Blinde Flecken

Iran, Israel, Indien: Wie gerecht geht der Westen mit dem iranischen Nuklearprogramm um?

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Die Debatte um das Nuklearprogramm sei für sein Land abgeschlossen, erklärte der iranische Präsident Ahmadinedschad gestern in seiner Rede vor der UN-Vollversammlung. Vertreter der westlichen Staaten, allen voran US-Präsident Bush, bestärkt vom französischen Präsidenten Sarkozy und der deutschen Kanzlerin Merkel sehen das nicht so und drängen auf eine Verschärfung der UN-Sanktionen gegen Iran, da das Land weiterhin nicht auf Urananreicherung verzichten will. So aufrichtig und gerecht, wie sich die westlichen Vertreter in dieser Sache gerieren, sind sie allerdings nicht. Die Unsicherheit in Fragen des nuklearen Arsenals rührt nicht ausschließlich von Iran, wie es derzeit gerne dargestellt wird. Sie ist vom Westen hausgemacht, ein deutliches Signal für ein grundlegendes Ungleichgewicht ist die Sonderbehandlung zweier Atommächte, nämlich Israels und Indiens.

Bild: UN Photo/Marco Castro

Für Ahmadinedschad ist das Nuklearprogramm seines Landes nur mehr eine gewöhnliche "technische Angelegenheit" , wie er gestern betonte, eine Sache, die der Oberaufsicht durch die internationale Atombehörde unterstellt ist. Der Präsident verwies auf den Fahrplan, den Iran mit der IAEA ausgehandelt habe, sehen.

Dem widerspricht zunächst, dass Fragen zum Nuklearprogramm eines Landes ganz grundsätzliche sicherheitspolitische Fragen sind. Dass die nukleare Nichtverbreitungspolitik seit längerem schon in der Krise ist, zeigt die politische Brisanz hinter den Fragen, welches Land welche Programme verfolgen darf. Die alte Aufteilung in Kernwaffenmächte und Nichtkernwaffenstaaten garantiert längst keine Stabilität mehr, weil sich längst nicht mehr alle Staaten daran halten, wie Indien, Pakistan, Israel, Nordkorea. Libyen und Irak gezeigt haben.

Dass die Frage nach dem Atomprogramm Irans nicht nur eine technische ist, muss auch Ahmadinedschad wissen. Das zivile Nuklearprogramm Irans, das auf Urananreicherung im eigenen Land besteht, kann umgerüstet werden, weshalb das auch eine politische Frage ist, in der Vertrauen eine große Rolle spielt. Und Iran hat in der Vergangenheit durchaus Zweifel an seiner Vertrauenswürdigkeit im Umgang mit IAEA-Inspektionen genährt. Weshalb also sollte der Westen der Erklärung Ahmadinedschads jetzt ohne Skepsis begegnen?

Nur kann man auch die Gegenfrage stellen: Warum sollte Iran dem Westen vertrauen? Nicht nur, dass man seinem Präsidenten sehr augenfällig demonstriert, wie arrogant man tatsächlich ist und wie wenig man sich auf seine Ansichten einlassen will, indem die US-Delegierten ostentativ das Plenum verließen, als Ahmadinedschad zu sprechen begann (ein Verhalten, das nicht sehr von den Werten der Aufklärung, die dauernd beschworen werden, bestimmt ist): Man ignoriert also den Vertreter Irans und drängt in eigenen Reden, wie etwa Merkel oder Bush, zur Verschärfung von Sanktionen gegen Iran. Um zu betonen, dass man den Kurs hält, sprich den Konfrontationskurs gegen Iran.

Genau so gibt man dem iranischen Präsidenten Recht, der dem Westen vorwirft, die UNO und insbesondere den Sicherheitsrat als strategisches Tool gegen Iran zu missbrauchen. Hat man denn im Westen überhaupt noch Kompromissvorschläge auf Lager? Will man überhaupt noch verhandeln oder geht es nur noch darum, Iran in der Ecke zu halten und Machtpolitik mit Kriegsdrohungen zu betreiben?

Bundeskanzlerin Merkel in ihrer Rede zum Thema Iran: "Der Iran hat in klarem Widerspruch zu den Forderungen der IAEO und der VN sein Nuklearprogramm kontinuierlich fortgesetzt. Über die Brisanz dieses Programms sollte sich niemand Illusionen machen. Der Iran ignoriert die Resolutionen des Sicherheitsrates. Er stößt unverhohlene Drohungen gegen Israel aus. Machen wir uns nichts vor: Wenn der Iran in den Besitz der Atombombe käme, dann hätte das verheerende Folgen: Zuerst und vor allem für die Existenz Israels, dann für die gesamte Region und schließlich – weit darüber hinaus – für alle in Europa und der Welt, denen die Werte Freiheit, Demokratie und Menschenwürde etwas bedeuten. Deshalb muss verhindert werden, dass der Iran in den Besitz der Atombombe kommt. Beim entschlossenen Vorgehen gegen die Provokationen des Iran darf sich die internationale Gemeinschaft nicht spalten lassen. Nicht die Welt muss Iran beweisen, dass der Iran die Atombombe baut. Iran muss die Welt überzeugen, dass es die Atombombe nicht will." Bild: UN Photo/Marco Castro

Der neusten Ausgabe von Newsweek zufolge wird demnächst ein Bericht des National Intelligence Estimate erwartet, wonach Iran frühestens 2010 und "wahrscheinlich" erst 2015 die Atombombe bauen könne. Ein Militärschlag gegen Iran von amerikanischer Seite gilt nach Newsweek-Informationen als wenig wahrscheinlich. Die Drohung bleibe aber als strategisches Mittel auf dem Tisch, Iran solle stetig verunsichert werden. Aber vielleicht gibt es einen Militärschlag von Seiten Israels, so das amerikanische Magazin: "The question may not be whether America is ready to attack, but whether Israel is."

Dass man im Westen, was die israelische Atompolitik betrifft, offiziell nicht genau hinsehen will, führt zum berechtigten Vorwurf der doppelten Maßstäbe und untergräbt internationale Abkommen wie dem Atomwaffensperrvertrag. Dokumenten zufolge, die nach eigener Aussage der AP vorliegen, will Israel von den Nichtverbreitungsregeln ausgenommen werden, um "legal atomares Material importieren" zu können. Man beruft sich in schriftlichen Anfragen an die 45 Nationen starke Nuclear Suppliers Group, auf die sich die AP-Meldung stützt, an die Ausnahme, die Indien in seinem Nuklear-Deal mit den USA gewährt wird (Nuklearpakt zu Lasten der Sicherheit).

Selbst wenn es nach dem AP-Bericht nicht danach aussieht, als ob Israel mit seinem Ansinnen auf positive Resonanz stößt, bleibt die Tatsache, dass die israelische Nuklearpolitik von internationaler Überwachung ausgeschlossen ist, ein fortdauernder Spezialfall, wie Indien. Und wer sieht Pakistan, unter der Herrschaft des mit der derzeitigen Regierung gut befreundeten Muscharraf, genau auf die nuklearen Finger?

Es ist auch die Politik der unterschiedlichen Maßstäbe, welche die atomare Sicherheit außer Balance setzt und das haben sich die westlichen Führungsmächte selbst zuzuschreiben, nicht dem augenblicklich schwer angesagten Sündenbock Ahmadinedschad.

Auch Nordkorea, das wegen einer angeblichen Lieferung von Atommaterial an Syrien erneut unter Druck geraten ist (Aktivitäten im Dreieck Syrien, Iran und Israel), macht sich den praktizierten doppelten Maßstab zunutze. Man habe Syrien nichts geliefert, wird in der Zeitung Rodong Sinmun beteuert, und wirft den USA vor, die Augen in dieser Sache bei den Alliierten zu schließen, während bei der friedlichen Nutzung der Atomenergie durch andere Staaten eingeschritten wird. Als Beispiel wird die atomare Aufrüstung Israels angeführt. Die USA hätten diese lange unterstützt und befördert, Experten geschickt und angereichertes Uran geliefert. Vorgeworfen wird der US-Regierung, damit den Atomwaffensperrvertrag zu brechen.