Der Professorenschlag

Aus aktuellem Anlass: Warum so viele Universitätspräsidenten das staatliche Berufungsrecht für sich einfordern und warum gerade dadurch die wissenschaftliche Autonomie gefährdet wird

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Man sollte annehmen, dass nach Ende des Kalten Krieges auch die Ängste vor einer links-intellektuellen Verschwörung verschwunden sein sollte und dass deswegen für die Berufung von Hochschullehrerinnen und -lehrern vor allem Eignung, Bedarf und Leistung als entscheidende Auswahlkriterien gelten. Eine große, von international renommierten Wissenschaftlern geschaltete Anzeige im Berliner Tagesspiegel vom Montag lässt jedoch Zweifel aufkommen, ob die Berufungspraxis der deutschen Hochschulen an Rationalität und Transparenz gewonnen hat. Schließlich stellt der Anlass dieser Kampagne, die aktuelle Weigerung des Präsidenten der Freien Universität Berlin (FU), ein Mitglied des Kuratoriums der Linksparteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung als Juniorprofessor zu berufen, keinesfalls einen Einzelfall dar. Allenthalben wird versucht, die Hausmacht der Hochschulleitung gegen die Autonomie der Fächer zu behaupten.

Die schöne Theorie

Formal scheint der Fall klar geregelt: Wird an einer Hochschule eine Professur frei oder ist erkennbar, dass sie demnächst neu besetzt werden muss, ist darüber zu entscheiden, ob die Stelle für das gleiche oder ein anderes Fach verwandt werden soll, ob sie gestrichen oder einem anderen Forschungsgebiet innerhalb des selben Instituts zugeordnet wird. Nach dem Berliner Hochschulgesetz entscheidet hierüber das Kuratorium der Universität auf Vorschlag des Akademischen Senats, zwei Organe also, die als Träger der gemeinsamen akademischen Selbstverwaltung fungieren. Im Falle des Kuratoriums werden an der Entscheidung auch Mitglieder der Landesregierung, des Parlaments und andere gesellschaftliche Repräsentanten beteiligt. Ist auf diese Weise über die Verwendung der Stelle entschieden worden, wird sie öffentlich ausgeschrieben.

Auf der Grundlage der nun eingehenden Bewerbungen oder eigener Suchbemühungen wird von einer Berufungskommission eine Liste geeigneter Kandidatinnen und Kandidaten zusammengestellt, die für eine Besetzung der Stelle in Frage kommen. Dabei soll die rechtzeitige Beteiligung der Frauenbeauftragten gewährleisten, dass Bewerbungen von Frauen, die an deutschen Hochschulen noch immer viel zu selten vorkommen, in jeder Stufe des Verfahrens berücksichtigt werden. Die Vorschlagsliste wird dann von den Entscheidungsgremien des Faches, in der Regel dem Fakultäts- oder Fachbereichsrat, beschlossen und mit einer Stellungnahme des Akademischen Senats vom Präsidenten der Hochschule an den zuständigen Minister weitergereicht. In Berlin ist das der Senator für Bildung, Wissenschaft und Forschung, Prof. Dr. E. Jürgen Zöllner (SPD). Erhebt dieser keine Einwände, erteilt er dem oder der auf der Berufungsliste Erstplatzierten den Ruf. Nimmt dieser bzw. diese den Ruf an, beginnen die Berufungsverhandlungen mit der Hochschulleitung und dem Dekanat des jeweiligen Fachbereichs, deren Ergebnis – bestimmte Zusagen der Universität über die Ausstattung des Lehrstuhls, die Bedingungen der Beschäftigung usw. – in der Berufungsvereinbarung niedergelegt werden. Das Berufungsverfahren endet mit der Ernennung der oder des Erstplatzierten durch den Präsidenten der Hochschule.

Folgt die Erstplatzierte dem Ruf nicht oder scheitern die Berufungsverhandlungen, wird dem Zweitplatzierten der Ruf erteilt usw. Ist der Fachbereichsrat mit der Berufungsempfehlung seiner Berufungskommission nicht einverstanden, widerspricht der Senator der Berufungsliste oder nimmt keiner der Erwählten den Ruf an, wird das Verfahren neu ausgeschrieben und beginnt von vorne. Soweit, so klar...

Aber marktgerecht?

„Warum so kompliziert?“, könnte man fragen. „Wenn da eine gute Frau ist, die wir für die Universität gewinnen wollen, dann muss man in der Lage sein, ihr sofort ein Angebot zu machen, das sie nicht ablehnen kann.“ –

Mit solchen Vorstellungen spricht der Präsident der Humboldt-Universität zu Berlin, Prof. Christoph Markschies, in Zeiten, in denen sich die Hochschulen vor allem über ihr Abschneiden in Hochschulrankings definieren und in der Bildungspolitik ganz auf Wettbewerb und Profilbildung gesetzt wird, vielen Wissenschaftlern aus dem Herzen. Vor allem aber seinen Amtskollegen. Die Hochschulpräsidenten fordern seit langem von den Landesministern das Berufungsrecht für sich heraus und gegenüber den Fächern mehr Einfluss bei der Auswahlentscheidung. So heißt es auch im aktuellen Rechenschaftsbericht des Präsidiums der Freien Universität Berlin:

International wettbewerbsfähig wird indessen nur ein Berufungsverfahren sein, das ohne politische Einwirkung in der Hand der Hochschulleitung liegt und auf der Grundlage der Expertise aus den Disziplinen durchgeführt wird.

Allerdings dient das aufwändige Berufungsverfahren an den deutschen Universitäten einem anderen Zweck als nur der Sicherung eines unmittelbaren, meist kurzlebigen Marktvorteils für die eigene Hochschule.

Angesichts der zentralen Bedeutung der auf Lebenszeit berufenen Hochschullehrer für die Aufrechterhaltung des Forschungs- und Studienbetriebs, die Entwicklung der Hochschule und das Überleben bestimmter Schulen bzw. wissenschaftlicher Lehrauffassungen ist nicht nur eine sorgfältige Auswahl der Lehrstuhlinhaber erforderlich. Mit der Neubesetzung einer Professur verbinden sich auch vielfältige Interessen, Begehrlichkeiten und Erwartungen. Dabei stehen nicht nur andere Kollegen oder Mitbewerber auf dem Plan, auch Studierende und die Hochschulleitung machen ihren – zugegeben sehr verschiedengewichtigen – Einfluss geltend, gelegentlich sogar die Politik. Daher soll das strenge und förmliche Verfahren vor allem einen Rahmen für die Beteiligung der verschiedenen Interessenträger vorgeben und Transparenz herstellen.

Von dieser Politik des Interessenausgleichs sollen eigentlich alle ihren Vorteil ziehen. Vor allem aber soll der grundgesetzlich garantierten Wissenschaftsfreiheit genüge getan werden. So liegt die Entscheidungsgewalt über die Verwendung der Stelle bei den zentralen Gremien der Universität oder der Hochschulleitung, während die Personalentscheidung primär von dem Fachbereich getroffen wird, dem die Stelle zugeordnet ist. Dadurch wird einerseits der Planungsautonomie der Hochschule als ganzer und andererseits der wissenschaftlichen Autonomie des Faches zu eigener Schwerpunktsetzung und Fortentwicklung entsprochen. Zugleich soll über die Interventionsmöglichkeit des Wissenschaftsministers eine politische Rückbindung an Staat und Gesellschaft bestehen bleiben, welche die Hochschulen finanziell tragen.

Der Fall Scharenberg

Die Vermutung liegt nahe, dass durch dieses Verfahren nur wenig unkonventionelles oder gar nonkonformistisches Geistespotential auf deutsche Lehrstühle gelangt. Man muss nicht erst die gern verwendete Floskel vom Brain Drain hoffnungsvoller Wissenschaftler ins zumeist englischsprachige Ausland bemühen, um zu begreifen, dass eine wissenschaftliche Karriere in Deutschland an vielen Ecken anhaken kann. Davon abgesehen geht auch die Realität oft an der „schönen Theorie“ vorbei, wie gegenwärtig der Fall Scharenberg an der Freien Universität Berlin (FU) zeigt.

Dr. Albert Scharenberg ist Historiker und Politologe. Als Nordamerika-Spezialist ist er seit Jahren Lehrbeauftragter für Politik und Amerikastudien am John-F.-Kennedy-Institut der FU Berlin und Redakteur der renommierten Blätter für deutsche und internationale Politik. Bereits drei Monographien hat der Verlag Westfälisches Dampfboot von Scharenberg herausgebracht. Selbst die Einführungsvorlesung im Nordamerikastudiengang hat er gehalten. Alles in allem sind das gute Voraussetzungen für eine Bewerbung auf die Juniorprofessur für die Politik Nordamerikas mit dem Schwerpunkt Innenpolitik der USA. So sah es auch die neunköpfige Berufungskommission des Instituts unter dem Vorsitz von Prof. Margit Mayer, die Scharenberg nach Sichtung von ein paar Dutzend Bewerbungen, Anhörung von sechs Favoriten und Einholung zweier externer Gutachten auf Platz eins ihrer Berufungsliste setzte. Der Fachbereichsrat der Politik- und Sozialwissenschaften bestätigte die Liste und übergab sie dem Präsidium der Universität zu Weiterleitung an den Wissenschaftssenator. Das war im Januar 2007. Scharenberg war 41 Jahre alt und guter Dinge.

Dann aber geschah lange Zeit nichts. Erst wenige Tage nach Scharenbergs 42. Geburtstag im Mai 2007 ging bei der Dekanin des Fachbereichs ein vom Ersten Vizepräsidenten der FU, Prof. Klaus W. Hempfer, seines Zeichens Experte für französische und italienische Literatur, unterzeichnetes Schreiben ein, mit dem das Präsidium nach mehr als einem Jahr ein Berufungsverfahren stoppte, für das angesichts der Lehrengpässe am Institut Eile geboten war. Das Präsidium teilte darin mit, dass es sich entschlossen habe, die Kandidatenliste nicht an den Wissenschaftssenator weiterzureichen. Es empfehle statt dessen eine Neuausschreibung der Juniorprofessur.

Zur Begründung heißt es in dem durch Presseberichte bekannt gewordenen Schreiben, der Erstplatzierte (also Scharenberg) sei „im Hinblick auf sein Lebensalter in keiner Weise ausreichend wissenschaftlich qualifiziert, um auf Exzellenzniveau in einem Bereich mitzuarbeiten, der als bisher einziger im Exzellenzwettbewerb erfolgreich war.“ Komisch nur, dass die Hochschulleitung diese Einschätzung so viel besser treffen konnte als die Berufungskommission, deren Mitglieder ja vorwiegend der vom Wissenschaftsrat für exzellent befundenen und daher im Rahmen der Exzellenzinitiative geförderten „Graduate School of North American Studies“ angehören.

Kollegen, die in Berufungskommissionen viel Zeit und Arbeit investieren, fühlen sich durch solche Entscheidungen mehr als nur vor den Kopf gestoßen. Die Verfahren sind so definiert, dass hier fachlich abgewogen und gemessen am Bedarf der Institutionen eine Liste von Leuten zusammengestellt wird, die für tauglich gehalten werden. Und damit meine ich tatsächlich tauglich, wir suchen keine Notlösungen. Schließlich ist es unser Anliegen gewesen, die Institutionen langfristig und kurzfristig am Leben zu erhalten. Da ruft es schon, sagen wir Irritationen hervor, wenn diese Arbeit durch einen Brief des Präsidenten zur Makulatur werden soll.

So denkt man in der Berufungskommission über die Sache, aber nur anonym. Denn seinen Namen will keiner nennen – es werden dienstrechtliche Konsequenzen befürchtet.

L'université c'est moi

Nicht ohne Grund, denn die Kritik geht an die Adresse von FU-Präsident Prof. Dieter Lenzen, der zugleich als Dienstherr fungiert. Der Erziehungswissenschaftler ist für seinen rigiden Führungsstil bekannt. Erst kurz vor Weihnachten 2006 ordnete er per Kabinettsbeschluss schriftlich und ohne Vorverständigung mit dem betroffenen Fach den zwangsweisen Umzug des Instituts für Ethnologie an. Bis Ende Februar sollte es in ein kleineres, nur halb benutzbares Gebäude verlegt werden, weil das bisherige Institutsgebäude von der FU der gebührenpflichtigen „Deutschen Universität für Weiterbildung“ kostenlos zur Verfügung gestellt werden sollte.

Auch in Personalfragen ist Lenzen für seine Alleingänge bekannt. 2005 machte er im Berufungsverfahren zur Besetzung des Lehrstuhls für journalistische Praxis mehrfach seinen Einfluss geltend, um Wolfram Weimer, den Chefredakteur des Potsdamer Magazins Cicero, auf der Berufungsliste zu platzieren. Mann kennt sich halt – schließlich darf Lenzen in dem Politmagazin des öfteren als Autor tätig sein. Kurzerhand kassierte er die Berufungsliste, die statt Weimer einen Wissenschaftler favorisierte. Zu dessen Berufung kam es indes nicht; Weimer zog seine Bewerbung zurück.

Im Falle Scharenbergs waren es wohl keine persönliche Gewogenheit, die zur Intervention des Präsidiums Anlass gaben – eher das Gegenteil. Dabei sieht die Grundordnung der FU für das Präsidium, das abweichend vom Berliner Hochschulgesetz an Stelle des Akademischen Senats sogar über die Zweckbestimmung der Professorenstelle entscheiden darf, nur dann eine Einspruchmöglichkeit in Berufungsverfahren vor, wenn die Berufungsliste als rechtswidrig zu beanstanden ist.

Gegenüber der Berliner Zeitung berief sich ein Sprecher der Hochschulleitung auch just auf diese Kompetenz. Nur, welcher Rechtsfehler sollte hier vorliegen? Ein fehlerhaftes Alter? Wohl kaum. Selbst für Juniorprofessuren macht § 102a des Berliner Hochschulgesetzes das Alter der Kandidaten explizit nicht zur Voraussetzung. Und auch andere Juniorprofessorinnen und -professoren an der FU sind bei ihrer Einstellung deutlich älter als 40 Jahre gewesen.

Worum es wirklich geht, wird klar, wenn man den Namen des Erstplatzierten in die Suchmaske bei Google eingibt. Scharenberg ist nämlich nicht nur als Hochschuldozent und Nordamerikaspezialist tätig, sondern publiziert auch zu linker Parteienpolitik in Deutschland. Zudem und vor allem aber ist er Mitglied im Kuratorium der Rosa-Luxemburg-Stiftung, die bekanntlich der Linkspartei nahe steht. Im Präsidium der FU gilt das offensichtlich nach wie vor als Einstellungshindernis. Doch ist es weder Aufgabe der Hochschulleitung, die Eignung des Bewerbers dahingehend zu überprüfen, ob dieser sich im Sinne des Beamtenrechts jeder Zeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung einsetzen wird, noch können angesichts des nachweislichen Engagements Scharenbergs hierüber Zweifel bestehen.

Die Fachgremien haben sich daher klar hinter den Politologen gestellt. Sowohl der Fachbereichsrat als auch der Institutsrat bestätigten im Juli die Berufungsliste mit Scharenberg als Erstplatzierten und verlangen vom Präsidium nun definitiv deren Weiterleitung an Senator Zöllner. Der hat sich inzwischen mit einem Schreiben an die Hochschule gewandt, in dem er über den Stand des Verfahrens Aufklärung verlangt. Unterdessen sammeln Wissenschaftler aus aller Welt Unterschriften für einen offenen Protestbrief an FU-Präsident Lenzen. Einigen Hochschullehrern der FU, die den Aufruf unterstützen, dürfte dabei auch noch ein ähnlicher Fall am Friedrich-Meinecke-Institut in Erinnerung sein. Lenzen hat in letzter Zeit häufiger entschieden, Berufungslisten nicht an den Senator weiterzuleiten, auch ordentliche Professuren betreffend.