Online oder unsichtbar

Volltextsuchen, Fulltext Teaser, die Haltung deutscher Verlage zu Open Access und eine mögliche Zukunft des wissenschaftlichen Publizieren

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Während es zahlreiche englischsprachige Wissenschaftsverlage ihren Autoren erlauben, in Journals erschienene Artikel auf einem Open-Access-Server jedermann entgeltfrei bereitzustellen, tun sich deutsche Verlage mit einer solchen Praxis schwer: Eine Informationsveranstaltung der Deutschen Initiative für Netzwerkinformation e.V. (DINI verschaffte vor kurzem einen Einblick in die Haltung der deutschen Verlagsszene und gab Gelegenheit, die Argumente von Open-Access-Verfechtern und -Gegnern sowie die Absichten der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) Revue passieren zu lassen.

Open Access bezeichnet die entgeltfreie Zugänglichkeit wissenschaftlicher Informationen und kann über zwei Wege erreicht werden (Die Farbenlehre des Open Access): Über das Self-Publishing, das Herausgeben von oder Publizieren in kostenlos nutzbaren wissenschaftlichen Journalen bzw. das Publizieren von kostenlos nutzbaren wissenschaftlichen Monografien, und das Self-Archiving, das zusätzliche Zugänglichmachen in Journals wissenschaftlicher und meist kommerzieller Verlage erschienener Artikel zur kostenlosen Nutzung durch Leser.

Bei der Gewährung von Self-Archiving-Optionen für Autoren sollte Zurückhaltung der kommerziellen Verlage vermutet werden, da diese prinzipiell zu finanziellen Verlusten führen könnten. Um die Haltung englischsprachiger Verlage zum Self-Archiving zu bestimmen, wurde im Projekt SHERPA RoMEO eine Datenbank erstellt, die Informationen über die Open-Access-Richtlinien oder -Policies dieser Verlage beinhaltet. Überraschenderweise räumen über 90% der befragten Verlage ihren Autoren die Möglichkeit zum Self-Archiving ein, darunter auch big player wie Reed Elsevier oder Springer. Der Grund: Die parallele, kostenlose Zugänglichkeit eines Artikels steigert die Zitationszahlen des Journals und wirbt für Artikel und Journal. Allerdings bedeutet die Zustimmung zum Self-Archving in den wenigsten Fällen, dass die Originaldatei der Verlagspublikation öffentlich zugänglich gemacht werden darf: Meist ist ein verändertes Layout, eine abweichende Paginierung oder Ähnliches Voraussetzung für die Möglichkeit der Zweitveröffentlichung, teils können nur Vorab-Versionen der Verlagspublikation, die sogenannten Preprints, entgeltfrei nutzbar gemacht werden.

Um Informationen über die Haltung deutscher Verlage zu sammeln, förderte die Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG das Gemeinschaftsprojekt Open Access Policies - Was gestatten deutsche Verlage ihren Autoren? der Universitätsbibliothek Stuttgart und des Computer- und Medienservice Humboldt-Universität zu Berlin. Innerhalb des Projekts nahmen die Partner unter anderem zu 30 Verlagen in der Absicht Kontakt auf, deren Open-Access-Policy hinsichtlich des Self-Archiving zu dokumentieren. Der ernüchternde Rücklauf (nur ein Drittel der Verlage antwortete) lässt auf geringes Bewusstsein für Open-Access-Fragen in der deutschen Verlagsszene schließen.

Bei den Argumenten, die anlässlich der erwähnten Informationsveranstaltung pro und contra Open Access ausgetauscht wurden, kam es vor allem seitens der Nicht-Open-Access-Verlage und -Interessensvertreter zur fast schon üblichen Vermischung der Themen wissenschaftliches Publizieren, elektronisches Publizieren und Open Access. Konventionelle Verlage reklamieren geradezu die inhaltliche, über Begutachtung der eingereichten Artikel durch qualifizierte Kolleginnen und Kollegen sichergestellte Qualitätssicherung (die so genannte Peer Review)als ihre ureigenste Errungenschaft. Notwendigkeit und Stellenwert der Peer Review innerhalb der wissenschaftlichen Kommunikation sind weithin anerkannt und ihr eventuelles Fehlen oder Versagen kein originäres Open-Access-Problem. Darüber hinaus wird die inhaltliche Qualitätssicherung von den Verlagen nur organisiert – geleistet wird sie, meist unentgeltlich, von Wissenschaftlern. Auch die technische Qualitätssicherung wird in der Regel nur von etablierten Verlagen selbst geleistet.

Nicht zuletzt wurde Open Access fälschlicherweise in Verbindung zu den so genannten Non-Profit-Publishers wie etwa nicht primär auf wirtschaftlichen Gewinn ausgerichtete Fachgesellschaften gestellt: Die wenigsten (und keine der anerkannten) Open-Access-Verlagshäuser werden von Fachgesellschaften betrieben. Eine Historiezierung erfuhr das heute unter dem Begriff „Journal Crisis“ apostrophierte Zugangsproblem zu wissenschaftlichen Informationen zum Beispiel durch Zitierung einer Publikation der Association of American Universities aus dem Jahr 1927:

Librarians are suffering because of the increasing volume of publications and rapidly rising prices. Of special concern is the much larger number of periodicals that are available that members of faculty consider essential to the successful conduct of their work.

Preissteigerungen in der wissenschaftlichen Informationsversorgung werden so mit der Zunahme der Produktion wissenschaftlicher Inhalte begründet: Laut einer vom Thieme Verlag zitierten Untersuchung lag diese Produktionssteigerung in den vergangenen 200 Jahren jährlich zwischen 3 und 3,5%, als Ursache wurde die jährliche Zunahme der wissenschaftlich Tätigen im gleichen Prozentbereich ausgemacht. Dies alles ungeachtet der Tatsache, dass sich die Budgets der Bibliotheken, gemessen am Bedarf der Informationsversorgung, seither drastisch verschlechtert haben und Open Access als Beitrag zur Milderung der Journal Crisis die freie Zugänglichkeit der Dokumente im Internet explizit voraussetzt.

Wenig überraschend, dass die Association of American Universities vor 80 Jahren nichts von Open-Access-Servern und der Möglichkeit des sekundenschnellen und kostenlosen elektronischen Informationsaustausch via Internet wusste. Auffällig auch die Betonung des Substantivs access unter Vernachlässigung des Adjektivs open mit Verweis auf den Prozentsatz von 90% meist teuer zu erkaufender Onlinezugänglichkeit bei Journalartikeln im STM-Segment (Naturwissenschaft, Technik, Medizin). Punkten können konventionelle Nicht-Open-Access-Verlage noch mit unter dem Motto innovation in online retrieval subsummierten Zusatzservices wie etwa CrossRef, einer Infrastruktur zur Verlinkung von Zitaten.

Hybrides Publizieren

Als Gegenentwurf zu den konventionellen, kommerziellen Verlagen, die ihre Produkte einem kostenpflichtigen Zugriff unterwerfen, gelten zahlreiche der neueren deutschen Universitätsverlage, die ihre Publikation zu Open-Access-Konditionen nutzbar machen bzw. Verlage oder Druckanbieter, die sich auf die kostenpflichtige Print-Publikation der entgeltfreien elektronischen Variante des Dokuments spezialisieren.

Diese hybrides Publizieren genannte Kombination aus entgeltfrei nutzbarer elektronischer Dokumentversion und zusätzlicher kostenpflichtiger Druckausgabe bietet ihren Befürwortern zufolge zahlreiche Vorteile. Das Primat der elektronischen Publikation schlägt sich im Slogan „online or invisible“ nieder, der nicht nur auf die erhöhte Sichtbarkeit, Verbreitung und Zitierhäufigkeit von Open-Access-Dokumenten anspielt, sondern auch auf deren Werbefunktion für die kostenpflichtig zu erstehende Printausgabe.

Traditionelle Verlage wollen häufig aus Angst, das Printpendant zu einer kostenlosen elektronischen Veröffentlichung sei nicht absetzbar, keine Kooperationen mit Open-Access-Universitätsverlagen eingehen. Druckdienstleister und Verlage, die sich auf eine solche Kooperation einlassen (wie etwa Monsenstein und Vannerdat), schwärmen hingegen von dem Werbeeffekt der kostenlosen E-Version für das Printbuch und preisen diese als Full-Range- oder Fulltext-Teaser, schließlich setze wissenschaftliches Arbeiten mit größeren Textmengen eine qualitativ hochwertige Druckausgabe voraus.

Andere Mehrwerte, die mit der elektronischen Open-Access-Veröffentlichung verbunden werden, sind die durch beschleunigte Verbreitung der Dokumente bedingte Verkürzung der Forschungszyklen und die Einfachheit der Verknüpfung: etwa mit anderen Publikationen, mit den den Publikationen zugrundeliegenden Forschungsdaten oder zentralen bzw. nationalen Forschungsdatenbanken, den sogenannten Current Research Information Systems (CRIS). Universitätsverlage, die sich dem Open Access verschrieben haben, werden auch als Chance für Universitäten gesehen, eine aktive Rolle im Publikationsprozess zurück zu gewinnen: Außer bei recht wenigen der konventionellen Verlage wird die inhaltliche Qualitätskontrolle sowieso den Universitäten und ihren Mitarbeitern überlassen und es stellt sich die Frage, ob diese dort auch nicht besser aufgehoben ist als in den Händen eines Wirtschaftsunternehmens.

Erfolgsmodell Open Access Zeitschriften

Gegenüber den auf die Buchpublikation ausgerichteten deutschen Open-Access-Universitätsverlagen konzentrieren sich die Open-Access-Branchenriesen wie die Public Library of Science (PLoS) oder BioMed Central auf das Verlegen wissenschaftlicher Journale. Regionale und an eine lokale Universität gebundene Verlage können eben nur schwerlich ein für ein Journal existentiell wichtiges überregionales oder internationales, renommiertes Gutachtergremium zusammenstellen. BioMed Central etwa publiziert derzeit 180 Journals mit 2007 in der Summe voraussichtlich mehr als 10.000 Artikeln. BioMed Centrals Journals erreichen teils einen hohen Journal Impact Factor (JIF). Der JIF ist der zumindest in den STM-Fächern weitgehend unhinterfragt akzeptierte Indikator für die Qualität wissenschaftlicher Publikationen - auch wenn er sehr berechtigter Kritik unterliegt und sich Alternativen entwickeln (Alte Hüte und neue Konzepte).

Da die Nutzung der Artikel entgeltfrei möglich ist, müssen die Kosten durch Gebühren für publizierte Artikel, die sogenannten Article Processing Charges (APC), gedeckt werden. Die APCs für BioMed Central Journals liegen im Schnitt bei 1.100 €, ihre kürzlich erfolgte Anhebung entsprach laut BioMed Central der Inflationsrate. Ein auf APCs basierendes Geschäftsmodell wird auch als Chance gesehen, den Wissenschaftlern, die durch die Abonnementpraxis in der Literaturversorgung vom Markt entwöhnt waren, den Preis wissenschaftlichen Publizierens bewusst zu machen. Die Beharrlichkeit der Open-Access-Pioniere bei BioMed Central scheint Früchte zu tragen: Die steigende Zahl an Artikel führt zu einer steigenden Zahl an Einreichungen, die wiederum zu verstärktem Interesse führen. Ein Weiteres zum Gelingen tragen die wachsende Bekanntheit von Open Access und die immer häufiger und bindender werdenden Open-Access-Policies von Hochschulen und Forschungsförderern bei, welche Open-Access-Publikationen der Wissenschaftler fordern oder erzwingen.

BioMed Central hält das Open-Access-Konzept – zumindest was Journals angeht – eher im STM-Bereich für aussichtsreich, da hier für die Wissenschaftler größerer Druck zu (raschem) Publizieren besteht. Als für Bibliotheken riskant kann sich allerdings die teilweise Umwandlung der ihnen zur Verfügung stehenden Gelder für die Subskription wissenschaftlicher Journals in APCs erweisen. Die Summe der APCs an stark publizierenden Hochschulen kann die finanzielle Notlage der Bibliotheken weiter verstärken. Sinnvoller erscheint eine Finanzierung der APCs über einen hochschulweiten Fond.

Zurückhaltende Öffnung beim Börsenverein

Das Service gewordene Statement des Börsenvereins des deutschen Buchhandels zu Open Access nimmt sich gegen den Open-Access-Universitätsverlagen und BioMed Central sehr bescheiden aus. Wer unter der Volltextsuche Online (VTO) einen Zugriff auf komplette elektronische Dokumente erwartet, wird enttäuscht - es sei denn, man ist technisch begabt und hat keine Angst vor Juristen.

VTO versteht sich als Verteilplattform für kleinere und mittlere Verlage und will einen Nachweis für Buchinhalte im WWW bieten. Potentielle Käufer können über eine Volltextsuche im Bestand der teilnehmenden Verlage suchen und – je nach deren Vorgabe - eine bestimmte Anzahl Seiten mit oder ohne Registrierung online lesen. Einen entgeltfreien Zugriff auf das gesamte Dokument, inklusive der Möglichkeit dieses auszudrucken oder weiterzugeben, existiert nicht. So steht den neuen Entwicklungen und Initiativen in der Open-Access-Szene starke Zurückhaltung bis Halbherzigkeit des Börsenvereins entgegen. Allerdings weist VTO nicht nur wissenschaftliche Literatur nach, auf die aber die Forderung nach Open Access zielt.

DFG unterstützt Open Access

Die DFG ist offensichtlich bedacht, Open Access weiter zu unterstützen und blickt dabei über den Tellerrand formeller Wissenschaftskommunikation hinaus. Wikis, Blogs und andere Web 2.0 Techniken erreichen zunehmend Akzeptanz in der Diskussion wissenschaftlicher Inhalte und Publikationstechniken - nicht zuletzt wegen ihrer Vernetzungsmöglichkeiten und ihrem, der fehlenden kommunikativen Formalisierung verdankten Geschwindigkeitsvorteil.

Zwar nicht zwingend Open Access aber zumindest elektronisch vorliegend sind die so genannten living documents, wie man sie in den Living Reviews Reihen der Max-Planck-Gesellschaft findet. Diese regelmäßigen inhaltlichen Updates unterzogenen Dokumente gehören ebenfalls zu den neuen interaktiven Publikationstypen und -techniken, die die DFG in der Förderung verstärkt berücksichtigen will.

Bei den zum Self-Archiving notwendigen Open-Access-Repositorien steht neben der Förderung disziplinärer, also sich dezidiert einer Wissenschaftscommunity widmender Angebote, eine verstärkte Vernetzung der bestehenden institutionellen und disziplinären Repositorien an. Zudem hat die DFG bereits die interdisziplinäre Informationsplattform Open Access gefördert, die fachspezifisch Informationen zu Open Access bereithält und einen Beitrag zur Bewusstseinsbildung der Wissenschaftler leistet.