Satellit an ... und alle Fragen offen

In Myanmar ist vieles rätselhaft: Unter anderem die Rolle der Warlords beim Opiumanbau und bei Zwangsumsiedlungen

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Die American Association for the Advancement of Science (AAAS) veröffentlichte Satellitenbilder, die verschwundene Dörfer in Myanmar zeigen. Was sie nicht zeigen, ist, wieso diese Dörfer verschwanden. Zwar ist relativ klar, wo die Dörfer auf den Satellitenbildern stehen - weniger klar ist allerdings, welche Gebiete welche bewaffnete Gruppe gerade kontrolliert.

Die Organisation stellte im Rahmen des Programms Wissenschaft und Menschenrechte anhand der Hinweise von Oppositionsgruppen über mehrere Jahre hinweg aufgenommene Bilder der Satelliten OrbView, Ikonos und DigitalGlobe zusammen, auf denen die Zerstörung von Dörfern sichtbar wird.

Die Schlussfolgerung, dass die Satellitenbilder "Experten zufolge" zeigen, "wie das burmesische Militär gegen seine Gegner vorgeht" kann allerdings eher bestimmten Medien als der AAAS angelastet werden – letztere nämlich waren bei weitem vorsichtiger in ihren Aussagen.

Das unter anderem vom Spiegel als Verursacher genannte "allgegenwärtige Militär" ist in den betroffenen Gebieten weit weniger "allgegenwärtig" als dargestellt. Die Behauptung, dass das Regime das Land "fest im Griff" habe, trifft nur für das Kernland zu. In den Grenzgebieten wird entweder gekämpft, oder es wurden Autonomievereinbarungen getroffen, die Warlords die Kontrolle über die Gebiete beließen.

Traditionell macht eine Zentralregierung den besseren Bösewicht für Massenmedien als die pittoresken "Befreiungsarmeen". Allerdings ist der in Massenmedien besser verkaufbare Bösewicht nicht unbedingt auch der wirklich bösere. In Fällen wie im Kosovo stellten sich die Darstellungen der Vorgänge im Nachhinein als höchst problematisch heraus – und die Kur letztendlich als schädlicher als die Krankheit.

Myanmar, Burma, Birma oder "Warlordistan"?

Am 4. Januar 1948 wurde Birma unabhängig. Dabei wurden auch die von den Briten gesondert verwalteten Grenzgebiete dem Land zugeschlagen, was bis heute andauernde Guerillakriege nach sich zog. Unter dem derzeitigen Staatschef General Tan Shwe gelang es ab 1992 die Guerillakriege in den Grenzgebieten des 1989 in Myanmar umbenannten1 Landes einzudämmen. Allerdings um den Preis, dass den lokalen Warlords häufig so umfassende Autonomierechte eingeräumt wurden, dass die Zentralregierung dort nur mehr sehr wenig zu sagen hat.

Je nach Zählweise leben in Myanmar bis zu 135 verschiedene Volksgruppen - die meisten davon in den Grenzgebieten. Neben dem Staatsvolk der Bamar (Birmanen), das etwa 70 % der Bevölkerung ausmacht, sind die wichtigsten davon die eng mit den Thai verwandten Shan mit etwa 10 und die überwiegend christlichen Karen mit 7 % Bevölkerungsanteil. Andere bedeutende Gruppen sind die mit den Khmer verwandten Mon, Wa und Palaung, die im Norden lebenden Kachin, die auch in Indien beheimateten Naga, die Lisu, die auch in China und Thailand ansässig sind, sowie eine chinesische Minderheit.

Politische Gliederung Myanmars. Karte: Wikimedia Commons Das Bild Administrative divisions of Burma stammt aus der freien Mediendatenbank Wikimedia Commons und steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation. Der Urheber des Bildes ist Aotearoa.

Das Land ist in sieben hauptsächlich vom Mehrheitsvolk der Bamar bewohnten "taing-myar" (Provinzen) und sieben "pyi ne-myar" (Staaten) aufgeteilt, in denen jeweils eine Minderheit das Staatsvolk stellt. Dabei wird die Sprache der Rakhaing (Arakanesen), die einen eigenen Staat innerhalb Birmas haben, häufig als bloßer Dialekt des Birmanischen gewertet. Eine tibeto-birmanische Sprache sprechen auch die Chin, die ebenfalls über einen eigenen Staat verfügen.

Kachin

Der Kachin-Staat wurde bereits 1948 geschaffen. Er ist im Bergland von Kachin, in vielen Tälern von Bamar oder Shan besiedelt. Anfang der 1960er Jahre bildeten "Kachin Rifles", die 1948 aus dem britischen Kolonialheer in die burmesische Armee integriert worden waren, die Kachin Independence Army (KIA) und ihren politischen Arm, die Kachin Independence Organization (KIO), die seitdem das Bergland im Kachin-Staat beherrscht.

Wirtschaftlich unterschied sie sich von den meisten anderen Guerillagruppen dadurch, dass sie sich nicht nur über den Anbau von Mohn und den Handel mit Opium finanzierte, sondern auch durch Abbau und Schmuggel von Jade. Insofern war die Eroberung der wichtigsten Jademinen durch "Tatmadaw" - Regierungstruppen des "State Peace and Development Council" (SPDC) - der Schlüssel für einen 1994 geschlossenen Waffenstillstand, bei dem die KIO weitgehende Autonomierechte erhielt. Allerdings gibt es in ihrem offiziellen Herrschaftsraum auch bewaffnete Gruppen, die der KIO in tiefer Feindschaft verbunden sind - darunter die New Democratic Army Kachin (NDA-K), die ein Gebiet an der chinesischen Grenze kontrolliert.

Mon

Der Mon-Staat wurde erst 1974 geschaffen. Er sollte der seit 1962 kämpfenden Mon National Liberation Front (MNLF) den Wind aus den Segeln nehmen. Trotzdem dauerte der bewaffnete Kampf der MNLF bis 1995 an. Dann schloss die Guerillagruppe einen Vertrag mit der Regierung, der ihrem politischen Arm, der New Mon State Party, in dem von ihr beherrschten Teilen des Mon-Staates die Herrschaft zusichert.

Karen

Rekordhalter im Langzeit-Guerillakrieg ist die Karen National Liberation Army (KNLA): Sie kämpft seit 1948 gegen die Zentralregierung. Der Widerstand der Karen speist sich auch daraus, dass sie – ebenso wie die Kachin - überwiegend Christen sind. Teilweise nahm dieser Widerstand auch terroristische Formen an, etwa bei der God's Army, einer von 1997 bis 2001 bestehenden Abspaltung der KNLA. Sie erlangte unter anderem durch die Geiselnahmen in einem Krankenhaus im thailändischen Ratchaburi Berühmtheit. Eine Minderheit von buddhistischen Karen spalteten sich unter der Führung des Mönchs U Thuzana zur Democratic Karen Buddhist Army (DKBA) ab, der von der Regierung angeblich die Herrschaft im Karen-Staat versprochen wurde.

Shan

Mitte der 1880er integrierten die Briten 33 Shan-Fürstentümer oder "Mongs" qua indirect rule in ihr Kolonialreich. Auf der Panglong-Konferenz stimmten die Eliten der Shan (wie auch die der Kachin und der Chin) der Integration ihrer Staaten in die Union of Burma zu. 1959 wurden die Shan-Fürsten entmachtet. Die meisten von ihnen verließen daraufhin das Land, schürten aber aus dem Exil den Widerstand gegen die Zentralregierung. Ne Win konnte seinen Putsch im Jahre 1962 deshalb auch damit begründen, dass ein Abfall des Shan-Staates drohe.

Das Machtvakuum füllte sich relativ schnell: Khun Sa, der "King of Heroin", wie ihn ABC Television nannte, führte in den 1960er Jahren eine Truppe, die im Rahmen des Ka-Kwe-Ye-Programms gegen die Shan-Guerilla von der Militärregierung gefördert wurde. Umstritten ist, inwieweit diese Förderung auch eine Duldung des Mohnanbaus und des Opiumhandels enthielt. Als er mächtig genug war, versagte er der Zentralregierung die Unterstützung, errichtete ein vom ihm kontrolliertes Drogenimperium im Shan-Staat und rief sich selbst zum "Befreier" der Shan aus.

1985 vereinigte er seine Shan United Army (SUA) mit zwei anderen Gruppen unter seiner Führung zur Muang Tai Army (MTA). Ende der 1980er erregte er weltweit Aufsehen, als er der US-Regierung seine komplette Heroinproduktion zum Kauf oder im Austausch für die Anerkennung der Unabhängigkeit seines Shan-Staates anbot. 1996 ergab sich der Drogenbaron nach einer Meuterei der Regierung und wurde mit einer Villa, Golfterminen mit den Generälen und einer Lizenz für den Betrieb der Busse in Rangun bestraft.

Aus Khun Sas MTA bildete sich unter der Führung von Yawd Serk unter anderem die Shan State Army-South (SSA-S). Sie befindet sich im Kriegszustand mit den Tatmadaw und kontrolliert ein Gebiet mit der Hauptstadt Loi Taileng, das von der Regierung nicht als autonome Region anerkannt ist. Die Shan State Army-North(SSA-N), die ein Gebiet im Norden des Shan-Staates beherrscht, schloss dagegen einen Waffenstillstand mit Rangun.

Allerdings sind die beiden Armeen bei weitem nicht die einzigen, die im Shan-Staat Gebiete kontrollieren. Tatsächlich ist das Areal mittlerweile ein Patchwork aus Herrschaftsräumen der verschiedensten bewaffneten Banden – nicht nur von Shan geleiteten, wie die National Democratic Alliance Army Eastern Shan State (NDAA-ESS), die Shan State Nationalities Peoples Liberation Army (SSNPLA) und die Shan State People Army (SSPA) - sondern auch solchen von anderen ethnischen Gruppen wie Kachin, Chinesen und Wa.

Khun Sa

Wa

Als Todfeind der SSA-S gilt die United Wa State Army (UWSA). Schon Khun Sa und seine Muang Tai Army (MTA) lieferten sich erbitterte Gefechte mit der UWSA - nicht nur um Siedlungsgebiete, sondern auch um Anteile im Drogengeschäft

Die sprachlich mit den Mon verwandten Wa unterscheiden sich kulturell erheblich von diesen: Vor nicht allzu langer Zeit galten sie als Kopfjäger, deren Dorfeingänge mit Schädelgalerien auf Pfählen verziert waren.2 Noch heute sind sie überwiegend Anhänger ihrer Volksreligion. Buddhistische und christliche Missionsanstrengungen konnten bei ihnen nur sehr bescheidene Erfolge erzielen.

Seit dem Waffenstillstand 1989 verfügt die United Wa State Party (UWSP), der zivile Arm der UWSA, im Shan-Staat über eine autonome Region an der Grenze zu China, in der eine Familie, die durch den Drogenhandel zu Macht und Einfluss kam, weitgehend nach eigenem Gutdünken herrscht. Als "Präsident" fungiert Bao Youxiang, der Gründer der UWSP. Verwaltung und Militär werden von seinen Brüdern Bao Youri und Bao Youliang kontrolliert.

Der Vertrag, welcher der USWP Autonomie gewährt, enthält die Klausel, dass er nur so lange gilt, bis eine neue Verfassung für Myanmar verabschiedet ist. Ein Schachzug der Militärregierung, der potentiell dazu führt, dass politische Veränderungen auch Konflikte wieder aufflammen lassen würden.

Ein Hauptkonkurrent der UWSA ist die Wa National Army (WNA) des zeitweise wegen Drogenhandels inhaftierten Wa Maha Sang, die von der thailändischen Provinz Mae Hong aus operiert.

Opiumanbau und Umsiedlungen

Die USWA war in der Vergangenheit stark vom Opium abhängig - ökonomisch. Drogenanbau und –handel galten in der Vergangenheit als wichtigster Wirtschaftsfaktor. Die US-Regierung stufte ihre autonome Region 2003 und 2005 als Gebiet ein, das von Drogenbaronen regiert wird. Daraufhin verboten die Bao-Brüder den Anbau von Opium und schickten sich an, dem Verbot mit Umsiedlungen Nachdruck zu verleihen.

Ein Grund für die Bereitwilligkeit der Bao-Brüder, den Mohnanbau aufzugeben, könnte allerdings auch darin liegen, dass die Herstellung einer anderen Droge international für weniger Aufsehen sorgt und trotzdem hohe Profite verspricht: Thailand beschuldigt die UWSA, durch den Betrieb von Methamphetaminlabors Südostasien mit der Substanz zu überschwemmen, die man in Europa und den USA als "Crystal Meth", oder "Hitler Speed" und in Thailand als "Yaa Baa" kennt.

In jedem Fall spendierte die chinesische Regierung 180 Millionen Yüan, mit denen die Umstellung von Opium auf Tee- und Kautschukplantagen gefördert werden soll. Auch Zuckerrohr, Reis, Obst und Gemüse sollen den Opiumanbau ersetzen. Dazu werden Dörfer von den Bergen in tiefer gelegene Regionen verlegt. Die Umsiedlungen sollen auch in Gebiete an der Grenze zu Thailand erfolgen, die vom USWA-Warlords Ta Htang, Ta Rong und Wei Hsiaokangs beherrscht werden.

Allerdings scheinen nicht alle Betroffenen ähnlich begeistert zu sein wie die UN, die diese Umstrukturierung förderte. Manche Umsiedlungen sollen deshalb mit Zwang durchgeführt worden sein - auch von Menschenrechtsverletzungen ist die Rede. Im Süden des Shan-Staats lebende Gruppen sollen wegen der Ansiedlung von Wa nach Thailand geflüchtet sein.

Zerstörte Dörfer und aufgebaute Illusionen

Die von amerikanischen Senatoren wie Dianne Feinstein angeprangerten Zerstörungen von 3000 Dörfern dürften also möglicherweise zu einem nicht geringen Teil auf eine alte Forderung ihrer Regierung – der wirksamen Bekämpfung des Opiumanbaus - zurückgehen. Als in Bolivien und Kolumbien Felder zerstört wurden, war Feinstein weniger kleinlich. Dort begrüßten die USA solche Maßnahmen als legitimes Mittel im "War on Drugs".

Zurück zu den Satellitenbildern: Vor allem bezüglich des vom Spiegel als "besonders eindrucksvolles Bilderpaar" gewerteten Beispiel aus dem Shan-Staat, das eine Aufnahme von 24 Häusern aus dem Jahre 2000 zeigt, die sieben Jahre später zerstört waren, gibt es einige Hinweise darauf, dass die Verantwortung aufgrund der Herrschaftsverhältnisse in der Aufnahmeregion möglicherweise eher örtliche Guerillagruppen treffen könnte: Die betroffenen Gebiete im Shan-Staat waren zum fraglichen Zeitpunkt wahrscheinlich nicht zwischen Regierungstruppen und der SSA-S, sondern zwischen der SSA-S und der SSNPLA umkämpft.

Eher wahrscheinlich ist eine direkte Beteiligung von Tatmadaw bei den Bildern zerstörter Dörfer aus dem Karen-Staat. Doch auch hier ist die Lage viel zu unübersichtlich, als dass aus den Bildern genaueres über Täter, Opfer und Motive abgeleitet werden könnte.

Der Papun-Bezirk im Norden des Karen Staates ist heftig umkämpft – einige Gebiete befinden sich in der Kontrolle der KNU, andere unter der Herrschaft der Tatmadaw und wieder andere werden von der DKBA gehalten. Auch die Bezirke Toungoo und Dooplaya sind heftig umkämpft.

Wer die mutmaßlichen Zwangsumsiedlungen und die Zerstörung von Dörfern und Feldern zu verantworten hat, ist deshalb ebenso wenig sicher wie die Gründe, aus denen sie durchgeführt wurden. Dafür kommt neben einer Zerstörung der Infrastruktur aus militärischen Gründen und der Vertreibung anderer Volksgruppen auch die Bekämpfung des Mohnanbaus in Betracht.

Die Regierung von Myanmar beschloss im Rahmen der ASEAN-Vereinbarungen, dass der Mohnanbau und der Opiumhandel bis 2014 komplett aus dem Land verschwunden sein sollen. Ein Ziel, auf dessen Einhaltung unter anderem auch China pocht.

Tatsächlich deutet einiges darauf hin, dass der früher wichtige Wirtschaftsfaktor zunehmend in den Hintergrund tritt: Zu den Glanzzeiten sollen teilweise 70% der weltweiten Opiumproduktion aus Birma und den im Norden und Osten angrenzenden Gebieten der Nachbarländer gekommen sein. Mittlerweile liegt das Land mit 8% der weltweiten Opiumproduktion weit abgeschlagen hinter dem Spitzenreiter Afghanistan, der seine Opiumproduktion seit dem amerikanischen Einmarsch erheblich steigern konnte.

Im morgen erscheinenden zweiten Teil der Serie: Die Rolle der Mönche und brennende Moscheen