Ist Sport doch Mord?

Einer neuen Studie zufolge könnte körperliche Bewegung in Städten das Infarktrisiko nicht senken, sondern erhöhen

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Dass Feinstaub schädlich ist, war schon länger bekannt. Unbekannt war dagegen, wie die Partikel genau wirken. Das haben nun Wissenschaftler an der Northwestern University herausgefunden – und dabei ein bemerkenswertes Nebenergebnis erzielt.

Foto: Michael Schuberthan

Feinstaub besteht aus Russpartikeln, die kleiner als 10 Mikrometer sind. Sie entstehen durch Dieselfahrzeuge und durch das Verheizen von Holz oder Kohle. Hohe Feinstaubkonzentrationen finden sich vor allem in der Nähe von Fernstraßen und in Städten. Auch die Insassen von Fahrzeugen sind oft hohen Feinstaubkonzentrationen ausgesetzt. Die Partikel sind zu fein, als dass sie von Mund oder Nase ausgefiltert werden könnten. Deshalb gelangen sie in die Lunge, wo sie entzündliche Prozesse auslösen. Der statistische Zusammenhang zwischen der Feinstaubkonzentration in der Luft und einem erhöhten Herzinfarktrisiko ist bereits lange bekannt. Was bisher fehlte, war die kausale Verbindung zwischen den entzündlichen Prozessen in der Lunge und den Herzinfarkten und Gehirnschlägen, zu denen die Statistiken eine Verbindung nahe legten.

Nun konnten Wissenschaftler an der Northwestern University in Chikago einen wichtigen Teil des Rätsels lösen. Die Ergebnisse einer von ihnen durchgeführten Studie erschienen gestern in der Online-Ausgabe des Journal of Clinical Investigation. Gökhan Mutlu, der Leiter der Studie, Scott Budinger und David Green stellten in Tierversuchen fest, dass der Feinstaub die Neigung der Blutplättchen zum Verklumpen drastisch erhöht. Das geschieht dadurch, dass die durch den Feinstaub entzündeten Lungen eine Substanz namens Interleukin-6 ausschütten, welche die Tendenz der Blutplättchen zur Koagulation erhöht, was sowohl das Risiko für Infarkte als auch für Thrombosen erhöht.

Die Wissenschaftler verwendeten für ihre Versuche von der United States Environmental Protection Agency (EPA) gesammelte Partikel, lösten sie auf - und injizierten sie in die Lungen von Mäusen. Dabei stellten sie fest, dass das Blut dieser Mäuse weit stärker zur Verklumpung neigte als das der Tiere aus der Vergleichsgruppe - und dass der Interleukin-6-Spiegel der Mäuse innerhalb von 24 Stunden um das Fünfzehnfache anstieg.

Ein bemerkenswertes Nebenergebnis der Studie ist, dass Sport in Städten potentiell das Infarktrisiko erhöht, weil dabei die Lungen wesentlich stärker mit feinstaubbelasteter Luft gefüllt werden, was wiederum die entzündlichen Prozesse in weit stärkerem Ausmaß auftreten und den Interleukin-6-Spiegel erheblich steigen lässt. Der Grund dafür ist, dass die Lunge beim Sport großflächiger und intensiver mit Feinstaubpartikeln belastet wird: Beim Stillsitzen gelangen in der Minute fünf bis sechs Liter Luft in die Lunge, beim Laufen dagegen 20 bis 25 Liter.

Laut Mutlu ist ohne weitere Studien nicht klar, ob der bisher propagierte Nutzen sportlicher Betätigung für die Vermeidung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen den in seiner Studie festgestellten potentiellen Schaden über- oder unterschreitet. Der Gesamteffekt muss erst noch in weiteren Studien ermittelt werden. In jedem Fall beinhaltet die sportliche Betätigung in Städten aber erhebliche Risiken, mit denen bisher nicht gerechnet wurde. Deshalb rät der Mediziner schon jetzt Menschen mit Vorerkrankungen oder erhöhtem Risiko von der sportlichen Betätigung in stark belasteten Gegenden ab.

Bisher ging die Medizin von der Vorstellung aus, dass Bewegung ganz überwiegend positive Auswirkungen auf den menschlichen Körper hat: In den vor wenigen Tagen im British Medical Journal veröffentlichten Teilergebnissen der Studie "Avon Longitudinal Study of Parents and Children" etwa, kam man auf Basis dieser Annahme zu dem Ergebnis, dass nur drei Prozent der Elfjährigen in Großbritannien sich ausreichend bewegen würden.

Beunruhigend an der Mutlu-Studie ist, dass der blutverdickende Effekt schon bei relativ geringen Feinstaubkonzentrationen auftritt, so dass möglicherweise die Grenzwerte heruntergesetzt werden müssen. In vielen deutschen Städten übersteigt die Feinstaubkonzentration die seit Anfang 2005 geltenden Grenzwerte erheblich. Insofern könnte die Studie die Debatte um Fahrverbote anfachen – und die um einen möglichen Schadensersatz jener Kommunen, die nicht rechtzeitig Maßnahmen zur Feinstaubverringerung ergriffen.