Bundesgericht weist Teile des Patriot Act als verfassungswidrig zurück

Mit dem Urteil könnten die nach dem 11.9. von der US-Regierung durchgesetzten heimlichen Überwachungs- und Durchsuchungsmaßnahmen eingedämmt und ein wichtiger Teil des Rechtsstaates wieder zurückerobert werden

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Nach dem Urteil der Richterin Anne L. Aiken vom Bundesgerichtshof in Portland sind wichtige Teile des nach den Anschlägen vom 11.9. von der US-Regierung durchgedrückten Patriot Act (Anti-Terror-Paket in den USA auch vom Senat verabschiedet), dem Vorbild für viele andere Antiterror-Gesetze wie dem Schily-Paket in Deutschland (Der neue Otto-Katalog ist da), verfassungswidrig. Der Grund ist, dass nach dem Patriot Act Überwachungsmaßnahmen und heimliche Hausdurchsuchungen ohne richterliche Genehmigung möglich sind, ohne eine stichhaltige Begründung für einen Verdacht vorzulegen (FBI hat sich Lauschangriffe erflunkert).

Die Richterin hatte die Klage eines zum Islam konvertierten US-Bürgers zu behandeln. Brandon Mayfield war im Mai 2004 in den USA festgenommen worden, weil auf einem Plastiksack in Madrid nach einem Vergleich mit der FBI-Datenbank seine Fingerabdrücke gefunden worden sein sollen (Spitzel in Madrider Anschläge verwickelt). Den Sack mit Zündern, wie sie bei den Anschlägen im März in Madrid verwendet wurden, hatte man in einem Auto entdeckt, das in einem Vorort in der Nähe eines Anschlagorts geparkt war. Die spanische Polizei bezweifelte damals bereits an, dass es sich um Mayfields Fingerabdrücke handelt, das FBI in den USA nahm Mayfield, der seit 1994 nicht mehr außerhalb der USA verreist war, auch nicht als Verdächtigen, sondern als wichtigen Zeugen fest, um ihn ohne Anklage inhaftieren zu können. Mayfield kam nicht nur als konvertierter Muslim, sondern auch deswegen in Verdacht, weil er als Anwalt in einen Fall verwickelt war, bei dem es um das Kind eines Mannes ging, der wegen Unterstützung von al-Qaida verurteilt worden war.

Nur aufgrund des schlampig ausgeführten Fingerabdruckvergleichs hat das Justizministerium unter dem damaligen Minister Ashcroft das volle Überwachungsprogramm gestartet, das nach dem 11.9. möglich war. Der Anwalt und seine Familie mitsamt Kindern wurden ab dem 20. März wochenlang bis zur Festnahme lückenlos vom FBI, der CIA, der NSA, dem Heimatschutzministerium, dem Pentagon, dem National Security Council und dem Finanz- sowie Justizministerium überwacht und belauscht. Nach dem FISA-Gesetz wurde sein Haus verwanzt, in der Abwesenheit der Familie wurde mehrmals heimlich sein Haus durchsucht, was allerdings so ungeschickt gemacht wurde, dass Mayfield dies schnell entdeckte. Auch die Anwaltskanzlei wurde so durchsucht, und man hörte die Telefone in seinem Privathaus und in seinem Büro ab. Nach der Festnahme am 6. Mai, die erfolgte, obgleich die spanische Polizei Tage zuvor schriftlich begründet hatte, warum die Fingerabdrücke nicht von Mayfield stammen, wurden die Aktionen noch einmal verstärkt. Es wurden Dokumente und Computer in der Kanzlei und im Privathaus, sogar die Schulhefte der Kinder beschlagnahmt und durchsucht. Polizei und Justizministerium gaben dann auch den Medien bekannt, dass der Anwalt unter Verdacht steht, an den Terroranschlägen in Madrid beteiligt gewesen zu sein und dass seine Fingerabdrücke zu 100 Prozent mit dem auf dem Plastiksack übereinstimmten.

Erst nachdem die spanische Polizei die Fingerabdrücke einem anderen Verdächtigen zuschreiben konnte, wurde Mayfield freigelassen. Mayfield musste frei gelassen werden und erstattete Anzeige. Letzten November gewann er den Prozess. Das Justizministerium entschuldigte sich und zahlte 2 Millionen US-Dollar Haftentschädigung. Allerdings hatte der Anwalt sich das Recht vorbehalten, weiterhin gegen die Bestimmungen des Patriot Act klagen zu können, mit denen das FBI ihn und seine Familie überwachen konnte.

Nach dem Urteil der Richterin hatten die Sicherheitsbehörden ohne ausreichende Beweislage und ohne richterliche Genehmigung die Durchsuchungen, Lauschangriffe und Telekommunikationsüberwachung vorgenommen – unter Zuhilfenahme des im Patriot Act veränderten FISA-Gesetzes, mit dem aufgrund einer Behauptung - "significant purpose" – auch ausländische Informationen eingeholt werden können. Nur aufgrund einer Behauptung also, so die Richterin, können nun die Sicherheitsbehörden Überwachungsmaßnahmen auch bei US-Bürgern ohne richterliche Genehmigung ausführen, was seit der Einführung der Bill of Rights 1791 verboten ist und weiterhin gegen den vierten Verfassungszusatz verstoße:

Das Recht des Volkes auf Sicherheit der Person und der Wohnung, der Urkunden und des Eigentums vor willkürlicher Durchsuchung, Verhaftung und Beschlagnahme darf nicht verletzt werden, und Haussuchungs- und Haftbefehle dürfen nur bei Vorliegen eines eidlich oder eidesstattlich erhärteten Rechtsgrundes ausgestellt werden und müssen die zu durchsuchende Örtlichkeit und die in Gewahrsam zu nehmenden Personen oder Gegenstände genau bezeichnen.

Mit klaren und unmissverständlichen Worten, die sich auch manche Sicherheitspolitiker in Deutschland zu Herzen nehmen könnten, kritisierte Aiken in ihrem Urteil das Vorgehen der Sicherheitskräfte und der Bush-Regierung:

Über 200 Jahre hat sich diese Nation an die Herrschaft des Gesetzes gehalten – mit einem beispiellosen Erfolg. Eine Veränderung hin zu einer Nation, die auf einer außerhalb der Verfassung beruhenden Autorität basiert, ist ebenso illegal wie schlecht beraten.

Der Antrag des Justizministeriums, die Klage von Mayfield gegen den Patriot Act abzuweisen, so die Richterin, würde darauf hinauslaufen, die Verfassung anders formulieren zu müssen, als deren wirkliche Bedeutung ist: "Dieses Gericht weist dies zurück." Man sei sich aber durchaus bewusst gewesen, dass es hier um einen "schwierigen Ausgleich" gegangen sei, bei dem Friede und Sicherheit der Nation und gleichzeitig die Verfassungsrechte und die Bürgerfreiheiten aller Amerikaner geschützt werden müssen.

Der Zweck des Patriot Act sei es gewesen, die Grenzen zwischen Strafverfolgungsbehörden und Geheimdiensten niederzureißen. Mit der Einführung einer oberflächlich unbedeutenden Veränderung der Formulierung sei es dann der Regierung möglich gewesen, die Verfassung und die gegenseitige Kontrolle von Exekutive, Legislative und Judikative zu umgehen, also die für eine eine rechtsstaatliche Demokratie fundamentale Gewaltenteilung auszuhebeln.

Prior to the Patriot Act, the government was required to certify that the primary purpose of its surveillance was to obtain foreign intelligence information. The Patriot Act now authorizes FISA surveillance and searches as long as a significant purpose of the surveillance and searches is the gathering of foreign intelligence. 50 U.S.C. §§ 1804(a)(7)(B) and 1823(a)(7)(B).