Schäuble mobilisierte mit

Die Protestbewegung gegen die Vorratsdatenspeicherung gewinnt an Fahrt, wird aber auch heterogener

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Zehn- bis fünfzehntausend Menschen demonstrierten am Samstag in der Berliner Innenstadt gegen die Vorratsdatenspeicherung und andere Kontroll- und Überwachungspraktiken. Die Veranstalter waren noch vor wenigen Wochen von lediglich 5.000 Teilnehmern ausgegangen. Im letzten Jahr hatte eine Demonstration gegen die Vorratsdatenspeicherung nur einige Hundert Menschen auf die Straße gebracht.

Die schnelle Vermehrung der bekennenden Überwachungsgegner ist wahrscheinlich zum Teil einem Mann zu verdanken, der auf der Demonstration immer wieder erwähnt wurde: Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble. Einige Teilnehmer trugen sogar sein Konterfei als Maske. Schäuble hat mit immer neuen Terrorwarnungen und Ankündigungen, diese durch massive Freiheitseinschränkungen zu verhindern, offenbar maßgeblich dazu beigetragen, dass Sicherheitspolitik, Kontrolle und Überwachung wieder zum Kristallisationspunkt einer Protestbewegung wurden. Die Demonstration am Samstag war die erste große Manifestation dieser Stimmung.

Das Bündnis, das gegen die Vorratsdatenspeicherung demonstrierte, umfasste viele Individualisten der Internetgeneration, aber auch Organisationen wie die Freien Ärzte, die Evangelische Telefonseelsorge und die Gewerkschaft ver.di.

Auf der Zwischenkundgebung kritisierten Redner auch, dass die an der Demonstration mit vollem Emblemornat vertretenen Parteien FDP, Grüne und Linkspartei dort, wo sie mitregierten, Überwachungsmaßnahmen unterstützen. So plant etwa der Berliner Senat ein neues Polizeigesetz, das die Mobiltelefonkontrolle verschärft. Von der mitregierenden Linkspartei gibt es keinen Widerstand dagegen, was mittlerweile Gegenstand innerparteilicher Kritik ist. Sympathie von allen Seiten erfuhr dagegen die Piratenpartei. Sie plant, zur nächsten Europawahl anzutreten.

Bürgerrechtler und Jugendkulturen

Die Veranstalter bedankten sich ausdrücklich bei allen Demonstranten. Das war nicht selbstverständlich. Wie bei einen so heterogenen Bündnis, das von der FDP bis zu Erwerbslosengruppen reichte, nicht verwunderlich, gab es im Vorfeld Unstimmigkeiten. Sie sind den unterschiedlichen Praxen der Mobilisierung und der Aufrufgestaltung geschuldet. So wollten eher jugendkulturell als politisch ausgerichtete Gruppen mit Motiven auftreten, die den eher bürgerrechtlichen Bündnispartnern nicht nur ästhetisch ein Gräuel waren.

Sie befürchteten, dass die Jugendkulturen die Demonstration für eigene Inszenierungen missbrauchen könnten. Am Schluss blieb es bei zerschlagenem Straßencafémobiliar und Rangeleien wegen Seitentransparenten, die länger als die in den Auflagen genannten 1,5 Meter waren.

Auch das Tragen von Schäuble-Masken, das vorher als Kunstaktion bei der Polizei angekündigt worden war, führte wegen angeblichen Verstößen gegen das Vermummungsverbot zu Polizeieingriffen.

Wie weiter?

Für die Organisatoren war die Demonstration ein großer Kraftakt. Jetzt muss sich zeigen, wie das wiedererwachte Interesse am Datenschutz sich in kontinuierliche Arbeit umsetzen lässt. Dass eine Großdemonstration allein die Regierungspolitik nicht verändern kann, zeigte sich schon häufig.

Bundeskanzlerin Merkel verteidigte auf einem CDU-Parteitag in Hannover die Vorratsdatenspeicherung noch einmal ausdrücklich mit Sicherheitsargumenten und stellte sich in dieser Frage hinter den selbst beim Koalitionspartner SPD in die Kritik geratenen Innenminister. Viele Überwachungsgegner setzen deshalb eher auf das Bundesverfassungsgericht als auf Demonstrationen – auch aufgrund der Erinnerung an die Volkszählungsdebatte vor mehr als 25 Jahren. Damals entdeckten Karlsruher Richter im Grundgesetz das bis dahin nicht explizit ausformulierte Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung.