Meisner, ich hör dir trapsen?

Entstammen die Äußerungen des Kölner Kardinals zur entarteten Kunst einem braunen Ungeist oder verraten sie nur Unkenntnis und ein Kulturverständnis aus vormodernen Zeiten?

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Kölns Erzbischof Joachim Kardinal Meisner, vor kurzem noch durch seine Aussagen über das von Gerhard Richter gestaltete Domfenster in die Kritik geraten, legt bei der Eröffnung des Museums Kolumba in Köln mit der Konstatierung einer „entarteten Kultur“ nach.

Ab dem 15. September ist die Sammlung des Kunstmuseums des Erzbistums Köln im Neubau in des Kolumba-Museums zu sehen. 1853 als „Erzbischöfliches Diözesanmuseum“ gegründet, hat das Museum der Kölner Diözese eine bewegte Geschichte von über 150 Jahren hinter sich gebracht. Das Gebäude, das die Kirchenruine der im zweiten Weltkrieg zerstörten spätgotischen Kirche St. Kolumba in der Innenstadt integriert, wurde vom Schweizer Architekten Peter Zumthor entworfen, der 1997 die Ausschreibung für sich entscheiden konnte. Mit den Bauarbeiten des Neubaus wurde 2003 begonnen.

Öffnung zur Gegenwart

Für die zahlreichen Exponate des Museums findet sich auch in den Ausstellungsräumen des Neubaus kein ausreichender Platz, weshalb sie in stetem Wechsel präsentiert werden sollen. Gerade diese Bewegung durch das Zusammenspiel der unterschiedlichen Elemente verspricht eine kulturelle Bereicherung nicht nur durch die Sammlung, sondern auch durch die Präsentation, wie auf der Internetseite hervorgehoben wird:

Ein Dreiklang von Ort, Sammlung und Architektur. Zweitausend Jahre abendländischer Kultur sind in einem Haus zu erleben. In der Kunst mit Werken der Spätantike bis zur Gegenwart. In der Architektur im Zusammenwirken der Kriegsruine der spätgotischen Kirche St. Kolumba, der Kapelle "Madonna in den Trümmern" (1950), der einzigartigen archäologischen Ausgrabung (1973-1976) und dem Neubau nach dem Entwurf des Schweizers Peter Zumthor.

Statt also über die Gegenwart hinwegzugehen oder sich von ihr zu entfernen, scheint gerade durch das Ineinander der unterschiedlichen Elemente eine Öffnung zur Gegenwart gesucht zu werden. Sowohl alte, als auch zeitgenössische Kunstwerke sollen dem Besucher gemeinsam präsentiert und somit näher gebracht werden. Das Konzept lässt einen Wunsch zur Vermittlung, nicht zum Ausschluss des Disparaten vermuten.

Meisner: Gegen die Abwendung der Kunst von der Religion

Auf der Internetseite des Museums findet sich der Hinweis darauf, dass auf „Betreiben von Joachim Kardinal Meisner Neukonzeption und Neubauprojekt“ in Angriff genommen wurden. Dieser Passus erscheint nach Meisners aktuellen Äußerungen im Rahmen der Museumseröffnung im Kölner Dom zumindest fragwürdig. Vor der versammelten Gemeinde wendet er sich gegen die Abwendung der Kunst von der Religion:

Vergessen wir nicht, dass es einen unaufgebbaren Zusammenhang zwischen Kultur und Kult gibt. Dort, wo die Kultur vom Kultus, von der Gottesverehrung abgekoppelt wird, erstarrt der Kult im Ritualismus und die Kultur entartet. Sie verliert ihre Mitte.

Dass er mit der „entarteten Kultur“ Assoziationen zum Begriff der „entarteten Kunst“ im Nationalsozialismus weckt, überrascht ebensowenig wie der einsetzende Hagel an Kritik. „Entartete Kunst“ diente im Nationalsozialismus als Sammelbegriff unter anderem für Kunst, die sich nicht nur dem ideologischen Verständnis der herrschenden NSDAP entzog.

Notorischer Brandstifter?

Von der „Bereinigung“, dem Herausziehen zahlreicher Kunstwerke aus den Museen waren Expressionisten, Kubisten, Dadaisten, Surrealisten und viele andere betroffen, darunter heute und damals namhafte Künstler wie Max Ernst, Ernst Barlach, Ernst Ludwig Kirchner, Karl Schmidt-Rottluff, Paul Klee und Otto Dix. „Entartete Kunst“ war auch der Name der am 19. Juli 1937 in München in den Hofgarten-Arkaden eröffnete Ausstellung, deren Initiator Joseph Goebbels war.

Die unmittelbar einsetzende Kritik an Meisner ließ folglich nicht auf sich warten. Der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, Stephan Kramer, reagierte umgehend:

Meisner, der nicht zum ersten Mal mit solchen und ähnlichen Formulierungen auffällt, ist ein notorischer geistiger Brandstifter, der versucht, die Grenzen des Erlaubten nicht nur auszutesten, sondern der sie vorsätzlich überschreitet. (...) Wenn das Schule macht, darf sich keiner wundern, wenn der braune Ungeist in Deutschland weiter salonfähig wird.

Meisner in diesem Kontext mit „geistiger Brandstifter“ zu betiteln, heißt nichts Anderes, als ihn in die Riege der Nationalsozialisten einzureihen. Es mag bezweifelt werden, dass Meisner mit seinen Aussagen absichtlich in die Kerbe der „Entarteten Kunst“ geschlagen hat. Selbst wenn wohlwollend angenommen wird, dass es sich bei dem kritisierten Wort um einen verbalen Lapsus handelt, so ist es nicht das erste Mal, dass sich Meisner auf fragwürdige Weise zur gegenwärtigen Kunst äußert.

Nicht unbedingt der erste Ansprechpartner in Fragen des Zusammenhangs von Kunst und Kirche

Wenn man Meisners Thesen zur Kunst in Bezug zu dem setzt, was er über das Fenster Gerhard Richters im Dom gesagt hat, wird offensichtlich, dass er nicht unbedingt der erste Ansprechpartner in Fragen des Zusammenhangs von Kunst und Kirche ist. Das Fenster des Doms wurde wie die Kirche St. Kolumba durch den Krieg zerstört. Für die Verglasung des Domfensters ließ Richter 11263 kleine Quadrate nach digitalisierter Vorlage anordnen. Meisner wertete das abstrakte Fenster ab:

Es passt eher in eine Moschee oder in ein Gebetshaus.

Aus einem anderen Munde könnte diese Aussage vielleicht als Lob verstanden werden. Bei Meisner ist diese Möglichkeit auszuschließen, es entstand der Eindruck, als wäre der Zusammenhang mit einer Moschee der schlimmste, in den man einen Künstler bringen kann.

Der Kulturstaatssekretär Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff (CDU) nimmt gegenüber dem Kölner Stadtanzeiger deutlich Stellung zu Meisners jüngeren Äußerungen:

Dass Kardinal Meisner sich zu einem solchen Sprachgebrauch hinreißen lässt, ist erschreckend und zeigt, dass er keinerlei Zugang zu Kunst und Kultur hat.

Im Kölner Domradio verteidigt Generalvikar Dominik Schwaderlapp Meisner gegen seine Verteidiger, denen er ihre Vorneingenommenheit vorwirft:

Der ausgelöste Wirbel zeigt, da fehlt das nötige Wohlwollen, das man auch einem Kardinal Meisner entgegenbringen muss.

Angeblich hätten seine Kritiker das Gegenteil von dem verstanden, was Meisner meinte. In einer Mitteilung des Erzbistums soll Meisner von den Vorwürfen der Nähe seines Denkens mit der nationalsozialistischen Ideologie befreit werden:

Den von der Nazi-Ideologie missbrauchten Begriff der Entartung richtet er somit gegen diese und alle Formen des Totalitarismus.

Auch die eigene „Verteidigung“ Meisners im Domradio versucht, an dieser Stelle anzuknüpfen:

Ich wollte nur ganz schlicht damit sagen, wenn man Kunst und Kultur auseinanderbringt, dann leidet beides Schaden. Das war die schlichte Aussage dieser Passage.

Ganz offensichtlich werden mit diesen Worten die getätigten Aussagen – sowohl, was das Fenster Richters angeht, als auch das Museum Kolumba betreffend – reproduziert und gerechtfertigt, nicht entschuldigt. Die Ablehnung eines „Totalitarismus“ lässt sich darin leider nicht ausmachen. Der zugrundeliegende Gedanke zeigt den Horizont, dem sich Meisners Haltung verdankt.

Kulturbegriff aus vormodernen Zeiten

Von einer Entartung auszugehen, setzt ein Ganzes, voraus, das positiv besetzt wird. Entartung heißt: aus der Art geschlagen. In Meisners Fall ist das Aus-der-Art-Schlagen der Kunst definitiv negativ besetzt. Einmal eingestanden, dass Kunst und Kultur nicht voneinander getrennt werden sollten, stellt sich die Frage, welchen Kulturbegriff jemand hat, der sich in dieser Weise über Kunst äußert.

Der Kulturbegriff, der Meisner dabei vorschwebte, scheint vormodernen Zeiten entnommen zu sein, in dem Kultur noch mit den Glaubensinhalten des Christentums konform ging und sich Kunst diesen Bedingungen unterordnete. Nur vor dem geschlossenem Horizont einer christlichen Kultur kann die „Entartung“ auf die kritisierte Weise formuliert werden. Dass sich Kunst und Kultur schon vor seiner Geburt von Meisners geistigem Idyll entfernt haben, scheint er nicht wahrzunehmen.

Nicht die moderne Kunst hat sich von der gegenwärtigen Kultur entfernt (um nicht den unschönen Begriff einer „Entartung“ zu verwenden), sondern Kardinal Meisner scheint sich in weiter Distanz von beiden zu befinden, wenn er nicht bereit ist, die Entwicklungen der Kunst in den letzten Jahrhunderten mitzumachen. Er bringt Kunst und Kultur dadurch erst auseinander, dass er der einen oder der anderen antiquierte Standards unterschieben will.

Es bleibt zu hoffen und zu erwarten, dass sein Standpunkt ebensoviel Einfluss auf die weitere Entwicklung des Kolumba-Museums hat, wie auf das Fenster im Dom. Beide werden weiterhin zahlreiche Besucher in Bann schlagen.