Kampf ums Digitalsein

Roboterturniere werden zu Brennpunkten der Evolution künstlichen Lebens

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Ende Oktober zeigen fahrerlose Fahrzeuge auf einem ehemaligen Luftwaffenstützpunkt im kalifornischen Victorville, ob sie die Verkehrsregeln beherrschen und vollständig autonom eine 100 Kilometer lange Strecke im Stadtverkehr bewältigen können. Es ist die dritte, von der US-Militärforschungsbehörde Darpa ausgerufene Grand Challenge und das letzte große Roboterturnier in diesem Jahr.

Robotersport hat sich als Instrument der Technologieentwicklung etabliert. Er ist dabei härter geworden. Man spürt es an der gewachsenen Nervosität der Teilnehmer, an den Empfindlichkeiten gegenüber vermeintlichen Fehlentscheidungen. Man sieht es an den versteinerten Gesichtern nach einer Niederlage. Dabeisein ist nicht mehr alles. Mehr und mehr wird die Platzierung im Wettkampf zu einem gewichtigen Argument bei Projektanträgen und Sponsorenwerbung.

Es zeigt sich auch an den wachsenden Geldbeträgen, die für die Technoturniere aufgewendet werden. Die 10,5 Millionen Euro des in diesem Jahr auslaufenden Schwerpunktprogramms RoboCup der Deutschen Forschungsgemeinschaft wurden noch über sechs Jahre verteilt. Einen vergleichbaren Betrag gibt die Darpa allein in einem Jahr aus, indem sie elf ausgewählte Teams für die diesjährige Grand Challenge mit bis zu einer Million Dollar unterstützt. Zusätzlich lockt sie mit 3,5 Millionen Dollar Preisgeld für die drei besten Teams.

Zunehmend treten die Roboterwettkämpfe untereinander in Konkurrenz um Ressourcen und die kreativsten Köpfe - und bilden dabei eine Konstellation heraus, die bemerkenswerte Parallelen zur Frühzeit des irdischen Lebens aufweist.

Denn das natürliche Leben auf unserem Planeten lässt sich wahrscheinlich nicht auf eine Urzelle zurückführen, sondern auf drei verschiedene Zelltypen: Bakterien, Archaeen und Eukaryoten. Sie repräsentieren die frühesten Verzweigungen im Stammbaum des Lebens. Bakterien und Archaeen sind sich ähnlich, beides sind Einzeller ohne Zellkern. Nur die Eukaryoten haben sich zu vielzelligen Lebewesen entwickelt, Pflanzen, Tiere und Menschen eingeschlossen.

Sklave, Rekrut oder (Spiel-) Gefährte?

Beim künstlichen Leben, dessen erste Zuckungen wir bei Roboterturnieren beobachten können, zeichnen sich ebenfalls drei Entwicklungsstränge ab: der industrielle, der militärische und der wissenschaftliche. Noch ist offen, welcher sich durchsetzen wird.

Die Industrie ist sehr kurzfristig auf kommerziell verwertbare Produkte orientiert. Der industrienahen Fraunhofer-Gesellschaft zufolge geht es dabei um den „uralten Menschheitstraum vom künstlichen Sklaven, der auf Befehl aufräumt, staubsaugt, die Zeitung bringt und die Nudeln kocht“.

Das Militär schaut etwas weiter in die Zukunft. So will die Darpa mit der Grand Challenge eine Vorgabe des US-Kongresses erfüllen, bis zum Jahr 2015 ein Drittel aller Bodenfahrzeuge im Kampfeinsatz unbemannt fahren zu lassen. Ansonsten ist das Leitbild ähnlich pragmatisch wie bei der Industrie. Roboter sind die Kameraden fürs Grobe, zuständig für die drei „D‘s“: dirty, dull, and dangerous. Sie sollen vor allem dort zum Einsatz kommen, wo es für Menschen zu schmutzig, zu langweilig oder zu gefährlich ist.

Den ganzheitlichsten und langfristigsten Ansatz verfolgt der wissenschaftlich ausgerichtete RoboCup. Bis zum Jahr 2050 will er Roboter bauen, die gegen Menschen die Fußballweltmeisterschaft gewinnen können. Dabei ist klar: Maschinen, die das können, werden wenig Probleme haben, bei Bedarf auch mal die Wohnung zu putzen oder Munition zu transportieren.

Sklave, Rekrut oder (Spiel-) Gefährte - welcher dieser Hauptentwürfe für die Maschinenwesen der Zukunft sich durchsetzt, ist nicht allein eine Frage des Darwinschen Kampfes ums Dasein. Schließlich gibt es an der Schwelle vom natürlichen zum künstlichen Leben intelligente Designer, die sich bewusst für den einen oder anderen Pfad entscheiden können.

Roboter sind Werkzeuge. Aber wir werden sie auf Dauer nicht wie Hammer, Zange und Schraubenzieher kontrollieren können. Schon heute werden Roboter nicht nur programmiert, sondern trainiert. In Zukunft werden wir sie erziehen und zunehmend als eigenständige Persönlichkeiten wahrnehmen.

Ob es einen Grad der Intelligenz gibt, von dem an Roboter so etwas wie einen eigenen Willen und Leidensfähigkeit entwickeln, kann heute niemand mit Gewissheit sagen. Im Interesse zukünftiger Generationen, die mit den intelligenten Maschinen werden leben müssen, sollten wir aber davon ausgehen. Was vergeben wir uns, wenn wir den Roboter von vornherein als einen empfindsamen Partner statt als seelenlose Maschine konzipieren? Wir brauchen keine Sklaven, auch keine maschinellen. Machen wir die Fußballroboter zu den Eukaryoten des künstlichen Lebens!