Die CIA, die Sowjetunion und Peak-Oil

Die CIA identifizierte 1977 das künftige Fördermaximum der Sowjetunion als kritischen Schwachpunkt - 4 Jahre nach dem Peak kollabierte die UdSSR

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Nach dem Informationsfreiheitsgesetzt (FOIA) können US-Bürger seit 1966 unter dem demokratischen Präsidenten Johnson Einsicht in beinahe alle Regierungsunterlagen verlangen. Bekanntlich gibt es allerdings auch gewisse Einschränkungen, beispielsweise wenn es um die nationale Sicherheit geht. Da dies ein dehnbarer Begriff ist, hat der Republikaner Ronald Reagan in den 1980ern die Einsicht in sicherheitsrelevante Unterlagen weiter einschränkt. 1995 lockerte Bill Clinton nach dem "gewonnenen" Kalten Krieg die Bedingungen wieder, und so kam am 29. Januar 2001 - eine Woche nach dem Amtsantritt von George Bush Jr. und wenige Monate vor einer erneuten Begrenzung - ein Dokument ans Licht, das belegte, wie die CIA 1977 die künftige maximale Ölförderung der UdSSR als wirtschaftlichen Schwachpunkt identifizierte. Die Geschichte, die hier erzählt wird, ist also keineswegs neu. Wer sich auf den einschlägigen englischsprachigen Peak-Oil-Webseiten im Internet häufig aufhält, dem dürfte die Geschichte seit einigen Jahren bekannt sein. Doch beiläufig entdeckte ich, dass sie auf deutsch anscheinend noch nicht online erzählt worden ist (man möge mich im Forum eines Besseren belehren), obgleich das Thema Peak Oil immer aktueller geworden ist.

Verweise auf das Dokument findet man auf diversen Peak-Oil-Webseiten, während das Dokument selbst direkt bei der CIA zu finden ist: die ersten zwei Seiten hier oder alle 14 Seiten auf der FOIA Seite der CIA, wenn man das Kürzel "ER 77-10147" ins Suchfeld eingibt. Dann öffnet sich ein Text mit dem Titel: "Intelligence Memorandum, March 1977, The Impending Soviet Oil Crisis".

Die Grafik aus dem geheimen Dokument von 1977 zeigt, dass die UdSSR in Kürze die Ölförderung nicht mehr erhöhen kann. Die USA hatten den Scheitelpunkt der Produktion schon 1970 überschritten und wussten von daher nur zu gut, was Peak Oil bedeutet.

Die kommende Krise in der UdSSR hänge, so die nicht namentlich genannten Autoren, damit zusammen, dass einerseits die UdSSR rund 3/4 des Ölbedarfs im Ostblock decke, anderseits erwirtschafte die UdSSR 40% seiner Devisen alleine durch Ölexporte. Wenn die Ölförderung der Sowjetunion sinke, dann würde das Land zwischen Devisen aus dem Westen und Solidarität mit dem Ostblock entscheiden müssen. "Schlimmstenfalls", so die CIA-Mitarbeiter, "wird die UdSSR selbst zum Abnehmerland."

Das Dokument berichtet außerdem davon, wie die Sowjets damals verzweifelt versuchten, die Fördermenge aufrecht zu erhalten - und welche Gefahren sie dabei liefen. So wurde auf Kosten der langfristigen Fördermenge die Produktion kurzfristig erhöht. Aber durch das Einpumpen von Wasser in die ölhaltigen Schichten kann zwar kurzfristig die Fördermenge erhöht werden, aber die Gefahr besteht auch, dass größere Teile der unterirdischen Ölfelder nicht mehr zugänglich sind. Die USA hatten das bis 1977 schon zur Genüge am eigenen Leib erfahren.

Erstaunlich, wie es dem CIA-Bericht gelingt, die langatmigen technischen Erklärungen heutiger Peak-Oil-Warner zu komplizierten Themen wie Wasseranteilen oder verschiedenen Bohrmethoden klipp und klar auf wenigen Seiten rüberzubringen - ganz so, als wollte man den Sachverhalt intelligenten, aber nicht fachkundigen Kollegen verständlich machen.

Der Pakt zwischen Washington, Houston und den Saudis

Was die US-Politiker aus dem Bericht machten, ist nicht klar, aber was in den 1980ern unter Reagan passierte schon. So hat Washington (siehe unter anderem "Der Preis: Die Jagd nach Öl, Geld und Macht" von Daniel Yergin) mit Saudi-Arabien vereinbart, dass ein niedriger Barrelpreis von rund 20 USD angestrebt werden sollte, schließlich könnten die Saudis nicht nur ihre Petrodollars durch den Verkauf von Öl, sondern auch durch die Reinvestierung des Geldes in brummende westliche Volkswirtschaften vermehren.

Ein schöner Nebeneffekt für die USA an diesem Deal: Die Sowjetunion wäre gezwungen, ihre Produktion zu erhöhen, wollte sie an die gleichen Devisensummen kommen. Das allerdings würde die Krise der UdSSR nur noch schneller herbeiführen, denn die Überproduktion würde den Scheitelpunkt der Förderung nur weiter vorziehen. Zwar hatten die USA diesen Scheitelpunkt bereits hinter sich, doch die Amerikaner waren 1970 gar nicht auf Ölexporte angewiesen. Bei der ersten Ölkrise 1973 waren sie schließlich noch Exportland.

So hat sich der Preis eines Ölbarrels von 1861-2006 entwickelt: Die gelbe Linie ist inflationsbereinigt (in US-Dollars von 2006), während die schwarze Linie den nominellen Preis angibt. Nach den anfänglichen Tumulten von 1861-1880, als das Erdöl noch keine große Rolle in der Volkswirtschaft spielte, blieben die Preise bis zu den beiden Ölkrisen in den 1970ern relativ stabil. Dann allerdings versechsfachte sich der Preis (bereinigt) in nur 6 Jahren. In den 1980ern strebten dann die Saudis offiziell einen nominellen Preis von 20 USD an. Bis vor wenigen Jahren hatten sie damit auch Erfolg. Im Augenblick steigt der Ölpreis nicht nur auf nominelle Rekordhöhen, sondern betritt wohl auch bald bereinigtes Neuland. Seit 2003 hat sich der Barrelpreis mehr als verdreifacht. Grafik (größer): Michael Ströck unter GFDL

Doch 1975 hatten die USA zum letzten Mal einen Handelsüberschuss, seit 1976 exportieren die USA vor allem die eigenen Banknoten: Möchten Japan oder Deutschland Erdöl auf dem Weltmarkt kaufen (egal ob von Venezuela oder Kuwait), müssen sie quasi erst Produkte an die Amerikaner verkaufen (oder Dollarreserven von Banken kaufen, was in diesem Zusammenhang auf das gleiche rauskommt). 1970 erreichten die USA ihr Fördermaximum; bereits 1976 wurde das ehemalige Geberland zum Kreditnehmer. Wäre der Dollar nicht die Währung für alle Ölmärkte weltweit, wäre die US-Wirtschaft wohl schon längst kollabiert.

Der Sowjetunion erging es nicht besser. 1987 überschritt sie ihren Förderzenit. Ende 1991 gab es sie nicht mehr.

Was lernen wir daraus?

Ob Reagan überhaupt einen Plan hatte, um die Sowjetunion in die Knie zu zwingen, ist zweifelhaft. Falls es aber einen Plan gegeben haben sollte und falls der CIA-Bericht für diesen als Grundlage diente, dann wäre er genial gewesen. Sicher ist allerdings, dass Peak Oil schon vor 30 Jahren in CIA-Kreisen nicht nur bekannt, sondern nicht einmal in seiner verheerenden Auswirkung umstritten war, auch wenn die Prognose um ein paar Jahre daneben lag. Wenn der Rückgang der heimischen Ölproduktion die eigene Wirtschaft so durcheinander wirbeln kann, was passiert erst dann, wenn das globale Fördermaximum erreicht ist?

Umgekehrt gilt das Gleiche: So ist der Aufschwung Großbritanniens in den 1980ern weniger der Liberalisierung durch Thatcher zuzuschreiben, als der Entdeckung der Ölfelder in der Nordsee, die das Land für kurze Zeit (bis 2003) zum Ölexporteur machten. Was haben die drei Länder in Europa, die den Euro bis heute entschieden ablehnen, gemeinsam? Richtig: Norwegen, die UK und Dänemark produzieren am meisten Öl.

Vor allem ist aber der CIA-Bericht von 1977 ein weiterer Beleg dafür, dass die Argumente hinter dem Begriff "Peak Oil" stimmen. Die fachliche Beschreibung im CIA-Bericht zur UdSSR könnte (von einigen Innovationen abgesehen) aus dem Buch: "Twilight in the Desert: The Coming Saudi Oil Shock and the World Economy" von Matthew Simmons zu Saudi-Arabien stammen.

Man sagt seit Jahrzehnten eine kommende Ölknappheit voraus, während die Förderung trotzdem kontinuierlich gestiegen ist. Die Prognosen einer Knappheit sind aber nicht politisch motiviert. Wie es das angesehene Industrieblatt Oil & Gas Journal im Jahre 2003 sagte, sind die Prognosen einer Knappheit so alt wie die Industrie, aber: "What has changed is the growing amount of historical oil data now available to test forecasts."