Insgesamt nicht gerechtfertigt

Interview mit Hans-Christian Ströbele zur Praxis des Bundeskriminalamtes, mit Hilfe gespeicherter IP-Nummern Ermittlungen gegen die Besucher einer Informationsseite einzuleiten

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Das Bundeskriminalamt speicherte die IP-Adressen aller Besucher, die sich seit 2004 auf den Seiten der Behörde über die "militanten gruppe" informieren. Gegen Personen, welche die Seiten zwischen dem 28. März und dem 18. April diesen Jahres aufriefen und deren Provider die Verbindungsdaten lange genug speicherten, sollen nach einem Bericht des Tagesspiegel Ermittlungen eingeleitet worden sein. Christian Ströbele, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag, bezweifelte öffentlich die Zulässigkeit solch eines Vorgehens, bei dem „eine große Zahl völlig unverdächtigter Personen in ein Raster kommen und unbequemen polizeilichen Maßnahmen ausgesetzt werden“ könne.

Herr Ströbele - Sie haben zu dem Vorgang eine Anfrage gestellt. Was kam dabei heraus?

Hans-Christian Ströbele: Ich habe eine parlamentarische Anfrage an die Bundesregierung gerichtet, des Inhalts, welche Ministerien (oder welche nachgeordneten Stellen von Bundesministerien) solche Speicherungen vorgenommen haben. Inzwischen habe ich auch eine Antwort bekommen. Die ist allerdings etwas ausweichend, weil zu dieser BKA-Speicherung, die ich angesprochen hatte, gar nicht Stellung genommen wird. Es wird lediglich gesagt, dass die "überwiegende Zahl der Ressorts" Speicherungen von IP-Adressen vornimmt - zu "statistischen Zwecken". Außerdem, dass das Bundesjustizministerium das nicht macht und dass es das BKA "generell" auch nicht macht - ob es in diesem Einzelfall gemacht wurde, lassen sie offen. Außerdem würde nach der Entscheidung des Berliner Landgerichts geprüft, welche Schlussfolgerungen sich daraus ergeben.

Welche Schlüsse ziehen sie daraus?

Hans-Christian Ströbele:: Ich habe erstens zur Kenntnis genommen, dass eine solche Speicherung vom BKA offensichtlich durchgeführt worden ist - das wird ja gar nicht in Abrede gestellt. Und zweitens, dass ganz offensichtlich beim BKA die Rechtsprechung der Berliner Justiz nicht beachtet wurde und möglicherweise auch gar nicht bekannt war.

Jedenfalls halte ich meine Meinung aufrecht, dass es sich hier um einen Verstoß gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung handelt, das aus den Artikeln 1 und 2 des Grundgesetzes abgeleitet wird - und dass deshalb eine solche Speicherung ohne gesetzliche Grundlage nicht zulässig ist.

Laut Tagesspiegel hat das BKA bei der Aufnahme von Ermittlungen gegen die Inhaber der gespeicherten IP-Nummern Universitätsadressen und Unternehmensadressen ausgenommen. Nachdem der zeitweise inhaftierte Verdächtige in dem Fall "militante gruppe" an einer Universität arbeitete und gleichzeitig in vielen Medien heute ein Anteil von 80% frei gefertigten Beiträgen angestrebt wird - halten Sie dieses Vorgehen für sachlich gerechtfertigt?

Hans-Christian Ströbele: Ich halte das insgesamt nicht für gerechtfertigt. Ich will mich jetzt in die Einzelheiten nicht einmischen und kann nur feststellen, dass zwar Ausnahmen gemacht wurden, aber grade völlig unbescholtene Bürgerinnen und Bürger in den "Honigtopf" rein gerieten. Man muss das ja als eine Art vom Bundeskriminalamt ausgelegten Honigtopf sehen, an dem die Besucher der Internetseite, die sich ja nur informieren wollen, kleben bleiben und dadurch auch Fahndungsmaßnahmen und Erkenntnismaßnahmen durch das Bundeskriminalamt ausgesetzt sind. Das kann für Einzelne erheblichen Ärger bedeuten. Ich habe inzwischen Kollegen hier aus dem Bundestag gesprochen, die mich entsetzt angesehen und gesagt haben: "auch aus meinem Büro ist schon mal eine solche Seite besucht worden - muss ich jetzt auch befürchten, dass meine Adresse festgestellt wird und dass ich Ärger bekomme?"

Wissen Sie, wie viele IP-Nummern ungefähr gesammelt und zu wie vielen dann die Personendaten ermittelt wurden?

Hans-Christian Ströbele: Ich habe das selber nicht überprüft. Ich habe nur zur Kenntnis genommen, dass es offenbar über 400 waren, von denen dann etwa 200 überprüft worden sein sollen. Ob das stimmt, weiß ich nicht - weil die Bundesregierung auf meine Anfrage in diesem Punkt nicht - beziehungsweise ausweichend - geantwortet hat. Ich werde da noch einmal nachhaken, um konkret rauszubekommen, was eigentlich geschehen ist und wie die Bundesregierung das rechtfertigen will.

Wissen Sie, wie die Ermittlungen aussahen, die nach der Feststellung der zur IP-Nummer gehörigen Personendaten aufgenommen wurden?

Hans-Christian Ströbele: Nein. Das weiß ich nicht. Weil die parlamentarische Kontrolle und Beobachtung der Tätigkeit des Bundeskriminalamtes ja beim Innenausschuss angesiedelt ist, werden vermutlich die Kollegen beim Innenausschuss versuchen, das zu klären und noch einmal nachfragen - wenn sie das nicht schon getan haben.