Danaergeschenk aus Luxemburg

Warum die EU Monopole nicht einschränkt, sondern züchtet

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In der letzten Woche wies der Europäische Gerichtshof eine Klage ab, die Microsoft gegen einige Vorschriften der EU-Kommission und gegen ein 2004 in Höhe von 497 Millionen Euro verhängtes Bußgeld eingelegt hatte. Das Urteil fand ein breites Presseecho. Die Darstellung war ähnlich homogen wie die der Situation im Irak in den US-Medien um 2003. Vom "spannendsten Wirtschaftskrimi der europäischen Geschichte" war da die Rede - und von der "Mutter aller Schlachten in der Wettbewerbspolitik".

Lob von fast allen Seiten

Der Spiegel sprach von einer "blamablen Schlappe" für Microsoft und einem Urteil, dass die "Zukunft des Softwaremarktes gravierend verändern" könne. Der Richterspruch habe der EU-Kommission wieder "politisches Gewicht" als "Widerpart der Wirtschaft" verliehen, befand ein anderer Spiegel-Autor. In der Süddeutschen Zeitung feierte Alexander Hagelüken den Brüsseler Richterspruch als "Sieg für Computerkunden in aller Welt". "Der Fall Microsoft", so Hagelüken, "zeigt, dass der Staat eingreifen kann, wenn er muss".

Thomas Vinje, Prozessvertreter des European Committee for Interoperable Systems (ECIS), einer Organisation hinter der finanzstarke Softwareunternehmen wie Adobe Systems, Corel, IBM, Nokia, Opera, Oracle, RealNetworks und Sun Microsystems stecken, gab eine Pressemitteilung heraus, in der es hieß, dass "Verkehrsregeln" geschaffen worden seien, "die gut für den europäischen Verbraucher sind"." Sogar Georg Greve, Präsident der Free Software Foundation Europe (FSFE), ließ sich offenbar von der allgemeinen Euphorie mitreißen und verlautbarte, dass die Taktik von Microsoft "Dank der Beharrlichkeit und ausgezeichneten Arbeit der Kommission" nicht aufgegangen sei.

Auch die EU-Bürokratie geizte nicht mit Eigenlob: Kommissionspräsident José Manuel Barroso durfte in viele Mikrofone sagen, dass die Politik seiner Bürokratie "die Interessen der Verbraucher" schütze und den "offenen Wettbewerb der Unternehmen" garantiere. "Das Urteil bestätigt die Objektivität und Glaubwürdigkeit der Wettbewerbspolitik der Kommission", erklärte er in einer Pressemitteilung. "Diese Politik schützt die Interessen der europäischen Verbraucher und gewährleistet einen fairen Wettbewerb."

Es mag tatsächlich sein, dass die Politik der EU-Kommission sie "Strategie" des Konzerns ändern wird, wie die Süddeutsche Zeitung schrieb – allerdings fragt sich ob die neue Strategie, die Microsoft jetzt mit Begünstigung durch die EU-Bürokratie fährt, für den Verbraucher wirklich besser ist – oder nicht doch schlechter. Wesentlich schlechter.

Media Player und Patente

Neben der Höhe des Bußgeldes bestätigte das Gericht auch die Auflage, dass Microsoft seine Betriebssystemsoftware Windows ohne den hauseigenen Media Player anbieten muss, mit dem sich der Softwarekonzern "einen unschätzbaren Vorteil beim Vertrieb seines Produkts" verschaffe. Die Süddeutsche Zeitung sah in dieser Bestätigung eine Garantie dafür, dass "solche Koppelungen [wie die das Windows Media Players an das Betriebssystem] künftig schwerer möglich sein" sein werden. Im Hintergrund steht offenbar die Vorstellung, dass das Anbieten von nicht gekoppelten Versionen, Microsoft in Zukunft von solchen Praktiken abhalten würde. Ein ziemlich frommer Wunsch. Wer will schon ein genauso teures Windows ohne Virenschutz, Suchmaschine, etc. kaufen?

Etwas näher an der Realität, war da der Spiegel, in dem ein Autor feststellen durfte: "Die Konkurrenzprodukte zum Media Player sind weitgehend vom Markt verschwunden." Allerdings befand sich auch er sich mit seiner Einschätzung noch meilenweit von der Realität entfernt. Wer sein Wissen weniger aus den Pressemitteilungen großer Unternehmen, als aus Abspielproblemen und deren Beseitigung bezog, der konnte wissen, dass es weniger Unternehmen wie RealNetworks waren, die innovative Alternativen zum Monopol herstellten, sondern Open-Source-Programmierer.

Der Windows Media Player ist Spyware, enthält kaum Codecs und erzeugt beim Nachladen dieser Codecs Konflikte, die zu Bild- und Tonstörungen führten. Die Konkurrenzprodukte von RealNetworks und Apple sind allerdings kaum besser. Dass sie sich nicht durchsetzen konnten, mag zum Teil an der Koppelungspolitik von Microsoft gelegen haben - zum Teil aber auch an der mangelnden Güte. Dagegen bewies der Firefox-Browser, dass man mit einem Produkt, das tatsächlich deutlich besser ist als das mit dem Betriebssystem mitgelieferte, durchaus ein Monopol brechen kann.

Die Media-Player-Äquivalente zu Firefox heißen VLC und MPlayer. Die beiden hauptsächlich in Europa entwickelten Programme beherrschen fast alle Codecs störungsfrei und ohne ständige Nachinstallation - mit ihnen lassen sich gespeicherte YouTube-FLVs ebenso problemlos ansehen wie DVDs. Und sie lassen sich ganz problemlos auf herkömmlichen Windows-Systemen installieren.

Somit wären also zwei europäische Softwareprojekte auf dem besten Weg, das Media Player Monopol zu brechen – ganz ohne zu Zuhilfenahme der EU-Bürokratie. Die aber schüttet nun keine Fördergelder an die Programmierer aus oder ähnliches, sondern tut ihr möglichstes, diesen Projekten den Garaus zu machen. Vor allem durch den geplanten gesonderten Patentgerichtsweg, mit dem (bisher verbotene aber vom Europäischen Patentamt trotzdem in großer Zahl erteilte) Softwarepatente legalisiert und einklagbar gemacht werden sollen.

Mit dieser Legalisierung von Softwarepatenten, die VLC und MPlayer in ernste Verbotsgefahr bringt, schafft die EU-Bürokratie erst die Grundlagen für neue Microsoft-Monopole. Vor allem Programme, die viele oder alle Formate beherrschen sind potentiell gefährdet. Die Entwickler von VLC gingen deshalb in die Offensive und machten öffentlich bekannt, dass die Programmierung von Multimedia-Software bei einer Legalisierung von Softwarepatenten zu einem Minenfeld würde, weil alle wichtigen Formate von sehr breiten und trivialen Patenten "geschützt" sind, die Weiterentwicklung und Interoperabilität verhindern.

Laut den Entwicklern von VLC wird 99% der europäischen Softwareentwicklung von kleinen und mittleren Unternehmen geleistet, denen Softwarepatente nur schaden. Als eine Konsultation zur Zukunft des EU-Patentwesens ergab, dass kleinere und mittlere Softwareunternehmen Patente als schädlich und gefährlich ansehen, gab die EU-Kommission nicht etwa ihren Softwarepatentkurs auf, sondern stellte statt dessen Steuergelder zur Werbung für Softwarepatente bereit (Vgl. Softwarepatent-Gegner beklagen Mogelei bei EU-Konsultation).

Es deutet viel darauf hin, das Microsoft nicht gegen, sondern mit dem Wind segelt und nun ganz auf Softwarepatente setzt, um bestehende Monopole zu verteidigen und neue aufzubauen. Pieter Hintjens, der Vorsitzender des FFII erklärte in einer Stellungnahme, die im öffentlichen Jubelgebrüll unterging:

"Die Entscheidung hört sich gut an, aber sie kommt fünf Jahre zu spät. Während dieser Zeit hat Microsoft Lobbying für Softwarepatente in Europa betrieben und Patente auf viele triviale Konzepte erworben. [...] Wir bedauern, dass die Europäische Kommission gegenüber der wirklichen Bedrohung durch Softwarepatente blind ist und es so Microsoft ermöglicht, Europas Patentsystem gegen europäische Firmen auszunutzen. Dies ist eine Niederlage für den freien Wettbewerb in Europa, eine Niederlage für die Weltwirtschaft und ich bin sicher, dass in Redmond fröhlich auf Microsofts Niederlage vor Gericht angestoßen wird."

"Öffnung" für weniger Wettbewerb

Ähnlich irreführend ist die Behauptung, dass die Offenlegung der Schnittstellen den Wettbewerbern Vorteile bringen würde. Die Details dieser "Offenlegungspflicht" sind so gestaltet, dass Microsoft für das "Andocken" Geld verlangen kann. Die Regelung ist geradezu ein Anreiz für Microsoft, "Patentfallen" in Formaten und Schnittstellen einzubauen. Dann können die Formate "geöffnet" und über ein Lizenzprogramm mit der Leistung fremder Programmierer Profite abgeschöpft werden. Dadurch wird es in Zukunft eher zu weniger Kompatibilität und Wettbewerb, als zu mehr kommen.

Durchsetzen will der Konzern die Lizenzzahlungen unter anderem damit, dass er sich für seine Kommunikationsprotokolle wenigstens drei Europäische Patente gesichert hat: EP 0661652 (Verteiltes Dateisystem), EP 0438571 (Methode und System zum Open File Caching in einem vernetzten Computersystem und EP 0669020 (A method and system for marshalling interface pointers for remote procedure calls). Ein viertes Patent (EP 1004193) ist laut Angaben von Microsoft bereits erteilt, zwei weitere warten auf ihre Gewährung durch das EPA. Bei einer Legalisierung von Softwarepatenten ist zu erwarten, dass Microsoft alle oder einige der 20 derzeit in der US-Patentwarteschleife befindlichen Ansprüche hinterher schiebt. Außerdem plant der Konzern "ungefähr 130 Europäische Patente im Zusammenhang mit Windows Server-Betriebssystemen" anzumelden.

Die unlängst von Microsoft veröffentlichte Patentlizenz MCPP (Microsoft Communications Protocol Programm) sieht Lizenzzahlungen für jede einzelne Kopie des Programms vor. Ein Druckserver beispielsweise müsste 8 Dollar pro Download an Microsoft abführen (vgl. Preisübersicht für patentierte Protokolle).

Jeremy Allison, einer der Väter der verbreiteten Open-Source-Software Samba, mit der seit vielen Jahren massiv Windows-Serverlizenzkosten ohne Bequemlichkeitseinschränkungen für die Anwender eingespart werden, befand in der Zeitschrift LinuxWorld, dass die MCPP-Lizenz die Nutzung der Protokolle für Konkurrenten aus dem Open-Source-Bereich verhindert:

"Wir haben die Lizenz gelesen, es ist nicht möglich, Open Source Implementierungen des Produkts zu veröffentlichen. Man muss die Implementierung geheim halten. Das widerspricht der gesamten Open Source Idee."

Auch die Vorgänge um die Anerkennung des Dokumentformats "OOXML" als Standard, die im Gegensatz zum Urteil kaum Aufmerksamkeit erregten, zeigen, wie die Microsoft-Strategie der Gegenwart aussieht.

Bußgeld aus der PR-Kasse

Bleibt das Bußgeld, das das einhellige Medienurteil wahrscheinlich bestimmte, aber für Microsoft weniger schmerzlich sein dürfte, als es auf den ersten Blick aussieht. Der Konzern konnte 2007 Gewinn und Umsatz deutlich steigern; der Aktienkurs entwickelt sich, als ob es das Urteil nie gegeben hätte. Und auch wenn es nach mehr aussieht, entspricht das Bußgeld gerade einmal dem Konzerngewinn von etwa zwei Wochen.

Da wundert es wenig, dass sich die Empörung auf Seiten Microsofts in Grenzen hielt. Dorothee Belz aus der Geschäftsführung von Microsoft Deutschland bezeichnete die Entscheidung lediglich als "lang erwartete Klärung von strittigen Fragen" über die man sich nicht "ärgere". Von 1991 bis 1997 war die jetzt für Microsoft tätige Juristin im Brüsseler Kabinett mit den Themenbereichen "Liberalisierung des Kommunikationsmarktes" und Schutz von "Geistigem Eigentum" befasst.