Ermittlungen gegen alle, die die Internetseiten aufgerufen haben

Interview mit Patrick Breyer vom AK Vorratsdatenspeicherung zur Berichterstattung über die Berliner Demonstration, der Musterklage gegen die Speicherung von IP-Nummern und der Kampagne "Wir speichern nicht"

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Während der Marsch der Mönche in Myanmar tagelang die Schlagzeilen prägte, wurde die Demonstration gegen die Vorratsdatenspeicherung in Berlin von Medien wie den großen Tageszeitungen und dem Spiegel weitgehend ignoriert. Mehr Erfolg hatte die Bürgerrechtsbewegung auf dem Rechtswege, wo das Amtsgericht Berlin Mitte die Speicherung von personenbezogenen Daten beim Besuch von Webseiten untersagte. Gestern wurde außerdem die Aufklärungskampagne "Wir speichern nicht" gestartet. Wir befragten Patrick Breyer, Jurist, Datenschützer und Mitbegründer des AK Vorratsdatenspeicherung zu den Ereignissen der letzten Wochen.

Herr Breyer - Sie kritisieren die Berichterstattung über die Demonstration gegen die Vorratsdatenspeicherung in Berlin - warum genau?

Patrick Breyer: Vor allem hätte ich mir mehr und eine ausführlichere Berichterstattung über die Demonstration gewünscht. Immerhin handelte es sich um die größte Demonstration für den Schutz der Privatsphäre seit der Volkszählung vor 20 Jahren. Über 50 Organisationen aus allen Bereichen der Gesellschaft haben gemeinsam einen grundlegenden Wandel des Datensammelwahns der Politik gefordert, tausende von Menschen sind dafür auf die Straße gegangen.

Wo eine Berichterstattung erfolgt ist, wurde den Zwischenfällen am Rande der Demonstration zwischen linksextremistischen Teilnehmern und der Polizei mitunter ein aus meiner Sicht unverhältnismäßig großes Gewicht eingeräumt. Die Demonstration war nicht von diesen Zwischenfällen, sondern von friedlichem und vielfältigem Protest geprägt.

Es sind teilweise sogar Falschmeldungen verbreitet worden, etwa die Demonstration hätte unfriedlich geendet oder abgebrochen werden müssen, oder es seien nur 2.000 Teilnehmer gekommen. Spätere Agenturmeldungen haben dies korrigiert, aber da hatten viele Medien die Falschmeldungen schon übernommen.

Das nächste Mal werden wir unsere Pressearbeit verbessern, indem wir ein eigenes Büro einrichten, das die Medien laufend mit korrekten Informationen versorgt.

In Deutschland filmte das iranische Fernsehen die Demonstration gegen die Vorratsdatenspeicherung, während das deutsche Fernsehen ausschließlich über die Mönchsmärsche in Myanmar berichtete – die wiederum im dortigen Fernsehen kaum erwähnt wurden. Wie konnte eine Demonstration mit 10 bis 15.000 Teilnehmern so weitgehend vollständig ignoriert werden?

Patrick Breyer: Das öffentlich-rechtliche Fernsehen berichtete in den Nachrichten zum Teil durchaus in zwei, drei Sätzen über die Demonstration, etwa das ZDF. Dagegen wurden den Überwachungsplänen der Bundeskanzlerin zur Online-Durchsuchung erheblich längere Sendezeiten eingeräumt. Ich würde mir wünschen, dass in Fernsehberichten zur inneren Sicherheit, auch in den Nachrichten, immer auch Kritikern Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird, weil sich die Zuschauer sonst keine unabhängige Meinung bilden können. Dies ist vor allem deswegen wichtig, weil die vorherrschende Sicherheitsideologie in der Politik so verbreitet ist, dass sich innerhalb der großen Parteien keine glaubwürdigen, grundsätzlichen Kritiker mehr finden.

Woran die spärliche Berichterstattung liegt, weiß ich nicht. Es wäre aber auch für mich interessant zu erfahren, wenn Sie Medienvertreter dazu befragen könnten.

Auf stern.de und auf dem gebührenfinanzierten Portal heute.de fand sich die Falschmeldung, dass die Demonstration wegen Gewalttätigkeiten abgebrochen werden musste. Stern.de entschuldigte sich nach einem Hinweis und korrigierte die Meldung, während das ZDF angeblich eine Richtigstellung mit dem Hinweis verweigerte, wenn diese auf juristischem Wege durchgesetzt werde, dann würde die Anstalt überhaupt nicht mehr über die Vorratsdatenspeicherung berichten. Sind die gebührenfinanzierten Medien noch - wie im Grundgesetz vorgeschrieben "staatsfern" - oder ist das weitgehend nur mehr Fiktion?

Patrick Breyer: Auf heute.de findet sich die Meldung noch immer. Es ist aber nicht korrekt, das ZDF habe eine Richtigstellung mit dem Hinweis verweigert, wenn diese auf juristischem Wege durchgesetzt werde, dann würde die Anstalt überhaupt nicht mehr über die Vorratsdatenspeicherung berichten. Eine offizielle Antwort des ZDF steht vielmehr bislang noch aus. Auch inoffiziell ist dies nicht gesagt worden. Gesagt worden ist, die Aufforderung zur Richtigstellung sei kontraproduktiv, weil sie den betroffenen Mitarbeiten Ärger gemacht habe. Sie mussten etwa eine Stellungnahme abgeben und die Informationen nachrecherchieren. Dies könne dazu führen, dass diese Mitarbeiter oder ihre Redaktion nicht mehr über das Thema berichten, um nicht wieder Probleme zu bekommen.

Im Übrigen gehe ich davon aus, dass die öffentlich-rechtlichen Medien unabhängig und selbst über ihr Programm entscheiden. Es gibt durchaus viele Diskussionssendungen zum Thema, zu denen Kritiker eingeladen werden, etwa die Sendung "Anne Will" letzte Woche. Panorama hat vor einigen Tagen auch einen sehr kritischen Beitrag zur Vorratsdatenspeicherung gesendet. Die Medien- und Journalistenverbände sprechen sich inzwischen lautstark gegen die geplante Totalprotokollierung aus, weil sie das Ende für viele Informantenkontakte bedeuten würde. Wenn trotzdem wenig darüber berichtet wird, liegt das vielleicht an einer Art Selbstzensur: Die Medien wollen nicht in den Verdacht geraten, hier im eigenen Interesse Meinungsmache zu betreiben. Da ich in die Hintergründe keinen Einblick habe, ist das aber Spekulation.

Die Berichterstattung in den öffentlich-rechtlichen ist außerdem noch immer um Welten besser als im Privatfernsehen, wo das Thema fast überhaupt nicht behandelt wird. Aus der Forschung ist bekannt, dass die Zuschauer von Privatfernsehen eine besonders übersteigerte Vorstellung des Kriminalitätsrisikos in unserem Land haben. Dies liegt unter anderem an der sensations- und quotenbedingt besonders überzogenen und unrealistischen Darstellung von Kriminalität in diesen Kanälen.

Mit Urteil vom 27.03.2007 untersagte das Amtsgericht Berlin Mitte dem Bundesjustizministerium, "[personenbezogene] Daten des Klägers, die im Zusammenhang mit der Nutzung des Internetportals 'http://www.bmj.bund.de' übertragen wurden, über das Ende des jeweiligen Nutzungsvorgangs hinaus zu speichern". Auf Ihrer Website stellen Sie eine Musterklage bereit, mit der auch andere Behörden dazu gebracht werden können, den Datenschutz zu beachten - ist es da nicht vernünftiger, massenhaft den Rechtsweg zu beschreiten, als bei einem Demonstrationszug mitzumarschieren? Wenn man Anreise, Unterbringung etc. mitrechnet, kommt eine Klage ja auch nicht viel teurer als die Teilnahme bei einer Demonstration.

Patrick Breyer: Zunächst einmal kann Klage nicht nur gegen Behörden erhoben werden, sondern auch gegen private Betreiber von Telemediendiensten im Internet, die unzulässigerweise das Nutzerverhalten personenbeziehbar protokollieren, so auch Heise Online.

Sich anstelle von Überzeugungsarbeit und Veranstaltungen alleine auf die Gerichte zu verlassen, halte ich für einen Fehler. Man braucht beides. Herr Schäuble hat einmal gesagt, die Grenze für Sicherheitsgesetze markiere die Verfassung, und diese sei änderbar. Die Gerichte überprüfen also immer nur die Einhaltung der jeweiligen Gesetze. Sie überprüfen nicht, ob eine Maßnahme überhaupt sinnvoll und von den Bürgern gewollt ist. Das ist Aufgabe der Politik, und die Politik reagiert durchaus auf die öffentliche Meinung. Entscheidend ist es also, ein Bewusstsein der Menschen zu schaffen für den Wert der Privatsphäre und für die Möglichkeiten und Grenzen des Staates, Sicherheit zu gewährleisten. Auch Privatunternehmen reagieren übrigens auf Protest von Seiten ihrer Kunden recht gut.

Im Zusammenhang mit Ihrer neuen Kampagne "Wir speichern nicht", in der Sie Anbieter von Internetportalen darüber aufklären, wie sie ihren Nutzern ein vollständig anonymes Surferlebnis ermöglichen können, erwähnen Sie, dass das BKA seit 2004 speichert, wer dessen Internetseiten zur "militaten gruppe" betrachtet hat. Gegen diese Personen sollen nun Ihren Angaben zufolge Ermittlungen eingeleitet werden. Gegen alle davon?

Patrick Breyer: Laut Tagesspiegel hat das BKA Unternehmen und Universitäten aussortiert. Ein zweifelhaftes Verfahren, weil die Vorbereitung terroristischer Taten bekanntlich mitunter auch von Studenten erfolgt. Unabhängig davon begründet die Tatsache, dass jemand sich beim Bundeskriminalamt über die "militante Gruppe" informiert, natürlich keinen Verdacht einer Straftat, der irgend eine Ermittlungsmaßnahme rechtfertigen würde.