Informantenschutz am Ende?

Die von der großen Koalition geplante Vorratsdatenspeicherung sorgt in der Medienbranche für Aufregung

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Am Montag beschäftigten sich mehr als 150 Medienvertreter und Bürgerrechtler mit den Konsequenzen der Vorratsdatenspeicherung. Die ARD, das ZDF, der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger, die Deutsche Journalistenunion, der Deutsche Journalistenverband und der Deutsche Presserat waren sich mit den stellvertretenden Vorsitzenden der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Frank Werneke, einig, dass die Datenspeicherung ein „Angriff auf die Pressefreiheit“ ist.

Daher war es auch mehr als ein selbstironisches Understatement, wenn sich BGH-Bundesanwalt Michael Bruns auf der Tagung als „Angehöriger eine Minderheit“ vorstellte. Tatsächlich konnte er wohl kaum jemand überzeugen, dass ohne die Vorratsdatenspeicherung ein Schutz vor Kriminalität nicht gewährleistet ist.

Das Publikum widersprach Bruns in zentralen Punkten fachkundig, wenn er die Datenspeicherung als logische Konsequenz der Änderung des Kommunikationsverhaltens zu erklären versuchte. Weil Verbrechen zunehmend nicht mehr in Gesprächen oder Briefen sondern per Email oder SMS vorbereitet würden und die Spuren flüchtig seien, so Bruns, müsse die Kriminalistik darauf reagieren.

Von Klaus Landefeld vom Verband der deutschen Internetwirtschaft wurde das Quick Freeze-Verfahren als Alternative in die Debatte eingebracht. Mit dem in den USA und anderen Ländern praktizierten Verfahren können auf Antrag von Strafverfolgungsbehörden Internetdaten von Verdächtigen vorübergehend gesichert werden. Für die Datenauswertung bedarf es weiterer juristischer Genehmigungen. Die Befürworter dieser Methode betonten, dass hierbei ein konkreter Verdacht vorliegen muss, während die in Deutschland geplante Datenspeicherung verdachtsunabhängig erfolgen soll.

Die Informatikerin Constanze Kurz vom Chaos Computer Club stellte die Vorratsdatenspeicherung in einen politischen Kontext, in dem Kontrolle und Überwachung bestimmend sind. Deshalb wachse gerade in einem Teil der jüngeren Generation, die seit Jahren die neuen Medien nutzt, der Unmut. Die Einschätzung, dass das Interesse an der Problematik wächst, bestätigten auch Bürgerrechtsgruppen wie der AK Vorratsdatenspeicherung bestätigen.

Die Bundestagsabgeordnete der FDP, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, dämpfte allerdings jede Euphorie auf eine Neuauflage der Bewegung gegen die Volkszählung, die vor mehr als 20 Jahren weite Teile der Bevölkerung erfasste. Vor allem der Teil der Bevölkerung, der die neuen Medien weniger intensiv nutze, falle auf den aktuellen Sicherheitsdiskurs herein und forderte harte Maßnahmen gegen angebliche terroristische Gefahren. Dass davon auch Medien nicht gefeit sind, die im Ruf stehen, eher regierungskritisch zu sein, zeigte ein Beitrag in der Wochenzeitung Jungle World, in dem mit dem Verweis auf eine undefinierbare terroristische Gefahr durch Islamisten dafür plädiert wird, auch die Vorratsdatenspeicherung nicht "pauschal" abzulehnen.

Kontakte gekappt

Aus der Praxis konnte der Brüssel-Korrespondent verschiedener Medien, Detlef Drewes, berichten. In Belgien ist die Vorratsdatenspeicherung schon in Kraft getreten und hatte bereits Folgen für den Berufsalltag des Korrespondenten und investigativen Journalisten. So muss Drewes künftig auf einen direkten Draht in die belgische Partei Vlaams Belang verzichten. Auch große Unternehmen verweisen jetzt stets auf die Presseabteilung - die direkten Kontakte sind gekappt, seit die Datenspeicherung geltendes Recht ist.

Die Berliner Erwerbslosenaktivistin Angela Wernick warf die Frage auf, ob die Organisatoren und Teilnehmer der Tagung auch gegen die Vorratsdatenspeicherung aktiv würden, wenn bestimmte Berufsgruppen wie Anwälte, Pfarrer und Medienvertreter mit einer Sonderregelung von der Datenspeicherung ausgenommen wären. Eine berechtigte Frage, wenn man bedenkt, dass die FDP, die sich sehr stark gegen die Datenspeicherung engagiert, die Hartz-IV-Gesetze mit beschloss. Dadurch müssen Erwerblose (wie bisher schon Sozialhilfeempfänger) dem behördlichen Zugriff auf ihre Konten zustimmen.

Dass Ausforschung und Kontrolle nicht erst mit der Vorratsdatenspeicherung begonnen haben, ist auch Thema einer Plakatserie, mit der soziale Initiativen zur Großdemonstration gegen die Vorratsdatenspeicherung am kommenden Samstag in Berlin mobilisieren, bei der mehrere Tausend Menschen erwartet werden.

Unterschiedliche Handlungsperspektiven

Trotzdem zeigte sich Leutheusser-Schnarrenberger von der mit aufrufenden FDP skeptisch, die Vorratsdatenspeicherung noch verschieben oder substantiell ändern zu können. Die Politiker der großen Koalition, so die ehemalige Justizministerin, würden das Projekt mit ihrer Mehrheit durchsetzen.

Andere sehen die Zukunft weniger resigniert: Ein Teil der Bürgerrechtsszene hofft dabei auf eine Verbotsentscheidung des Europäischen Gerichtshofs. Mehr auf Eigeninitiative setzt der Publizist Burkhard Schröder, der auf der Tagung dafür warb, alle technischen Anonymisierungsmöglichkeiten im Datenverkehr zu nutzen. Dabei sieht er auch bei vielen Organisatoren, die zu den Mitveranstaltern der Tagung gehörten, noch Nachholbedarf. So sucht man beispielsweise auf der Homepage von ver.di vergeblich Möglichkeiten zur verschlüsselten Kommunikation.