Gibt es Bewusstseins-Zombies?

Ansichten über das Rätsel Bewusstsein und das Problem, ob es mehr als nur eine neuronale Maschine ist

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Aus der simplen Erkenntnis des Menschen „Hier stehe ich, dort die Welt“ hat sich ein durch die Jahrtausende laufender Diskurs entwickelt. Denn was ist dieses Bewusstsein, das die Welt da draußen betrachtet? Die Schriftstellerin Susan Blackmore hat in zwanzig Interviews Hirnforscher und Philosophen dazu befragt. Heraus gekommen ist eine spannende Übersicht über Ansätze und Eigenheiten der Philosophie des Bewusstseins.

Was hat sie zu sagen, die „Crème de la Crème der internationalen Bewusstseinsforschung“, wie der Suhrkamp-Verlag sie nennt? Zunächst einmal: Fragen und Antworten in dem Buch spielen in erste Linie vor dem Hintergrund der philosophisch-naturwissenschaftlichen Diskussion im englischsprachigen Raum. In den USA streitet man in Bewusstseins-Kreisen über die Unterscheidung von David Chalmers zwischen dem „easy problem“ und „hard problem“. Das eine ist nach Chalmers das beobachtbare Verhalten, das andere das subjektive Erlebnis. Seitdem Chalmers diese Zweiteilung 1994 ins Feld warf, herrscht Aufregung – die in Europa nie so ganz geteilt werden konnte, weil man die Neuigkeit nicht sah. Es war ja auch keine da, Chalmers hatte nur ein neues Label für ein altes Problem gefunden. Denn seit Jahrhunderten ist umstritten, wie die beiden Sphären subjektiver Erlebnisinhalt und objektive Beobachtung mentaler Zustände zusammenhängen.

Geist in der Maschine? Für Descartes war Zirbeldrüse die Schnittstelle zwischen Geist und Körper

Chalmers möchte nun Bewusstsein endlich (wieder) als fundamentales Prinzip des Universums etablieren. „So irreduzibel wie Zeit und Raum.“ Ein Weg in Richtung Idealismus, auf dem ihm die anderen Gesprächspartner von Blackmore nur bedingt folgen wollen. Während sein ewiger Widersacher Daniel Dennett die Existenz des „schwierigen Problems“ gänzlich negiert, sehen Forscher wie Max Velmans Chalmers in einen „omnipräsenten Psychofunktionalismus“ abgleiten, weil er der Materie neben dem Bewusstsein keinen Platz mehr einräumen würde.

Der australische Philosoph gibt auch in einer weiteren Frage den Takt des Buches vor, nämlich dabei, ob so etwas wie Bewusstseins-Zombies existieren können. Dies wären aus seiner Sicht Menschen, die von außen betrachtet intelligent und emotional wirken, in Wahrheit aber nur gut verschaltete Kästen sind: Zombies eben. Chalmers will geklärt wissen, ob eine Existenz möglich wäre, die von sich behauptet, bewusst zu agieren, dies aber in Wahrheit nicht tut. Theoretisch schon, in der realen Welt allerdings nicht, sagt Chalmers. Aus seiner Sicht ist Bewusstsein eine Grundkonstante des Universums. Mit diesem Gedankenspiel greift Chalmers zugleich den Physikalismus an, der behauptet, alles, was existiert, sei physisch greifbar.

Alle im Buch Interviewten werden mit der Zombie-Frage konfrontiert, die meisten sind schon mit der Prämisse nicht glücklich, eine solche Welt sei überhaupt denkbar. Francisco Varela spricht von einem „typischen Argumentationsentwurf der anglo-amerikanischen Philosophie“: die Diskussion sei eine künstliche, man hätte das Problem durch die Problemschaffung erst erfunden. Irgendwann, wie in „guter Science Fiction“, würden die Menschen in Lage sein, den Bewusstseinszustand eines Roboters zu beurteilen.

Spiel der Neuronen

Einen soliden Materialismus vertreten Pat und Paul Churchland. Ihre Meinung zum Bewusstsein: Die Interpretation der neuronalen Korrelate des Bewusstseins sei überflüssig. Letztlich würde es dem Phänomen Bewusstsein genauso ergehen wie dem Phänomen Licht im 19. Jahrhundert. Denn elektromagnetische Wellen korrelieren nicht mit Licht, sie sind Licht. Genauso sei das Gefühl einer warmen Kaffeetasse in der Hand nicht mit der kinetischen Energie der Moleküle der Tasse korreliert, sondern sei identisch mit dieser. Es ist schön zu lesen, wie die Churchlands ihre Identitätstheorie durch das Interview erläutern.

Heute zeigen die neurologischen Experimente die zwei Seiten der Medaille: Geist und Körper sind untrennbar miteinander verbunden, jede geistige Aktivität hat ihr neuronales Korrelat. Interessant, aber auch unübersichtlich wird es dann, wenn es um das bewusste Nicht-Denken geht.

So neu das durch die Vokabeln der Hirnwissenschaft auch alles klingen mag, die damit zusammenhängenden Aufgaben sind nicht neu. Man stand schon an ähnlicher Stelle als der Existenzialismus noch en vogue war. Der ließ auch wenig Hoffnungsvolles übrig, es blieb nur eine kalte Welt aus kausalen Zusammenhängen und Wenn-dann-Konfigurationen. Heute sieht das schon wieder ähnlich aus: Keine Seele, die menschliche Körper-Geist-Einheit eine zwar hochkomplexe, aber im Grunde auf mechanistischen Grundlagen basierende Maschine. Selbst die Liebe nur ein Spiel der Neuronen.

Wahrheiten

Zwei Dinge sind hieran zur kurz gedacht: Zum einen wäre es fatal, hier von einen „sind nur“ zu reden. Es gibt mindestens zwei, vielleicht auch vier Wahrheiten, die persönliche Wahrheit ist eine andere als die objektive der Naturwissenschaft, die intersubjektive der Kulturwissenschaft oder interobjektive der Systemtheorie. Das subjektiv erlebte Gefühl der Liebe wird und sollte sich nie nur mit den Mitteln der objektiven Wissenschaft erklären lassen.

In der Wissenschaft von der Erforschung des Bewusstseins herrscht bis heute gerade im englischsprachigen Raum der Funktionalismus. Demnach ist es grundsätzlich möglich, ein System zu bauen, welches die verschiedenen Funktionen des Gehirns imitiert. Wäre damit ein bewusstes Wesen geschaffen? Nicht, wenn man wie Roger Penrose mit Hilfe von Gödels Unvollständigkeitssatz versucht zu zeigen, dass wir keine maschinell-berechnendes Wesen sind und sein können. Seine Ansicht: Unser Erkenntnisvorgang basiert letztlich nicht auf elektrochemisch angeschobenen Berechnungen, sondern auf noch unverstandenen Vorgängen auf Quantenebene. In der Erforschung der Mikrotubuli, die bisher nur als eine Art Skelett der Zellen angesehen wurden, sieht Penrose zusammen mit Stuart Hameroff zur Zeit die Lösung.

Der Philosoph Ned Block versucht den Funktionalismus mit einem Gedankenexperiment zu widerlegen. Sein „Chinese Brain“ besteht aus Milliarden von Menschen, die alle ein Funkgerät mit sich führen und wie ein Neuron in einem riesigen Gehirn agieren. Blocks Frage: Hätte dieses chinesische Gehirn ein Bewusstsein? Er nimmt an: Nein.

Zum anderen ist die Diskussion um den Geist an diesem Punkt nicht am Ende. Es ist auch von Penrose und Hameroff nur angedeutet, welche Implikationen die moderne Physik der Quantentheorie auf die Philosophie des Geistes hat. Auch der Einfluss der fernöstlichen Philosophie ist erst in Ansätzen verwirklicht. Es bleibt noch viel Raum für die vielen, unentdeckten Verwebungen zwischen dem Menschen und den Dingen und der Erfahrung, dass auf letztem Grund dieser Unterschied nicht existiert.

Wille und Weg

Lassen sich die vielen Ansätze der Interviewten verbinden? Nun, die Grenzlinien sind seit Jahrhunderten klar. Wissenschaftler sind notgedrungen zumeist Materialisten und orientieren sich am Greifbaren. Danach gründet alles auf Physik, seien die involvierten Teilchen auch noch so klein. Der Idealismus taucht heute als eine Art Pan-Psychismus wieder auf, auch danach gibt es nur einen relevanten Stoff im Universum - und das ist Geist.

Die Unterscheidung zwischen Geist und Gehirn ist bekannterweise von Rene Descartes popularisiert worden. Dieser Substanz-Dualismus ist zu unterscheiden von einem Eigenschafts-Dualismus, der den Dingen gestattet sowohl physikalische wie geistige Eigenschaften zu haben. Einen Brückenschlag unternimmt Max Velmans mit seinem reflexiven Monismus. Seine Antworten auf die Fragen Blackmores gehören neben denen von Francisco Varela, Roger Penrose und Kevin O'Regan zu den erhellendsten im Buch.

Den cartesianischen Dualismus wollen die meisten der interviewten Wissenschaftler natürlich überwunden haben, durch die Hintertür schleicht er sich aber doch wieder ein. Denn oft „generiert das Gehirn“ noch Bewusstsein, und damit stehen die beiden Sphären doch wieder kurz vor ihrer Trennung.

Magisches Rätsel

Was bleibt ist eine Erklärungslücke, eine philosophische Wunde, in die Susan Blackmore auch immer wieder gekonnt den Finger legt. Wie ist der Zusammenhang zwischen dem subjektiven Erleben und der objektiven Erkenntnis? Und können die Fakten aus der Welt jemals die Fakten aus der inneren Perspektive erklären? Die Churchlands, Daniel Dennett und Francis Crick sind sich sicher, dass die vermeintliche Gegensätze im Zuge des neurowissenschaftlichen Fortschritts überwunden werden. Wissenschaftler wie Roger Penrose und Stuart Hameroff wollen dazu ein revolutioniertes physikalisches Weltbild etabliert sehen. Es ist das „magische Rätsel“, wie Daniel Wegner es formuliert, das ein „Ich den Strom der Eindrücke zu beobachten scheint“.

Dies führt zu einer weiteren Trennlinie, die sich im Buch orten lässt. Diese unterscheidet die Wissenschaftler in solche, die ein maßgebliches Interesse an der Erforschung der Ich-Perspektive haben, und diejenigen, die diesem Ansatz keinen Bedeutung beimessen. Andere wollen die subjektive Perspektive nur dann ernst nehmen, wenn die Daten objektiv überprüft werden können. Den fruchtbarsten Ansatz hierfür und damit vielleicht für das gesamten Themenkomplex der praktischen Erforschung des Bewusstseins bietet Francisco Varela mit seiner Neuro-Phänomenologie. Er will die Daten aus der Erste-Person-Sicht („Wie fühlt es sich an?“) mit denen den vergleichsweise harten Fakten der Neurowissenschaft verbinden. Als Versuchsobjekte schweben ihm Meditationserfahrene vor, die ihre Aufmerksamkeit besser als andere Probanden fokussieren und von daher vergleichbare Ergebnisse liefern können. In einem späteren Schritt möchte er auch das Nicht-Denken untersuchen. Das im Wesen des Menschen eingebaute „Problem“ der Spaltung der Welt in einen Zustand, der sieht, und einen Zustand, der gesehen wird (George Spencer Brown), gilt spirituell angehauchten Forschern ohnehin als Dreh- und Angelpunkt zur Erklärung des Bewusstseins.

Auf die an alle Beteiligten gestellte Frage, ob sie glauben, dass sie einen freien Willen haben, gibt der deutsche Philosoph Thomas Metzinger die schönste Erwiderung: „Hätte ich keinen, hätte ich Ihnen eine andere Antwort als diese geben können?“

Es wird interessant sein zu beobachten, ob der Mensch sich mit seiner Degradierung zur gut geölten Maschine abfinden wird. Diese "Entzauberung der Welt" (Max Weber) bereitet dem Einzelnen immer wieder psychische Probleme, die Gegenbewegungen waren immer stark: Romantiker, 68er, moderne Mystiker. Metzinger hoffte jüngst in der Zeit auf einen dritten Weg, eine "radikal individualistische, jenseits vom reaktionären Irrationalismus der organisierten Religion liegende Spiritualität, die dezidiert nichts glaubt und für empirische Erkenntnisse offen ist, die aber weiß, dass es Dinge gibt, über die wir aus prinzipiellen Gründen nicht reden können."

Kulturhistorisch betrachtet fallen die aktuellen Erwägungen einiger Hirnforscher in die Zeit von Denkschemata, die den Menschen auf ein möglichst stromlinienförmig-schnittiges Format herunterbrechen wollen. Das ist schon aus der Geschichte des späten 19. Jahrhunderts bekannt und hat sich seither wiederholt. Das Motto ist wieder einmal: „Der Mensch ist nicht mehr als...“ Abseits eines solchen reduktionistischen Materialismus stellt sich gleichwohl die Frage, ob sich Natur und Mensch ihre letzten Betriebsgeheimnisse entlocken lassen werden. Oder bleibt der Mensch zu einem Teil für sich selbst blind, weil er das, was er betrachten will, zugleich zum Betrachten nutzt?

Susan Blackmore: Gespräche über Bewusstsein. Aus dem Amerikanischen von Frank Born. Suhrkamp Verlag 2007. 380 Seiten.Euro 26,80