Überwachung auf Verdacht

Niedersächsisches Polizeigesetz auf dem Prüfstand

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Am kommenden Dienstag befasst sich das Landgericht Göttingen mit der Klage des AKW-Gegners Daniel H. Der Physikstudent war im Vorfeld der Castortransporte zwei Wochen lang auf Schritt und Tritt überwacht worden. Damit sollte seine Mitgliedschaft im Göttinger Anti-Atom-Plenum belegt werden. Über Monate hinweg wurden die öffentlichen Treffen der Gruppe observiert und die Teilnahme jeder Person aufgeschrieben.

Die Beobachtung war sogar noch fortgesetzt worden, nachdem der Fall schon von den Medien aufgegriffen worden war. Die Polizei rechtfertigte die Maßnahme mit dem Verdacht auf die Planung schwerer Straftaten. So sei beabsichtigt gewesen, den Castor durch das Anzünden eines Autos auf den Schienen zu blockieren.

Die Anti-AKW-Initiativen und Daniel H. haben diese Vorwürfe zurückgewiesen. Ein Verfahren gegen Daniel H. in dieser Sache wurde auf Betreiben der Staatsanwaltschaft eingestellt (Kein Freibrief für Überwachungen). Der Betroffene und die politischen Initiativen haben hingegen auf einen Prozess gedrängt, mit dem sie die Haltlosigkeit der Vorwürfe beweisen wollten. Weil durch die Einstellung eine Klärung nicht möglich war, hat Daniel H. über seinen Anwalt Johannes Hentschel Klage gegen das Polizeigesetz eingereicht.

Der Ausgang des Verfahrens dürfte auch den niedersächsischen CDU-Innenminister Uwe Schünemann interessieren. Der ist nämlich ein Protagonist des niedersächsischen Polizeigesetzes, das unter bürgerrechtlichen Aspekten schon von Anfang an in der Kritik stand. Es sieht präventive Überwachungsmaßnahmen ohne Verdacht nach dem §33a ausdrücklich vor. Kritiker haben einen Zusammenhang zwischen diesem Gesetz und den fast alljährlichen Protesten gegen den Castortransport im niedersächsischen Gorleben gezogen.

Schon Ende Juli 2005 hatte das Bundesverfassungsgericht die vorbeugende Polizeiüberwachung für nichtig erklärt und Schünemann damit eine Niederlage bereitet. Sollte jetzt die präventive Observation ebenfalls für unvereinbar mit der Verfassung erklärt werden, bliebe von dem vom CDU-Hardliner Schünemann propagierten Polizeigesetz nicht mehr viel übrig. Anwalt Hentschel betont, dass es bei der Klage nicht nur um die unangemessene Anwendung des Polizeigesetzes gehe. Das Gesetz stehe vielmehr selber auf dem Prüfstand. Der Jurist attestiert dem Gesetzestext Beliebigkeit, Unverhältnismäßigkeit sowie mangelnde Normenklarheit und -bestimmtheit. Außerdem habe das Land Niedersachsen seine Kompetenzen überschritten, weil es nicht befugt sei, Gesetze zur „Vorsorge für die Verfolgung von Straftaten” zu erlassen.

Linke beschreiten öfter den Klageweg

Sollte das Gericht dieser Lesart folgen, wäre Schünemann von einem Mitglied der außerparlamentarischen Linken auf dem Rechtsweg eine Niederlage beigebracht worden. Lange Zeit hat man in diesen Kreisen wenig von juristischen Auseinandersetzungen gehalten. Man scheute die oft zeitaufwändigen Verfahren, versprach sich wenig davon und befürchtete sogar Gegenanzeigen. Das hat sich in der letzten Zeit geändert. So wollen auch linke Gipfelgegner wegen der Polizeimaßnahmen rund um den G8-Gipfel (Kampf um das Recht) juristisch gegen Polizeiübergriffe und Demonstrationseinschränkungen vorgehen.

„In mehreren Gerichtsverfahren wollen G-8-Kritiker den Polizeieinsatz und die Repression gegen die G-8-Bewegung aufarbeiten. Neben den Klagen wegen des Einsatzes der Bundeswehr hat auch das Sternmarsch-Bündnis eine Klage im Hauptverfahren beim Verwaltungsgericht Schwerin eingereicht“, heißt es in einer Pressemitteilung der Gruppe Gipfelsoli. Sie behält sich auch juristische Schritte gegen eine Pressemitteilung der Gewerkschaft der Polizei vor, in der neben Kritik an der Einsatzplanung und dem Essen für die Polizeikräfte auch behauptet wird, Beamte seien bei den Gipfelprotesten mit Säure bespritzt worden seien. Nach zahlreichen Presseberichten habe sich bei der Flüssigkeit aber um Seifenlauge gehandelt. Auch die Organisatoren des schließlich verbotenen Sternmarsches zum G8-Gipfel am 7.Juli haben eine Klage eingereicht, mit der die Rechtswidrigkeit des Demoverbots nachträglich festgestellt werden soll.

Auch der Auswertungsbericht des grünen Abgeordneten Christian Ströbele zum Einsatz der Bundeswehr und von V-Leuten rund um Heiligendamm wäre ohne detaillierte Aussagen aus allen Spektren der Protestbewegung nicht möglich gewesen. Die Folgen einer fehlenden Aussagebereitschaft werden dort auch deutlich.. So konnten die von verschiedenen Zeugen berichtete Provokation von Zivilpolizisten an einer Blockade nicht weiter bestätigt werden, weil die Personen, die die Provokation unmittelbar bezeugt hatten, schließlich doch zu keiner Aussage bereit gewesen seien, wie es auf Seite 17 des Berichts heißt.