-Monats-Satz am Interbankenmarkt (LIBOR) angibt. So war der Dollar-TED-Spread am 20. August, dem Höhepunkt des „Credit Crunch“, auf 240 Basispunkte (100 BP. = 1 Prozent) gesprungen, den höchsten Stand seit dem Börsencrash von 1987. Obwohl die Notenbank daraufhin riesige Mengen an Geld in den Markt gepumpt haben, liegt der Satz, der sich in ruhigen Zeiten in der Gegend von 25 BP bewegt, noch immer bei über 170 BP.

Die Vertrauenskrise macht dabei selbst vor riesigen internationalen Instituten wie der britischen Barclays Bank nicht halt, die sich laut dem Economist am 29. August im Rahmen einer Notfall-Fazilität 1,6 Milliarden Pfund von der Bank of England leihen musste. Dies zwar nur für einen Tag und nach Barclays-Angaben aufgrund von technischen Problemen, zusammen mit der drei Tage später erhobenen Forderung von Barclays-Präsident Bob Diamond, die Notenbanken sollten noch mehr Geld zur Verfügung stellen, führte das aber doch zu einem weiteren heftigen Kurseinbruch der Barclays-Aktie. Die Bank of England (BoE) zeigte sich hingegen konsterniert und meinte nur, nicht dafür da zu sein, die Finanzmärkte heraus zu hauen, nur weil diese aus Gewinnsucht zu hohe Risiken eingegangen wären.

Relativ klar ist indes, worauf sich – siehe IKB, der die Regierung helfen musste – dieses Misstrauen stützt, nämlich vor allem auf die Vorkommnisse um außerbilanzielle Investmentgesellschaften, die sich in den letzten Jahren fast jede europäische und nordamerikanische Großbanken zugelegt hat. Diese 1998 von BayernLB and WestLB eingeführten und als „Conduits“ (engl.: Leitungsrohr/Durchleitung) bezeichneten Investmentvehikel waren offenbar lange Zeit höchst profitabel, obwohl ihre Geschäftsmodelle zumeist auf einer simplen Fristentransformation beruhten. Dabei wurden auf der Aktivseite langfristige Anleihen mit gutem Rating aber hohen Zinsen gezeichnet und auf der Passivseite niedrig verzinste, kurzfristige Papiere (asset-backed commercial-paper - ABCP) mit zumeist sechs Monaten Laufzeit emittiert, die mit den Assets des Conduit unterlegt sind. Laut Citigroup war im März 2007 ein Volumen von rund 1,2 Billionen USD an ABCPs ausständig, davon allein rund 500 Mrd. USD von europäischen Conduits. Die beträchtliche Zinsdifferenz brachte hohe Gewinne. Da dafür keine teure Eigenkapitalunterlegung erforderlich war, konnten die Banken diese Gewinne anscheinend beliebig ausdehnen, indem sie ihre Conduits einfach immer höhere Kredite („Leverege“) aufnahmen ließen, um weitere Anleihen zu zeichnen, was mittels „structured investment vehicles" (SIVs) genannten Gesellschaften erfolgte.

Möglich wurde dies, weil sich an den Finanzmärkten in den letzten Jahren Innovationen breit gemacht hatten, deren Eigenheit es war, trotz hohem „Investment Grade“-Rating deutlich höhere Zinsen zu bieten als die üblichen erstklassigen Schuldtitel. Dabei wurde eine große Zahl von an sich schlechten und dafür hoch verzinsten Krediten (etwa die nun so berüchtigten „Subprime-Loans“ oder die vermutlich bald ebenso anrüchigen „Buy-out-Loans“ für kreditfinanzierte Übernehmensübernahmen) zusammengefasst und die daraus resultierenden Zahlungsströme einzelnen Risikoklassen zugeordnet. Dabei tragen die am höchsten verzinsten niedrigen Tranchen die Ausfallrisiken, während die höheren Tranchen erst dann herangezogen werden, wenn das „Kapital“ der niedrigen Tranchen aufgebraucht ist. Geschützt durch diese Risikoträger vergaben Ratingagenturen wie Standard & Poors und Moodies’, die einerseits oft auch in das Design der Anleihen eingebunden waren und zudem dafür hohe Gebühren kassiert hatten, Bestnoten für die höheren Tranchen, so dass die Risiken, die diese Conduits bei ihren Investments eingingen, sowohl von den Mutterbanken als auch von den Zeichnern der damit unterlegten „Commercial Papers“ als höchst überschaubar angesehen wurden.

Da diese Papiere an den Märkten zumeist nicht laufend gehandelt werden, gibt es keine Marktpreise, und als diesen von den Ratingagenturen nun auch noch die Top-Ratings entzogen wurden, kam die Maschinerie ins Stocken. Denn dadurch wurden sie nicht mehr als ABCP-Sicherheit akzeptiert, so dass die übliche Refinanzierung der Conduits und SIVs unmöglich wurde. Jetzt werden die Mutterbanken (bzw. andere Finanzhäuser, die dies gegen Gebühr zugesagt hatten) für die kurzfristige Refinanzierung der langfristigen Anlagen beansprucht, die ihren Investmentvehikel für diesen Fall zumeist umfangreiche Kreditlinien eingeräumt hatten.

Angesichts der fehlenden Marktpreise und der nunmehr offenbar als obsolet zu betrachtenden mathematischen Bewertungsmodelle (Doppelte Niederlage für Wall Street-Mathematik) für diese Bonds ist es den Banken nun offenbar unmöglich, auch nur die eigenen Risiken einzuschätzen, ganz zu schweigen von jenen, denen ihre Branchenkollegen ausgesetzt sein könnten. Dementsprechend horten die Banken lieber Geld und verzichten darauf, ihre Überschussliquidität an andere Banken auszuleihen. Dabei haben sich zwar für die ganz kurzen Fristen die Zinsen nun wieder etwas beruhigt, wie der TED-Spread aber zeigt, herrscht aber offenbar höchste Unsicherheit für Zeiträume von drei Monaten.

„Moral Hazard“-Problem

Warum die eigentlich auf eng eingrenzbare Sektoren konzentrierten Kreditprobleme zu so allgemeinen Marktturbulenzen geführt haben, ist hingegen weniger unklar. So sind kurz vor dem Ausbruch der jüngsten Finanzmarktkrise zwei akademische Papers erschienen, die die aktuellen Ereignisse recht treffend vorweggenommen haben.

Die Ökonomen Markus K. Brunnermeier (Princeton) und Lasse Heje Peterson (New York University) zeigen in einem aktuellen Paper beispielsweise modellhaft, wie die Markt-Liquidität von der Fähigkeit der Dealer, Hedge Fonds und Investmentbanken abhängt, ihre Positionen zu finanzieren. Denn wenn ein Trader ein Wertpapier kauft, kann er dieses als Sicherheit für den Kredit verwenden, mit dem er den Kaufpreis finanziert. Das in der Regel aber nicht zu 100 Prozent, wobei die Differenz auf den Kaufpreis als „Margin“ bezeichnet wird, die er mit eigenem Kapital unterlegen muss. Je unsicherer oder schwerer zu bewerten eine solches Investment ist, um so höher ist die Margin-Erfordernis. Somit ist klar, dass mit steigender Unsicherheit die Liquidität in den Märkten zurückgehen und die Volatilität steigen muss, insbesondere wenn auch diejenigen, die die Position finanzieren - also zumeist die großen Brokerhäuser – selbst Finanzierungsschwierigkeiten haben. Laut Brunnermeier/Peterson kann (bzw. muss) die Maktliquidität in unsicheren Zeiten demnach systembedingt plötzlich austrocknen, dies quer über viele ansonsten unkorreliert Wertpapiere, und zwar abhängig von der Volatilität und verbunden mit einer Flucht hin zu Qualität (Staatsanleihen) bzw. Liquidität (Geld).

Einer „Flucht in die Qualität“, die von einer unberechenbaren so genannten „Knightian“ Unsicherheit ausgeht, haben sich kurz vor dem Ausbruch der jüngsten Finanzmarktkrise auch die MIT-Ökonomen Ricardo J. Caballero und Arvind Khrishnamurthy gewidmet. Wie gerade tatsächlich geschehen, horten die Banken im Modell dann Geld; und die einzige Lösung, die die Ökonomen für diesen Fall aufzeigen, scheint ebenfalls bereits im Laufen zu sein: Die Notenbanken müssen die Märkte so lange mit Zentralbankgeld überfluten, bis die Marktteilnehmer überzeugt sind, selbst im schlimmsten Fall nicht im Stich gelassen zu werden. Caballero/Khrishnamurthy sehen andernfalls schwere Probleme auch auf die Realwirtschaft zukommen. Sie warnen allerdings auch, dass die Finanzmärkte durch den rettenden Einsatz der Notenbanken darin bestärkt werden, in Zukunft nur noch größere Risiken einzugehen.

Mit diesem „Moral Hazard“-Problem scheinen die US-Fed, BoE und EZB derzeit noch zu ringen. Zumindest der Fed ist allerdings zuzutrauen, dem Leiden der Märkte bald ein Ende zu setzen. Chairman Ben S. Bernanke ließ daran zuletzt am 31. August eigentlich keinen Zweifel, als er meinte, alles zu unternehmen, um die Realwirtschaft vor den Turbulenzen an den Finanzmärkten zu schützen. Und wenn der im entscheidenden Board stimmberechtigte Gouverneur William Poole, der bisher stets gegen Zinssenkungen aufgetreten ist und als ernsthafter Inflationsbekämpfer gilt, davon spricht, dass den USA eine Rezession drohe, muss das wohl als deutliche Ankündigung einer baldigen Zinssenkung gewertet werden.