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Länderregierungen planen Privatisierung der Gerichtsvollzieher

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Keiner hat sie richtig lieb, obgleich sie eine gesellschaftlich wertvolle Arbeit leisten – die Gerichtsvollzieher. Sollten sich der politische Wille der CDU-geführten Länderregierungen von Niedersachsen , Baden-Württemberg, Hessen und Mecklenburg-Vorpommern (SPD/CDU-Regierung) durchsetzen, werden bald auch die Gerichtsvollzieher gewinnorientiert und privat agieren. Noch hält die SPD im Bundestag dagegen – aber wer weiß wie lange.

Die Bundestagsdrucksachen 16/5727 und 16/5724 haben es in sich. Sie beinhalten die Vorschläge des Bundesrates, dessen Mehrheit eine Privatisierung der Kuckuckkleber verlangt. Gerichtsvollzieher sind derzeit noch als Landesbeamte in einer Sonderlaufbahn des mittleren Justizdienstes tätig. Sie nehmen innerhalb der Beamten aber eine Sonderstellung ein, da sie ihr Amt unabhängig von Einzelweisungen ausüben. Organisatorisch sind sie aus den Gerichten ausgegliedert; sie unterhalten ein Geschäftszimmer auf eigene Rechnung und haben auf eigene Kosten Büro- und Schreibhilfen zu beschäftigen. Zur Erstattung der damit verbundenen Aufwendungen erhalten sie eine Ausgleichszahlung der Landesjustizverwaltung (Bürokostenentschädigung). Diese Kosten wollen die Justizminister nun einsparen.

Im Begründungstext des Gesetzentwurfs heißt es:

Das Gerichtsvollzieherwesen bedarf struktureller Reformen, um die Effizienz der Zwangsvollstreckung mittel- und langfristig zu erhalten und zu verbessern. Angesichts der Sparzwänge, denen die Justiz in allen Ländern unterliegt, kann der anhaltend hohe Geschäftsanfall nur bewältigt werden, wenn die Aufgaben der Gerichtsvollzieher nicht mehr durch justizeigene Beamte, sondern durch Beliehene erledigt werden, die auf eigene Rechnung, aber unter staatlicher Aufsicht tätig sind. Damit muss ein Abbau der umfangreichen staatlichen Subventionen für die Zwangsvollstreckung einhergehen. Der Systemwechsel schafft neue Leistungsanreize, die im gegenwärtigen System mit der aufwändigen, umstrittenen und sehr konfliktträchtigen Bürokostenentschädigung nicht möglich sind.

Im Klartext – die Gerichtsvollzieher müssen um jeden Euro kämpfen und deshalb befürworten und fordern sie seit 2003 Reformen. Eine vollständige Privatisierung lehnt ihr Verband jedoch ab. Gegenüber Telepolis erklärte der Bundesvorsitzende des Deutschen Gerichtsvollzieher Bundes e.V., Hans Eckhard Gallo:

Sie können daraus entnehmen, dass sich der DGVB seit 2003 grundsätzlich für eine Änderung im Gerichtsvollzieherwesen ausgesprochen hat, geht aber mit der in den Bundesrat eingebrachten Gesetzesvorlage nicht einig. Es bedarf aber des Hinweises, dass der DGVB keine "Privatisierung" anstrebt, sondern ein freies, beliehenes System nach dem Vorbild und Status der Notare, so dass die staatliche Aufsicht und der Justizgewährungsanspruch vollumfänglich erhalten bleibt. Das Beleihungssystem soll gerade dazu beitragen, dass nicht nur die hoheitlichen Aufgabengebiete zügig, erfolgreich und mit größtmöglicher Motivation im Interesse der Gläubiger, aber auch der Schuldner erledigt werden. Der DGVB verspricht sich durch ein Beleihungssystem (keine Privatisierung!!!), in dem der GV eigenverantwortlich und auf eigene Rechnung tätig wird, mehr Effizienz und Qualität in der Zwangsvollstreckung. Von den bisherigen in der europäischen Gemeinschaft beheimateten 27 Länder befinden sich derzeit 21 in einem freien, liberalen System.

Die für Justiz zuständigen Länderregierungen nehmen so die Folgen ihrer eigenen Politik als Anlass für diese „Reform“. Ganz nach dem Motto „erst ruinieren, dann privatisieren“.

Die Ländermehrheit möchte die Aufgaben der Gerichtsvollzieher auf „Beliehene“ übertragen, deren Status in einem eigenständigen Gesetz in Anlehnung an die Bestimmungen des Notars zur hauptamtlichen Berufsausübung geregelt wird. Der Gläubiger kann künftig zwischen mehreren, miteinander in Wettbewerb stehenden Gerichtsvollziehern auswählen, wodurch eine stärkere Orientierung am Eintritt des Vollstreckungserfolgs zu erwarten ist. Die Beleihung belässt die Verantwortung für die ordnungsgemäße Erfüllung der übertragenen Aufgaben beim Staat. Dieser trägt durch eine effektive Aufsicht dafür Sorge, dass die Beliehenen die ihnen übertragenen Tätigkeiten richtig ausführen. Das Gerichtsvollzieherkostenrecht wird kostendeckend ausgestaltet...

Von einer „Kostendeckung“ träumen viele der Beamten und auch deshalb befürworten viele von ihnen die geplante Privatisierung. Auf der Strecke dürften dabei die sozialen Aspekte dieser Arbeit bleiben und die heute noch bestehende Möglichkeit der Folgenabschätzung einer Pfändung. Denn viele zahlungspflichtige Schuldner sind auch gleichzeitig Gläubiger, besonders häufig im Handwerksbereich. Beispielsweise kann ein Dachdecker seine Materialrechnung nur deshalb nicht bezahlen, weil der Häuslebauer die Dachdeckerrechnung nicht bezahlt hat. Mit der Pfändung einer größeren Summe – oder etwa von Fahrzeugen und Maschinen - kann der Gerichtsvollzieher zwar eine Schuld eintreiben, aber damit gleichzeitig den Handwerksbetrieb ruinieren. Wenn nun – wie von der Bundesratsmehrheit gewünscht, der Gerichtsvollzieher gewinnorientiert arbeiten muss, bleibt ihm keine Wahl – er muss pfänden, um selbst in seinem Job überleben zu können...

Handlungsbedarf wegen Europa

Die gern genommene Ausrede, man müsse europäische Vorgaben erfüllen, steht bei diesem Thema nicht zur Verfügung. Im Nachbarland Österreich gehören

GerichtsvollzieherInnen ausnahmslos zum Personalstand der Oberlandesgerichte und unterstehen direkt den jeweiligen Präsidenten. Bei den GerichtsvollzieherInnen handelt es sich ausschließlich um Beamte oder Vertragsbedienstete, die hoheitlich handeln. Privaten Gerichtsvollzug gibt es in Österreich nicht. Österreich gelangte nach einer Evaluierung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer Privatisierung durch das Bundesministerium für Justiz und das Bundeskanzleramt zur Auffassung, dass der Gerichtsvollzug einen Kernbereich der hoheitlichen Verwaltung betrifft, weshalb vorderhand der Weg zu einer reinen Privatisierung des Vollstreckungswesens nicht in Betracht kam.

So die österreichische Bundesregierung gegenüber Telepolis

Auch in Frankreich und Belgien sind die Gerichtsvollzieher als mit dem Amt Beliehene tätig. Bei den Belgiern heißt es:

Der Gerichtsvollzieher ist ein ministerieller und öffentlicher Beamter und übt seine Funktion als Freiberufler aus. Anders gesagt: er besitzt eine doppelte berufliche Identität: einerseits ist er öffentlicher funkitonär, andererseits übt er seine Funktion unabhängig (d.h. nicht weisungsgebunden, Anm. d.A.) aus.

. Ähnlich in Frankreich und in Luxemburg: auch dort sind die Gerichtsvollzieher Beamte, die als Freiberufler agieren. Die Nationale Union der Gerichtsvollzieher in Frankreich z.B. ist eine Arbeitgebervereinigung, sie bietet ihren Mitgliedern als Freiberuflern, Selbständigen und Arbeitgebern Unterstützung an. Und auf der Homepage der französischen Gerichtsvollzieherkammer steht:

Dem Gerichtsvollzieher als Officier ministeriel (Beauftragter) werden als Monopol durch Gesetzeskraft bestimmte Akte übertragen. Daher ist der Gerichtsvollzieher der einzig Zuständige für die Unterzeichnung und Ausführung von Gerichtsentscheiden.

In der Schweiz agieren Beamte als Gerichtsvollzieher, wobei sich das Schweizer Zwangsvollstreckungsrecht grundlegend vom deutschen unterscheidet. Zur Durchsetzung des Privatrechts gibt es in der Schweiz zwei Arten der Zwangsvollstreckung: die schuldbetreibungsrechtliche (betreibungsrechtliche) für Geldzahlungen und Sicherheitsleistungen und die zivilprozessuale für andere Ansprüche.

Die Betreibungs- und Konkursbeamten, die für die Zwangsvollstreckung im Rahmen des SchKG zuständig sind, sind kantonale Beamte, ausgestattet mit staatlicher Zwangsgewalt. Für andere – nach kantonalem Recht zu vollstreckende Urteile – sind gemäss kantonalen Regelungen z.B. Gerichtsdiener, Ortspolizisten oder die Kantonspolizei zuständig. Eine allgemeingültige Aussage, wer für die Vollstreckung tatsächlich zuständig ist (und wie die Rechtsform der „Beamten“ ist) – lässt sich somit nicht machen.

SPD dafür und dagegen

In den Länderparlamenten ist die Reform umstritten. CDU und FDP sind für Privatisierung, Grüne und Linke lehnen sie ab. Die SPD vertritt beide Meinungen. Während der SPD-Vorsitzende Kurt Beck und die von ihm geführte SPD-Alleinregierung in Rheinland-Pfalz die Privatisierung ablehnen, ließ sich sein Kollege in Mecklenburg-Vorpommern, Ministerpräsident Harald Ringsdorf (SPD), gemeinsam mit seinen CDU-Kollegen aus Niedersachsen, Baden-Württemberg, und Hessen als Wegbereiter dieser „Reform“ feiern.

Während SPD und CDU im Mecklenburgischen Landtag dafür stimmten, lehnen die SPD-Genossen im Bundestag wie auch in den meisten Länderparlamenten eine Privatisierung ab. So erklärte die SPD-Landtagsabgeordnete Svenja Schulze gegenüber Telepolis:

Ich lehne die Privatisierung ab. Ich halte es für absolut falsch, in solchen sensiblen (hoheitlichen) Bereichen wie dem Gerichtsvollzieherwesen jetzt Privaten Tür und Tor zu öffnen. Hier einen Wettbewerb um die meisten Einnahmen auf Kosten der Betroffenen zu initiieren halte ich für falsch.

Auch Bundesjustizministerin Zypries ist gegen eine Privatisierung. Sie plädiert dafür, das Gerichtsvollzieherwesen zu verbessern, anstatt es völlig umzukrempeln. Jedenfalls noch.