Nicht in meinem Namen

Eine große Mehrheit der Bundesbürger ist für einen Abzug deutscher Truppen aus Afghanistan, doch sie geht deswegen nicht auf die Straße

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Unter dem Motto Bundeswehr raus aus Afghanistan rufen Gruppen der Friedensbewegung am kommenden Samstag zu einer bundesweiten Demonstration nach Berlin. Ein Sonderzug aus dem Ruhrgebiet und zahlreiche Busse aus der ganzen Republik seien geordert, meinte Mitorganisator Reiner Braun auf einer Pressekonferenz am Dienstag in Berlin. Auf konkrete Prognosen über Teilnehmerzahlen wollten sich allerdings weder er noch seine Mitstreiter festlegen lassen.

Der Sprecher des bundesweiten Friedensratschlages, Peter Strutyniski, gab sich selbstbewusst: „Wir vertreten nicht nur die 170 Organisationen, die zur Demo aufrufen, sondern auch die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland, die gegen den Einsatz deutscher Truppen in Afghanistan ist." Doch zumindest ein Großteil der grünen Einsatzgegner wird an diesen Tag in Göttingen sein, wo die Partei auf einem Sonderparteitag über ihre Haltung zum Afghanistaneinsatz debattieren wird.

Doch sind nicht die einzigen, die in Berlin am Samstag nicht auf der Straße sein werden. Dass eine Mehrheit der Bundesbürger den Einsatz in Afghanistan-Einsatz kritisch gegenüber steht, hat sich nämlich längst auch bei allen politischen Parteien niedergeschlagen. Am einfachsten hat es die Linkspartei, die sich wahrscheinlich geschlossen gegen jeden der drei Einsätze in Afghanistan aussprechen wird. Das Repertoire ihrer Argumente ist breit. So formuliert die Slogans der Friedensbewegung, dass Kriege keine Lösung sind, in verschiedenen Variationen. Allerdings will sie auch konservativen Gegnern des Afghanistan-Einsatzes entgegen kommen, wenn sie daran erinnert, dass Deutschland erst durch ihr Engagement im Rahmen der Nato ins Visier von Islamisten geraten ist. Das liest man auch in den verschiedenen Publikationen von Gruppen rechts von der Union.

Deutsch-afghanische Beziehungen

Von den Republikanern über die DVU bis zu den verschiedenen Freien Kameradschaften wird davor gewarnt, für den Nato-Einsatz die guten Beziehungen zu Afghanistan aufs Spiel zu setzen. Hintergrund dieser Propaganda sind die wenig bekannten afghanisch-deutschen Beziehungen, vor allem in den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts. So gab es damals schon deutsche Sondereinsatzkommandos in Afghanistan. Einige NS-Theoretiker begründeten die afghanisch-deutsche Zusammenarbeit mit dem Konstrukt einer gemeinsamen Sprachgemeinschaft. Der Hauptgrund war aber geostrategischer Natur. Man wollte den Briten in ihren Kolonialgebieten Probleme bereiten und suchte unter den Gegnern der britischen Kolonialpolitik in Indien nach Bündnispartnern. Ein Mitglied des deutschen Sondereinsatzkommandos starb in Afghanistan eines natürlichen Todes. Sein Grab in Kabul wird von den zur Zeit in Afghanistan stationierten Soldaten gepflegt.

Auf diese deutsch-afghanischen Kontakte beziehen sich die verschiedenen rechten Gruppen. Sie lehnen den Einsatz unter Nato-Oberbefehl auch mit dem Argument ab, dass dadurch die alten Beziehungen gefährdet werden. Von der Friedensbewegung werden bis auf Ausnahmen diese alten Kontakte genau so wenig thematisiert und problematisiert, wie von den Befürwortern der unterschiedlichen Einsätze.

Die Grünen streiten sich wieder einmal darum, ob und wie viel Militär sie akzeptieren müssen, um humanitäre Einsätze abzusichern. Bis zum Sonderparteitag am Sonntag könnte es da noch interessante innerparteiliche Konstellationen geben. So gehört die langjährige Realpolitikerin Antje Vollmer jetzt zu den Gegnern jedes Einsatzes.

Kein Plan B

Ein Schwachpunkt in der Argumentation der Befürworter eines raschen Truppenabzugs aus Afghanistan wurde auf der Pressekonferenz deutlich. Auf Nachfragen über eine mögliche Entwicklung Afghanistans nach einem Abzug sämtlicher ausländischer Truppen blieb man vage. „Wenn mit den Truppen auch alle Drogen- und Waffenhändler das Land verlassen würden, könnte es Frieden geben", ist sich Sabour Zamani, der Leiter des Afghanischen Kommunikations- und Kulturzentrums in Berlin, sicher.

Strutyniski versuchte seine Ratlosigkeit bei der Frage nach den Perspektiven gar nicht erst zu verdecken. „Wir haben keinen Plan B, weil wir nicht für den Plan A, die Entsendung der Truppen, verantwortlich sind", wehrte Strutynski Nachfragen nach alternativen Entwicklungsmodellen für Afghanistan ab. Doch als sähe er dieses glaubwürdige Bekunden, eben nicht alle Probleme dieser Welt lösen zu können, als Makel, erging sich Strutynski in Bemerkungen über „den stolzen Afghanen, der sich historisch schon gegen viele Besetzungen erfolgreich zur Wehr gesetzt habe.

Konkreter war die auf der Pressekonferenz nicht anwesende afghanische Abgeordnete Malalai Dschoja, deren Rede Jutta Kausch vom Berliner Demobündnis zitierte. Die nicht nur von den Taliban, sondern auch von mit der Regierung Karsai verbündeten Islamisten bedrohte Parlamentsabgeordnete rief dazu auf, statt Soldaten zu entsenden, Gruppen und Einzelpersonen in Afghanistan zu unterstützen, die für Frauenbefreiung und Gerechtigkeit kämpfen. Diese Position unterstützt auch ein internationales Frauenbündnis, in dem Aktivistinnen aus Afghanistan, dem Iran, Deutschland und den USA vertreten sind.

Auf der Abschlusskundgebung der Demonstration wird die US-Bürgerin Kelly Campbell für das Frauenbündnis sprechen. Sie hatte Angehörige beim Anschlag auf das Pentagon am 11.9.2001 verloren und ist Mitbegründerin einer Initiative, die sich dagegen wandte, als Antwort andere Länder zu bombardieren.

Neue Diskussion im nächsten Jahr

Die Demoorganisationen geben sich bei ihren Zielen bescheiden. Rainer Braun von IALANA würde es schon als einen Erfolg ansehen, wenn bei der Abstimmung im Bundestag die Zahl der Einsatzgegner höher als bei der letzten Entscheidung wäre. Das könnte realistisch sein. Es spricht tatsächlich einiges dafür, dass das Thema Afghanistan im nächsten Jahr einen höheren Stellenwert bekommen wird.

Wenn die mit schlechten Umfrageergebnissen geschlagene SPD ein Jahr vor den nächsten Bundestagswahlen erkennt, dass das Afghanistan-Engagement unpopulär ist und dass es sich wahltaktisch auszahlt, dazu auf Distanz zu gehen, könnten die Argumente der Einsatzgegner mehr Gehör finden. Schließlich hat Ex-Kanzler Gerhard Schröder, der mit dieser Taktik 2002 noch einmal eine Wahl gewonnen hat, schon einmal erklärt, dass er mittlerweile dem Engagement in Afghanistan sehr skeptisch gegenübersteht. Er soll auf dem entscheidenden Parteitag der SPD im November eine Rede halten.