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"Wertkonservative" und andere Wellenreiter der Reaktion

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Wie der gesellschaftliche Rollback aussieht, wenn er sich hinter freundlichen Phrasen und pseudoaufgeklärten Ordnungsphantasien versteckt, ist bekannt. Der allgemeine Begriff dafür lautet seit Jahren "Reform". Zunehmend drängen aber auch wieder die harten Freunde des Mittelalters in die Öffentlichkeit, und sie predigen, was sie immer gepredigt haben: den Kampf gegen die Moderne.

Als im letzten Monat das Veranstaltungsprogramm zu einem Kongress über "Religiosität in Psychiatrie und Psychotherapie" bekannt wurde, der vom 11. bis 13.10.2007 in Graz stattfinden wird, erregten zwei der angekündigten Vortragenden Aufsehen.

Wo die Medizin versagt, soll’s der Glaube an Dämonen richten?

Zum einen hatte sich Larry Hogan, der Exorzist der Erzdiözese Wien, angesagt. Manche werden wohl gestaunt haben, dass es das Amt überhaupt noch gibt, aber der gute Mann will dem Fachpublikum nicht nur diese Tatsache selbst präsentieren, sondern auch noch ein Thema: "Gibt es Besessenheit jenseits der Psychose?" In der Veranstaltungsankündigung heißt es:

Nicht alle Phänomene, die Patienten schildern, sind Symptome einer psychotischen Störung. Manchmal vermuten die Betroffenen selbst eine übernatürliche Ursache, wagen sie aber meist nicht dem Psychiater gegenüber auszusprechen. Ein weiterer Hinweis auf das Vorliegen einer übernatürlichen Ursache ist die Therapieresistenz. Wenn man dagegen die Berichte in den Evangelien und die Lehre der Kirche betrachtet, so können diese Symptome als dämonische Angriffe auf einzelne Menschen erkannt werden.

Christliche Komplementärpsychologie also: Wo die Medizin versagt, soll’s der Glaube an Dämonen richten, hauptsächlich aber der an ihren ärgsten Feind, den Exorzisten. Der zweite Beitrag aus dem Paralleluniversum stammte von einem gewissen Markus Hoffmann und beschäftigte sich mit "therapeutischem Arbeiten bei ichdystoner Sexualorientierung". Was damit gemeint ist, kann man sich anhand der übrigen Aktivitäten von Herrn Hoffmann erklären: Er steht für Beratungs- und Therapieangebote, bei denen Schwule von ihrer Homosexualität "geheilt" werden, immer im Namen des Herrn natürlich.

Wenn man genau hinsieht, ist es kein gar zu großes Wunder, dass solche Inhalte auf dem Kongress auftauchten, soll es sich doch bei dem Kongressleiter Raphael M. Bonelli um ein Laienmitglied von Opus Dei (vgl. Lernen mit Opus Dei)handeln.

Potenziellen Teilnehmern war die Vorstellung von Exorzisten und christlich orientierten Schwulenheilern auf einem großen Psychiatriekongress aber dann doch ein wenig zu viel. Es gab Proteste, die Veranstaltungsleitung antwortete mit den erwartbaren Beschwichtigungsmanövern. Franz Voves, der Landeshauptmann der Steiermark, drohte, der Veranstaltung seinen "Ehrenschutz" (die Schirmherrschaft) zu entziehen, wenn Hoffmann dort auftauche.

Zum Schluss geschah etwas höchst Bezeichnendes: Hoffmann zog sich zurück, aber Hogan nicht. Während also die Empörung der schwulen Community ausgereicht hatte, die therapeutisch verkleidete Homophobie von dem Kongress fernzuhalten, wird sich Herr Hogan aller Voraussicht nach bei einem wissenschaftlich lackierten Kongress über "Dämonen" verbreiten, und es finden sich natürlich auch noch andere, die mit ihm in liberaler Tradition darüber reden wollen.

Ein hysterischer Sprung zurück vor die Aufklärung

Dass solche Phänomene keine Kuriositäten sind, die man lachend unter der Rubrik "Vermischtes" abhaken kann, beweist die Tatsache, dass selbst eine Gabriele Kuby regelmäßig ihr Publikum findet. Frau Kuby, die Herrn Hoffmanns Grazer Pleite bei einem ihrer jüngsten Auftritte im Schwäbischen ganz fürchterlich beklagte, hat einen Spezialfeind, dem sie mit zunehmendem Engagement die Stirn bietet: die Weltverschwörung der Gendertheoretikerinnen.

Diese Frevlerinnen, mehrheitlich lesbisch veranlagt, hätten die Universitäten schon komplett in der Hand und setzten nun zum Sprung an, selbst im Kindergarten die unheilvolle Lehre von der Relativität der Geschlechter durchzusetzen. Es sei dies eine von langer Hand geplante Unterwanderungsaktivität, welche die gottgewollte Unterscheidung zwischen Männern und Frauen zu untergraben sich anschicke. Geheimes Ziel: der neue "Gendermensch".

Oben fiel das Stichwort vom "Rollback". Aber was sich hier entwickelt, hat mit Rollen eigentlich gar nichts mehr zu tun. Ein hysterischer Sprung zurück vor die Aufklärung ist das, ein heißes Zurückzucken vor den Verwirrungen, welche die Paradigmenwechsel der Moderne nach sich gezogen haben, das Aufjaulen einer Gemeinde, die sich lammfromm die Erde flach, die Geschlechter eindeutig, das Bündnis von Thron und Altar gefestigt und den Bart des lieben Gottes weiß wünscht. Beim Beten sammeln diese Leute aber schon einmal die Steine ein für die Abrechnung mit all jenen, die mit ihren Ammenmärchen nichts anfangen können.

Einheitlicher Feind: die Moderne

Aber es geht hier nicht einmal nur um ein Christentum, das durch die Herausforderung des gefürchteten und gleichzeitig bewunderten Islam den inneren Taliban entdeckt. Es ist genauso eine Eva Hermann, die ihre regressiven Trugbilder eher treudeutsch-ordnungsstaatlich aufbürstet und dabei umgehend in der braunen Tunke landet. Keine Verschwörung, keine Front sehen wir hier in Aktion, aber einen Impetus, der sich gegen einen einheitlichen Feind richtet: die Moderne.

Herr Ratzinger in Rom, laut Frau Kuby "die Stimme der Wahrheit auf dieser Erde", macht natürlich schon von Amts wegen bei dem Kampf gegen die Moderne mit, aber er bekennt auch persönlich Farbe in seiner Wiederbelebung des Exorzistenunwesens und der tridentinischen Messe.

Literaten wie Martin Mosebach, die ihn bei letzterem anfeuern, machen aus Liebe zu Form und Ästhetik mit; und die eher weltlich orientierten Wertschwätzer, Sekundärtugendbolde, Familienfetischisten und Supermuttis wollen auch nicht abseits stehen, wenn in den Feuilletons und Talkshows das Abendland gerettet wird.

Die unterschiedlichen Fraktionen dieser im Entstehen begriffenen Bewegung mögen von divergierenden Interessen angetrieben sein, ihre Ideologien mögen unterschiedlich gefärbt sein, aber eines ist ihnen allen gemeinsam: der Hass auf rationales Denken. Kritik ist ihnen zuwider, alles Gute stammt von oben oder ist von gestern; außer Hierarchie, Gehorsam, Form und Tradition zählt nichts.

Wahlweise wird die Soße mehr mit den Gewürzen "Gott", "Vaterland" oder "Abendland" abgeschmeckt, aber die Speisekarte bleibt insgesamt relativ kurz. Das kennt man. Man kennt es nur allzu gut, und in Deutschland sollten schon die Aufwärmübungen dieser Leute alle Alarmglocken läuten lassen. Natürlich ist das Gegenteil der Fall. Der altbackene Unfug findet, wie gesagt, sein Publikum; der Ekel des Menschen vor sich selbst und vor den Fehlleistungen der Moderne hat einen Grad erreicht, bei dem die mottenzerfressenen Parolen von vorvorgestern wie eine Alternative zu wirken beginnen. Der regressive Widerwille gegen die Benutzung des eigenen Verstandes feiert sich als das neue Ding.

Aber wo es keine menschlichen Lösungen gibt - wie Kuby auf ihrer Website schreibt, weil sie meint, ihre Religion sei nichtmenschlichen Ursprungs - da landet man schnell bei unmenschlichen. Ob die sich nach Art des neuen Taliban-Christentums aufbrezeln oder rechtskonservativ-faschistoid, spielt dann kaum noch eine Rolle.