Ballmer und das digitale Wasser

Microsoft kratzt an seiner Oberfläche

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Wenn Steve Ballmer spricht, kann es schon mal laut werden. Und hampelig. Eine neue Hardware wie Surface kommt ihm dabei wie gerufen. Im Publikum: Ein Tüftler von Speedscript. Firmen wie seine machen aus den großspurigen Ankündigungen des Hopsers aus Seattle das Beste. Und derzeit kündigt Microsoft viele neue Geräte mit vielen neuen Oberflächen an.

Gott sei Dank hat er sich hingesetzt. Ein wenig zu groß gewachsen und zu laut steht Steve Ballmer auf der Bühne eines Zürcher Hotelsaals und zeigt wie seit mehr als einem Jahrzehnt, dass Microsoft das Internet von Grund auf verändern und zu Geld machen will. Nun sitzt er nach einer Demo der neuen iTV-Angebote von Pay-TV-Sender Premiere vor einem Tisch mit „fünf Kameras, die die Techniker hier eingebaut haben“, und starrt in digitales Wasser. Surface, das hier zum ersten Mal gezeigt wird, ist ein Tisch mit integriertem Bildschirm und wirkt ein wenig wie ein überdimensioniertes iPhone. Telefonieren kann man damit nicht. Und laut Ballmer ist das Gerät so un-glaub-lich teuer, dass die alte Microsoft-Formel sich hier nicht aussprechen lässt: „No Table in every Home“.

Aber der Spaß ist allemal eine Demo wert. Also malt der CEO gutgelaunt mit allen zehn Fingern Haare an ein Strichgesicht, ist begeistert von der Möglichkeit, eine Kamera einfach auf die Tischplatte zu stellen und ohne weitere Bedienung die Fotos heruntergeladen und angezeigt zu bekommen. Die können dann klein und groß gezogen werden. Im wesentlichen sehen 500 IT-Profis das gleiche Demo, das Jeff Han auf der TED Konferenz 2006 gegeben hat. Vermutlich ist das einfach von Microsoft eingekaufte Technik. Ein Restaurant-Szenario soll den Mund weiter wässrig machen. Die Karte ist online, die Favoriten des letzten Besuchs sind auch noch abrufbar, und wenn es ans Zahlen geht, hört das ewige Gestreite auf. Jeder legt seine Kreditkarte auf den Tisch und zieht die Items auf einen entstandenen Kreis, die er zu zahlen denkt. „Push the button – done.“

All das kommt ohne Maus aus. Gewaschene Finger reichen. Man kommt sich wie die Mäuse in „Ratatouille“ vor, die am Wasserhahn vorbei riesige Tropfen auf die Hände ditschen lassen. Danach geht es ans Zubereiten.

Im Publikum sitzt Raphael Bachmann, CEO der Zürcher Speedscript AG. Er schreibt mit. Sehr schnell tut er das. Denn seine Erfindung macht das auf einem Stift-Computer möglich. Anstatt wie der Erfinder von Office und Verfechter des Tablet-PCs, Jeff Raikes, selbst alles einfach als Grafik über das Display zu schmieren und dann jemanden zum Abtippen zu finden, anstatt die noch immer nicht voll ausgereifte Schrifterkennung zu nutzen, hat Bachmann ein magisches Viereck entwickelt. Wann immer der Eingabestift auf einen der gelb-schwarz dargestellten Buchstaben trifft, poppen mögliche Vokale, Zeichen oder sogar Wörter auf. Angeblich braucht es zwei Wochen Übung, dann entwickelt ein User so eine sehr schnelle Eingabetechnik, die ihm eine elektronische Kurzschrift ermöglicht. Zumindest Bachmann kann das. Seine fehlerlosen Mitschriften rasen über das Display, Ballmer spricht schnell genug dazu und ist auch angetan, als er ihn in der zweiten Reihe mit dem hellen Display sitzen sieht.

Demos gehen meistens gut, es sei denn Bill Gates hat wieder einen schlechten Tag erwischt. Und die Demos der neuen Oberflächen von Office 2007, Surface und anderen wirken schnell sehr eindrucksvoll. Weil sie im wahrsten Sinne des Wortes zeigen, was neue Features bewirken. Oder sie zeigen, was bisher auch ein Problem war. Ballmer plaudert über die interne Präsentation von Excel 2007, in der Gates sich von einem neuen Feature begeistert gezeigt hatte. Der etwas irritierte Einwand der Techniker, das sei kein neues Feature von Excel, man sehe es nur besser, prallt an ihm ab. Er kenne das Programm schließlich ziemlich gut. Ein mutiger Angestellter zeigt ihm das Feature dann auf Excel 2003. Haha. Das ist lustig. Weiter löst es vermutlich nichts aus.

So funktioniert der Markt rund um das dominante Betriebssystem. Microsoft entwickelt 80:20-Lösungen für einen weltweiten Markt. Der restlichen 20 Prozent nehmen sich die Partner an und nähren sich redlich. Jedenfalls so lange, bis Microsoft daraus auch ein gutes Geschäft entwickeln kann. Silverlight und die neu entstehende Expression-Suite ist nun dazu da, die Defizite im Interface von Websites auszugleichen, die die Menü-basierende Applikationen-Kultur geschaffen hat. Und eine digitale Stenoschrift wird so lange die Probleme von stiftbasierten PCs ausgleichen, bis auch hier eine Integration in das Betriebssystem erfolgt. Oder die Lösung stirbt in Schönheit, weil User lieber wie Raikes weiter malen, statt zu schreiben oder mit Übersetzungsfehlern in Handschriftenerkennungen auszukommen.

Ballmer hat inzwischen seine Finger vom Tisch gelassen. Das Ding liegt ihm, wie einem Kind eine Sandburg gefällt. Ein paar Stück davon stehen sicher bei ihm und anderen Managern auf der Veranda. Ansonsten ist kein Wort an diesem Nachmittag davon zu hören, welche Zielgruppen dieser Tisch wirklich bedienen soll.