Der gläserne Terrorverdächtige

Ein Künstler unter Terrorverdacht veröffentlicht sein ganzes Leben im Internet

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Die Welt hat sich nach dem 11. September 2001 verändert. Für das Versprechen von mehr Sicherheit ist die Mehrheit der Bevölkerung in den westlichen Staaten bereit, bürgerliche Freiheiten zu opfern, um sich zunehmend überwachen und kontrollieren zu lassen.

Und wer unter Terrorverdacht fällt, für den wird es gefährlich, denn speziell die USA halten sich nicht mehr mit Gerichtverfahren auf, sondern bringen „feindliche Kämpfer“ im Zweifelsfall nach Guantanamo oder verschleppen sie in Länder, wo die Folter an der Tagesordnung ist. Der Kunstprofessor Hasan M. Elahi geriet unter Verdacht – und macht sich seither im Internet selbst zum gläsernen Bürger.

Auf http://trackingtransience.net veröffentlicht Hasan Elahi ständig, wo er ist, was er tut und unter anderem auch, welche Toiletten er benutzt.

Nach seinen eigenen Aussagen geriet Hasan Elahi, der an der Rutgers University in New Jersey Kunst lehrt, wegen einer Denunziation unter Terrorverdacht. Der Vermieter eines von ihm genutzten Lagerraums, den er kurz nach den Anschlägen gekündigt hatte, berichtete der Polizei “von einem Araber, der Sprengkörper besitzt und am 12. September geflohen ist.” Zu dieser Zeit befand sich der in Bangladesh geborene Kunstprofessor mit dem arabisch klingenden Namen wie so oft auf einer Auslandsreise und bei seiner Ankunft am 19. Juni 2002 in den USA empfing ihn das FBI bereits am Flughafen.

Verdächtig machten ihn neben seinem Namen vor allem die vielen Flugmeilen, die er in den letzten Jahren zurückgelegt hat, um überall in der Welt an Kunstsymposien teilzunehmen und Ausstellungen oder Festivals zu besuchen. Die Verhöre zogen sich über Monate hinweg, immer wieder musste er sich rechtfertigen, warum er hier und dort war und was genau er denn genau bei seinen Aufenthalten getan hätte. Zum Glück – die Furcht vor Guantanamo saß ihm ständig im Nacken – konnte er aufgrund eines detailliert geführten Kalenders sein Leben und seine Aktivitäten für die Beamten transparent machen. Die FBI-Agenten wollten alles ganz genau wissen. Hasan Elahi berichtet darüber in einer Projektbeschreibung: „Sie stellten ihre Fragen sehr gründlich. Sie wollten jedes einzelne Detail wissen: Was ich dort gemacht habe? Mit wem ich gesprochen habe? Was ich gesehen habe? Wo ich geschlafen habe? Sogar was ich gegessen und getrunken habe, wollten sie wissen. Irgendwann waren alle Zweifel beseitigt. Zur Erleichterung meiner Freunde, meiner Familie und der Kollegen, bin ich nun offiziell kein Terrorverdächtiger mehr – nach einer dreistündige Lügendetektor-Überprüfung, die neunmal wiederholt wurde.“

Dennoch war ihm klar, dass er weiterhin beobachtet werden würde, obwohl offiziell nie Anklage erhoben worden war. Jetzt hat Big Brother ein Auge auf ihn, George Orwells literarische Vision ist für Hasan Elahi zur Realität geworden. Um jeden Verdacht bereits im Vorfeld auszuräumen, begann er damit, den zuständigen FBI-Agenten immer mitzuteilen, wenn er vorhatte, das Land zu verlassen. Und er beschloss, die eigene Lebenssituation zu einem Kunstprojekt zu verarbeiten.

Seit Dezember 2003 ist seine Website Tracking Transience online. Hasan Elahi erklärt den Ansatz in einem Text zu seinem ganz eigenen Orwell-Projekt: „Diese Erfahrungen haben mich dazu gebracht, freiwillig eine künstlerische Arbeit zu entwickeln, die fast jeden Aspekt meines Lebens öffentlich macht. Ich habe mich bewusst dafür entschieden, mit dem FBI zusammenzuarbeiten bis zu diesem Punkt meiner Arbeit, der an Kollaboration grenzt. Diese Arbeit zeigt erschreckende Parallelen zu einer gewöhnlich in der Rechtsprechung und beim Strafvollzug angewandten Methode, den Fußfesseln. Nur, dass ich mich selbst entschieden habe, sie zu ‚tragen’, und dass die bei dieser Methode angewandte Technik sehr viel weiter entwickelt ist und so kann sie, bezogen auf die Details an Informationen, stärker in meine Privatsphäre eindringen. Die Arbeit besteht aus einer Sammlung von Fotografien und einem Kompendium auf Internetbasis, das es ermöglicht mich und meine Aufenthaltsorte zeitgenau zu verfolgen.“

Jeder Internetnutzer und das FBI kann sich ständig darüber informieren, wo der Kunstprofessor gerade ist und was er tut. Ein GPS-Peilsender in seiner Tasche verrät stets seinen Aufenthaltsort, und er fotografiert kontinuierlich, welche Flüge und Züge er nutzt, was er isst, wen er trifft, was er einkauft (und wie viel er dafür bezahlt) und welche Toiletten er aufsucht.

Die Mahlzeiten von Hasan Elahi online

Mehr als 20.000 Bilder hat Hasan Elahi bereits online gestellt, pro Tag werden es jeweils ungefähr hundert mehr. Er will als freiwillig gläserner Bürger mit dieser Informationsflut für sich selbst eine Art Dauer-Alibi schaffen – aber vor allem will er darauf aufmerksam machen, welche Auswüchse der Sicherheitswahn durch die Terrorhysterie längst erreicht hat. Er erklärt: „Mithilfe von GPS, dem WorldWideWeb und anderen Technologien, die ursprünglich für den militärischen Gebrauch vorgesehen waren, möchte diese Arbeit jedes Detail über mich so vollständig sichtbar machen bis zu dem Punkt, an dem deutlich wird, wie stark die neue ‚Homeland Security’ und die ‚Patriot Act Laws’ der USA Züge einer ‚Invasion’ trägt.“ Wer interessiert sich nun für diese total persönliche Datenüberflutung im Netz, die nur scheinbar völlige Offenlegung hinter der der Verursacher eigentlich verschwindet? Täglich kommen etwa 150.000 Internetuser auf seine Website, um zu erfahren, wo der Künstler gerade ist und was er treibt. Regelmäßig verfolgt umgekehrt Hasan Elahi, wer sich über ihn online informiert. Tatsächlich gibt es Zugriffe von Computern aus dem Pentagon, der CIA, des FBI und sogar aus dem Weißen Haus. Mit hohem Ironiefaktor beobachtet der Künstler auch die Beobachter beim Beobachten und amüsiert sich darüber.