Feindliche Soldaten oder gewöhnliche Kriminelle?

Beim "war on terror" und Verteidigungsminister Jungs Überlegungen zum Abschuss von Passagierflugzeugen bleiben die Bürgerrechte auf der Strecke. Dabei weisen Argumente, die vor 30 Jahren gegen die "Rote Armee Fraktion" benutzt wurden, den rechtsstaatlich einwandfreien Weg

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Die bundesdeutschen Terroristen der "Rote Armee Fraktion" (RAF) erklärten dem Staat und seinen Repräsentanten den Krieg. Und die in Stuttgart-Stammheim in Untersuchungshaft sitzenden führenden RAF-Köpfe sahen sich selbst als Kriegsgefangene. Doch der Staat tat ihnen den Gefallen nicht. Die "Baader-Meinhof-Bande" wurde als "kriminelle Vereinigung" gewertet und juristisch auch so behandelt.

Trotz aller damaligen Anti-Terror-Gesetze waren sich nämlich Regierung, Medien und Volk darin einig, dass Mord und Entführung eben keine Kriegshandlungen sind, sondern kriminelle Akte. Deshalb sind Polizei und Strafjustiz die Staatsorgane, mit denen man solchen Taten beikommen kann und muss. Klar, es gab auch Blödsinn wie den "Radikalenerlass", der nicht der Terroristenbekämpfung, sondern der Einschränkung der Meinungsäußerung diente. Aber auf die Idee, die wenige Jahre zuvor verabschiedeten Notstandsgesetze anzuwenden und die Bundeswehr gegen die Attentäter marschieren zu lassen, kam vernünftigerweise niemand.

Ganz anders nach dem Schock des 11. September 2001: Sofort wertete die UN die monströsen Flugzeug-Attentate als militärischen Angriff und rasch stellte die Nato den "Bündnisfall" fest. Damit begann der Schlamassel. Religiös Verblendete wie Bin Ladens Al-Qaida-Kämpfer wurden damit ausgerechnet von den USA und der Nato zu dem geadelt, was sie sein wollten: zu militärischen "Kriegern" gegen den dekadenten Westen.

Anstatt mit militärisch-robusten Polizeitruppen auf Verbrecherjagd zu gehen, machte die US-Regierung und ihre "Koalition der Willigen" das Fass des "war on terror" auf. Könnten die religiös verblendeten Kleingruppen-Kämpfer lachen, würden sie sich über diese Ironie herzhaft die Schenkel klopfen. Denn mit der Ernennung zu einem militärisch potenten Gegner wurde ihnen unendlich mehr Kraft angedichtet, als sie in der Realität aufbringen können. Allen Schäuble-Unkenrufen zum Trotz: Fritz G. und Konsorten bringen vielleicht gerade noch die Kraft auf, ein paar Fässer Wasserstoffperoxid illegal zu beschaffen. Eine "schmutzige Bombe" bauen können diese kriminellen Bastler nicht.

Es sind gerade die Nebenwirkungen des "war on terror", die den Westen unterliegen lassen: Im Irak wird ein von "think tanks" lang vor 9/11 geplanter Krieg geführt, der auf ewig mit den Folter-Bildern von Abu Ghraib und der Privatisierung der Kriegsführung durch die Blackwater-Söldner verbunden bleiben wird.

Im Inneren entwickelt sich das amerikanische Heimatschutzministerium zu einer Krake, die bereits heute viel gemeinsam hat mit Orwells "Miniwahr". Und in Europa beeilen sich die Regierungen, die verschiedenen Versionen von "Stasi 2.0" als taugliches Mittel im Kampf gegen den islamistischen Terror zu preisen. Und wer es wagt, gegen die Beschneidung von Bürgerrechten zu demonstrieren, wird - wenn er sich als Anhänger des "schwarzen Blocks" zeigt - vom Fleck weg verhaftet.

Am Ende wird George Orwell recht behalten, der "1984" im Jahr 1948 als Anklage gegen die stalinistischen Schauprozesse schrieb. Er zeigte, dass gerade Diktaturen einen monströsen militärischen Feind zur Rechtfertigung ihrer Menschenrechtsverletzungen benötigen. Demokratien dagegen zeichnen sich dadurch aus, dass es keine "Gedankenverbrechen" gibt - sondern bloß die rechtsstaatlich organisierte polizeiliche Verfolgung krimineller Flugzeugentführer, Massenmörder und Bombenbauer.

Vor 30 Jahren war dies der selbstverständliche Stand der Debatte. Dass hier heute nur noch Überwachungsgegner, ehemalige Innenminister und das Verfassungsgericht die Fahne hochhalten, stimmt bedenklich.