FlowTex-Skandal: 1,1 Milliarden Staatshaftung abgelehnt

Es bleibt der Ruch von Korruption im Ländle

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Ein Milliarden-Finanzskandal am Rande der New-Economy-Blase 2000/2001 fand sein gerichtliches Nachspiel in Karlsruhe, wo am Montag in einem spektakulären Schadensersatzprozess gegen das Bundesland Baden-Württemberg verhandelt wurde: Die Klage wurde vom Oberlandesgericht auch in zweiter Instanz abgeschmettert. Der Ex-Chef des Flachbohrer-Imperiums Manfred Schmider wurde erst Anfang Oktober nach siebenjähriger Haft entlassen, die restlichen viereinhalb Jahre der höchsten je von einem deutschen Gericht gegen einen Wirtschaftsverbrecher verhängten Strafe wurden zur Bewährung ausgesetzt.

Die FlowTex Technologie GmbH & Co. KG im badischen Ettlingen erlebte in den 90er-Jahren einen beispiellosen ökonomischen Höhenflug. Im Verlauf einer Dekade setzte Flowtex ca. 2 Milliarden Euro um, wobei ein global verschachteltes Netzwerk von Unternehmen aufgebaut wurde (größtenteils reine Briefkastenfirmen). Erst im Jahr 2000 kamen die Machenschaften des Mittelständlers ans Licht, obwohl Behörden schon seit spätestens 1996 über Anhaltspunkte, wenn nicht konkrete Beweise für strafbare Handlungen vorlagen.

Flowtex steht heute für den schwersten Fall von Wirtschaftskriminalität der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Von 3400 Horizontalbohrsystemen im Wert von ca. je einer Mio.DM existierten tatsächlich nur 280, die bei Bedarf jeweils mit neu gefälschten Typenschildern vorgeführt wurden. So wurden über fingierte Leasing-Verträge weitere Kredite in einem Schneeballsystem erschlichen. Zuletzt hatte Schmider monatlich 60 Mio.DM an Leasingraten aufbringen müssen, dabei aber dreistellige Millionenbeträge beiseite schaffen können. Diese flossen auf Konten dubioser Stiftungen in Liechtenstein und in opulenten Luxuskonsum, inklusive zweier Privatjets und einer 10-Mio.-Luxusyacht.

Schmider galt in Land und Bund als mittelständischer Vorzeigeunternehmer, der von schwarz-gelben Spitzenpolitikern hochgelobt und unterstützt wurde. Seine Kontakte und Gönner reichten bis hinauf zu den Außenministern und Landesfürsten, sie reichten aber auch hinab bis ins Milieu internationaler Waffenschieber und Finanzkriminalität. Zwei FDP-Landesminister mussten schließlich im Verlauf des Skandals zurücktreten, ein Börsengang des Schwindelunternehmens konnte gerade noch verhindert werden. Ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss des BW-Landtags legte nach dreijähriger Ermittlungstätigkeit schließlich einen 1200 Seiten starken, eher abwiegelnden Bericht vor.

113 geschädigte Banken und Leasinggesellschaften haben sich zu einer Gesellschaft zusammengeschlossen, um das Land für Fehler seiner Finanzbeamten haftbar zu machen. Der Anwalt der Geschädigten hätte jedoch beweisen müssen, dass die Finanzbeamten, von den selbst angeschlagenen Landesbehörden anfangs als Aufklärer des Betrugsskandals gefeiert, diesen in Wahrheit zu verantworten hatten. Das Oberlandesgericht Karlsruhe sah dies aber nicht als erwiesen an.

Im nun vermutlich vor den Bundesgerichtshof gehenden Verfahren über die Milliarden-Staatshaftung wird als entscheidendes Haftungskriterium die Verstrickung von Betriebsprüfern des zuständigen betreffenden Finanzamtes beurteilt. Insbesondere jenen Amtsträgern, denen vorgeworfen wird, während einer Außenprüfung bei Flowtex Kenntnis von strafbaren Handlungen erlangt, dies aber nicht der Staatsanwaltschaft gemeldet zu haben. Mindestens ein Betriebsprüfer hatte nachweisbar kleinere Zuwendungen von FlowTex erhalten. Besagter Prüfer wurde jedoch nur wegen Vorteilsannahme, nicht wegen Bestechlichkeit verurteilt. Das Landgericht Karlsruhe wies deshalb schon die gegen das Land Baden-Württemberg erhobene Amtshaftungsklage schon erstinstanzlich ab.

Zähe Zurückhaltung als Fahndungseifer

Stutzig macht den Prozessbeobachter aber nicht nur, dass die Beamten schon 1996 Scheinumsätze und Kreditbetrügereien bei Flowtex vermutet haben sollen, also vier Jahre vor der Aufdeckung des Systems. Noch stutziger macht, dass diese Aufdeckung nicht im Badischen, sondern letztlich im fernen Portugal angestoßen wurde, wie der Stuttgarter Skandal-Chronist Meinrad Heck in seinem 2006 erschienenem Buch Der Flowtex-Skandal berichtet.

Heck zitiert verschiedene Beteiligte, die den Eindruck hatten, aus dem Ländle würde eher mit zäher Zurückhaltung als mit enthusiastischem Fahndungseifer agiert. So wurden zahlreiche Hinweise, die verschiedenen Beamten vorlagen, nicht verwertet, geschweige denn an die Staatsanwaltschaft weitergemeldet. Zumindest konnte der zuständige Staatsanwalt, an den ein Finanzbeamter die dringenden Verdachtsmomente mündlich gemeldet haben wollte, sich nicht mehr daran erinnern. Letztlich schoben die Verantwortlichen also den schwarzen Peter hin und her. Doch auch die zuständige Staatsanwaltschaft Mannheim ist nicht frei von Zweifeln an Integrität bzw. Kompetenz: Im Mai 1996 war ein Ermittlungsverfahren von Thüringer Kollegen, die sich mit der Flowtex-Komplizenfirma KSK (Weimar) befassen wollten, im Sande verlaufen, da die betreffenden Papiere in Karlsruhe spurlos verschwunden waren. Die Hürde für einen Amtshaftungsanspruch ist hoch, womöglich insbesondere wenn der entstandene Schaden eine Milliarde Euro überschreitet.

Ein Glückspilz ist nach Darstellung von Meinrad Heck der im Zuge des Skandals zurückgetretene Stuttgarter Wirtschaftsminister Walter Döring (FDP). Obwohl Hinweise vorlagen, er hätte womöglich eine Million an Schmiergeld von Schmider erhalten, leiteten die zuständigen Ermittler kein Verfahren ein, um die Verjährung - wie sonst üblich - aufzuhalten. Auch die ermittelnden Staatsanwaltschaften umgab laut Heck der Verdacht der Strafvereitelung im Amt bis hinauf in die Spitzen der Justizbehörde, was letztlich sogar zum Rücktritt der verantwortlichen Justizministerin Corinna Werwik-Hertneck (FDP) führte: Sie hatte ihren Parteifreund, den Wirtschaftsminister Jürgen Döring, vor gegen ihn anlaufenden Fahndungsmaßnahmen gewarnt.

Geldwäsche war in diesem System unabdingbar, um den Anschein unabhängig operierender Unternehmen aufrecht zu erhalten und vor allem, um Geld aus dem System verschwinden zu lassen. Zu diesem Zweck war der Aufbau eines LowTex-eigenen Regionalflughafens nützlich, der unter Leitung des FDP-Ehrenvorsitzenden Jürgen Morlok entstand. Von dort konnte Bargeld unkontrolliert ins Ausland abfließen bzw. -fliegen. In den leeren Hangars des schwach frequentierten Baden Airports konnten des weiteren Bohrsysteme zwecks Identitätswechsel ungestört mit neuen Schildern versehen werden. Zudem brachte die Baden-Airpark AG, eine 100-Prozent-Tochter von Flowtex, dem Schmider-Netzwerk beträchtliches Renommee auf Landesebene und darüber hinaus: Sie galt als erstes gelungenes Beispiel einer PPP (Public Privat Partnership), denn die öffentliche Hand schoss 57 Millionen DM dazu, der Rest kam aus dem Flowtex-Geldkreislauf. Nachdem dieser aufgeflogen war, entpuppte sich der Flughafen mangels Auslastung als Pleite, deren Erblast am Steuerzahler bzw. am landeseigenen Flughafen Stuttgart hängen blieb.

Heuchlerischer Ruf der betrogenen Investoren nach dem Staat?

Wenn die betrogenen Investoren heute vor Gericht gehen, um mittels Staatshaftungsklage gut eine Milliarde Euro zu fordern, erscheint dies etwas heuchlerisch. Der Ruf nach dem Staat bzw. nach dem Geld des Steuerzahlers ist unverständlich, wenn man bedenkt, dass Wirtschaftsverbände und Unternehmen stets mehr Selbstverantwortung fordern und sich von staatlicher Regulierung befreien wollen. Dabei wird immer wieder auf die Kräfte des Marktes und ihre selbstregulierenden Mechanismen verwiesen, die man hier wohl in den Wirtschaftsprüfern und Rating-Agenturen von Flowtex sehen darf. Diese haben jedoch noch kläglicher versagt als der Staat - was sich wenig später in den USA beim Enron-Skandal wiederholen sollte, an dem der hochgepriesene Wirtschaftsprüfungskonzern Andersen scheiterte, Ca. 170 Millionen US-Dollar kostete die beschädigte Berater-Marke Andersen allein das Rebranding zum neuen Namen Accenture.

Die Flowtex-Bilanzen wurden von KPMG Deutsche Treuhand geprüft, einem der renommiertesten deutschen Wirtschaftsprüfer und dem weltweit Drittgrößten seiner Branche, dessen Bericht die bekannte Rating-Agentur Standard&Poors ohne eigene Verifikation naiv übernahm. Standard&Poors verlieh Schmiders Windei-Imperium als erstem Mittelständler überhaupt ein BBB-Gütesiegel . KPMG zahlt später ohne Schuldanerkenntnis im Vergleichsweg 100 Mio.Euro an die Flowtex-Geschädigten. Schmiders Emissionsbanken beim geplanten Börsengang, Dresdner und Commerzbank, bezogen sich ohne spürbare Eigenprüfung auf KPMG und lobten gar die "transparente Rechnungslegungspraxis" des undurchsichtigen Firmenlabyrinths und den "konservativen Führungsstil" des tollkühnen Milliardenhasardeurs Schmider. Der von der Crème de la Crème "eigenverantwortlicher" Wirtschaftskompetenz abgesegnete Flowtex-Börsengang wurde ironischerweise nur durch das regulierende Klicken staatlicher Handschellen verhindert, drohende weitergehende Milliardenschäden damit abgewendet.