Welche Religion ist die gefährlichste?

Die Dawkins-Debatte erreicht Deutschland

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Richard Dawkins` "Der Gotteswahn", die deutsche Übersetzung seines religionskritischen Buches "The God Delusion" erschien am 10. September 2007 und besetzte sofort Platz 3 der Amazon-Bestsellerliste. Zusammen mit den jüngsten Ereignissen um radikale Islamisten löste es auch in Deutschland eine Debatte über die Gefährlichkeit von Religion aus.

Dawkins ist der Erfinder der Theorie der "Meme", sich selbst vermehrender Informationsmuster, die sich analog zu biologischen Lebensformen ausbreiten (Memetik und das globale Gehirn).1 Religion ist nach Ansicht des britischen Biologen, der trotz seiner Thesen gut mit Christen auskommt und Richard Harries, den ehemaligen Bischof von Oxford zu seinen Freunden zählt ("ein sehr angenehmer Mann, sehr intelligent und belesen - seine Gläubigkeit berührt meinen Alltag wenig"), eine von der Evolution beförderte Geisteskrankheit: Personen, die sich, ohne groß zu hinterfragen, relativ sklavisch an Traditionen hielten, hatten seiner Ansicht nach möglicherweise einen gewissen Überlebensvorteil, solange die Menschen täglich auf giftige Pflanzen und wilde Tiere achten mussten.

In seinen Einschätzungen und Vergleichen ist der britische Biologe nicht immer zimperlich. Einen amerikanischen Gottesdienst verglich er gegenüber dem veranstaltenden charismatischen Prediger mit einem Reichsparteitag ("leider wusste der nicht, was ein Reichsparteitag ist"). In seinem aktuellen Werk "Der Gotteswahn" fordert Dawkins den Leser auf, sich eine Welt "ohne Selbstmordbomber, ohne 9/11, ohne 7/7, ohne Kreuzzüge, ohne Hexenverfolgungen, ohne Gunpowder Plot, ohne eine Teilung Indiens, ohne Krieg zwischen Israelis und Palästinensern, ohne serbische, kroatische und moslemische Massaker, ohne die Verfolgung von Juden als Mörder Jesu, ohne 'Unruhen' in Nordirland, ohne 'Ehrenmorde' und ohne föhnfrisierte Fernsehprediger in Glitzeranzügen, die Leichtgläubige um ihr Geld bringen" vorzustellen.

Seiner Argumentation nach wurde der Großteil der Selbstmordanschläge nur mittels Religion möglich, welche die Attentäter glauben machte, dass ihr Bewusstsein nach ihrem Tod auf magische Weise den Upload in ein "Paradies" erfahren würde.

In den USA fachte das Erscheinen von Dawkins Buch die seit Jahren schwelende Debatte über die Rolle der Religion zu einem beachtlichen Feuer an: Dawkins Gegner argumentieren teilweise aus religiöser Ignoranz oder Wissenschaftsfeindlichkeit heraus, teilweise aber auch pragmatistisch, aus Angst vor einem radikalen Sozialdarwinismus heraus. Danach wäre es kein weiter Weg von Darwin und Nietzsche zur Ausrottung "lebensunwerten" Lebens, weshalb die Menschheit die Vorstellung einer übermenschlichen Ordnung brauche, um sich nicht selbst zu vernichten – auch wenn sich diese in noch so hirnrissiger Form niederschlägt. Oder, wie Dostojewski es ausdrückte: "Wenn Gott tot ist, dann ist alles erlaubt" .

Dawkins entgegnet dieser Behauptung, dass eine Gottesvorstellung für wahrscheinlich zu großen Teilen mit der Evolution erworbene moralische Instinkte nicht notwendig und die Bibel nur eine nachträglich herbeizitierte Begründung für vorab mit Verstand und Gefühl gefällte moralische Urteile sei. Schließlich gäbe es so viele Bibelstellen, dass man mit ihnen vom Völkermord bis zum selbstmörderischen Masochismus alles begründen könne.

Angefacht sowohl durch die Ereignisse um radikale Islamisten als auch durch die in den letzen Jahren aus den USA nach Europa schwappende Welle einer neuen offensiv-naiven Religiosität, scheint sich die Debatte um die Gefährlichkeit von Religion nun auch in Deutschland zu entwickeln. Der Spiegel griff aus diesem Anlass die Thesen des Psychologen Nicholas Humphrey auf, der für Kinder ein Menschenrecht postuliert, das deren Psyche ebenso wie ihren Körper vor der "Verkrüppelung" durch religiöse Ideen schützen soll.

Schneller als der Spiegel: Titanic vom April 1986

Kirchenvertreter reagierten in Deutschland – anders als in den USA - bisher eher defensiv und teilweise sogar mit Selbstkritik, wie sie etwa Robert Leicht, der Präsident der Evangelischen Akademie zu Berlin, im Tagesspiegel vorbrachte: Das vormalige Ratsmitglied der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) setzte die Toten bei den Anschlägen auf die Twin Towers mit der Zahl der Opfer der "Attentate und Gewaltakte, die in den USA aus christlich deklarierter Motivation in den letzten ein, zwei Jahrzehnten verübt worden sind" in Relation und kam zu dem Ergebnis "dass dieser religiöse Terrorismus es in der Summe mit dem 9/11-Anschlag aufnehmen kann."

Eher mit der Reaktion amerikanischer Religionisten vergleichbar scheint dagegen die im Blog "Politically Incorrect". Während man dort sonst stets darauf bedacht ist, den Unterschied zwischen "Religionskritik" und "Rassismus" zu betonen, legte man bei Dawkins offenbar einen anderen Maßstab an und begrüßte ihn nicht als Aufklärer, sondern urteilte pauschal, sein Buch sei "antisemitisch". Begründet wurde das mit einer Passage, die sich wenig von dem sonst auf der Website vorherrschenden Duktus unterscheidet:

„Der Gott des Alten Testaments ist die unangenehmste Gestalt in der gesamten Literatur: Er ist eifersüchtig und auch noch stolz darauf; ein kleinlicher, ungerechter, nachtragender Überwachungsfanatiker; ein rachsüchtiger, blutrünstiger ethnischer Säuberer; ein frauenfeindlicher, homophober, rassistischer, Kinder und Völker mordender, ekliger, größenwahnsinniger, sadomasochistischer, launisch-boshafter Tyrann.“

Angreifbarer scheint Dawkins Werk von einer anderen Seite her: Er verwendet einen relativ engen Gottes- und Religionsbegriff. Seit Émile Durkheim wurde der Religionsbegriff jedoch auch auf Glaubensphänomene ausgeweitet, die traditionell nicht als Religion wahrgenommen werden – dafür aber um so besser als solche funktionieren. Damit ließe sich dann die Frage stellen, ob tatsächlich nur der Islam, das Christentum, Scientology, die Mormonen (deren Mitglied Mitt Romney derzeit der aussichtsreichste republikanische Präsidentschaftskandidat ist) und der Diskordianismus eine potentielle Gefahr darstellen – oder beispielsweise auch der Glaube an das "Geistige Eigentum"?

Telepolis hat dazu eine Umfrage gestartet: Welche Religion ist die gefährlichste? Wir bitten um lebhafte Beteiligung.