Das schwarze Schaf

Die Schweizer SVP ist ein Beispiel für Bewegungen aus der Mitte, die mit einer Mischung aus Wohlstandschauvinismus und Ausgrenzung auf Rechtskurs gehen

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4,8 Millionen Schweizer Wahlberechtigte waren am Sonntag aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. Eigentlich ist das ein Ereignis, das außerhalb der Schweiz wenig Interesse hervorruft und auch im Inland bislang auf mäßige Resonanz stieß. Schließlich sorgt die Schweizer Regierungsform der Konkordanzdemokratie dafür, dass nicht die stärkste Partei oder Koalition Regierung stellt. Es regiert vielmehr ein Allparteiengremium, das sehr viel Wert auf Konsens und Kompromiss legt. Konflikte werden anders als beispielsweise in Deutschland in der Regel nicht zum Gegenstand von Parteienstreit. Strittige Themen werden vielmehr einer Volksabstimmung unterzogen, also den Wahlberechtigten direkt vorgelegt.

Ende der Konkordanzdemokratie?

Doch bei der aktuellen Wahl war alles ganz anders. In der Schweiz schlugen die Wellen hoch. Dafür sorgte die Schweizer Volkspartei mit ihrem Vorsitzenden Christoph Blocher. Der milliardenschwere Industrielle verpasste der bäuerlich-konservativen Partei das Image einer rechtspopulistischen Bewegung mit neoliberaler Ausrichtung in der Wirtschaftspolitik. Schon seit mehr als einem Jahrzehnt wurde Blochers Aufstieg zum rechten Volkstribun kritisch beobachtet. Oft wurde er mit Jörg Haider verglichen, der ebenfalls eine eher biedere rechte Altherrenpartei, die FPÖ, zu einer rechtspopulistischen Bewegung umformte. Sein größter Triumph, die Beteiligung an der Regierung, wurde auch zu seiner größten Niederlage. In den Niederungen der Realpolitik zerstritt und spaltete sich die FPÖ und Haider ist auf das Maß eines Kärntner Landeshauptmannes gestutzt worden.

Milliardär, Justizminister und SVP-Chef Christoph Blocher setzt vor allem auf Nationalismus und Ablehnung von Ausländern

Blochers linke und liberale Gegner hofften, dieser werde sich sich an der Macht ebenfalls entzaubern, als sie ihn mit ihren Stimmen im Rahmen der Konkordanzdemokratie zum Justizminister wählten und damit der nach den letzten Wahlen erstarkten SVP einen zweiten Regierungsposten verschafften. Im Justizressort werde Blocher unpopuläre Entscheidungen mittragen müssen, die in der SVP-Wählerschaft unpopulär sind und so an Unterstützung verlieren, lautete das Kalkül seiner Gegner. Doch anders als Haider beherrscht Blocher bislang das Wechselspiel zwischen Verantwortung und Mobilisierung der Basis. Seine Partei konnte bei höherer Wahlbeteiligung die Ergebnisse der letzten Wahl mit knapp 29 % sogar noch um über 2 % ausbauen. Auf Seiten der Blocher-Gegner konnten die Grünen um 1,8 Punkte auf 9,5 Prozent zulegen. Sie hatten sich in den letzten Monaten vor allem in der Frage der Zuwanderung als große Antipoden zu den Rechtspopulisten etablieren können. Dagegen haben die Sozialdemokraten über 4 % verloren und sind bei knapp über 19 % gelandet.

Auch die Freisinnigen, die als Blocher-Gegner im bürgerlichen Lager gelten, haben Stimmen verloren. Zuwachs bekamen neben der SVP auch die Schweizer Christdemokraten, die keine klare Linie zur SVP bezogen haben und als Koalitionspartner den Rechtskonservativen zur Verfügung stehen. Diese Frage könnte dieses Mal eine große Rolle spielen, weil in den letzten Wochen erstmals das Ende des Modells der Konkordanzdemokratie offen diskutiert wurde. So haben Politiker der Sozialdemokraten und Grünen erklärt, Blocher die Stimmen für das Justizressort dieses Mal verweigern zu wollen. Damit wurde darauf spekuliert, dass die liberaleren Kräfte in der Partei gegen Blocher aufbegehren. Doch die SVP hat sofort angekündigt, keinen anderen Kandidaten aufzustellen, sondern in die Opposition zu gehen. Ein solches Szenario passt den Blocher-Gegnern nicht. Sie fürchten, dass sich die SVP dann als Opfer stilisieren und weiter an Unterstützung gewinnen könnte. Schon im Wahlkampf sprach die SVP von einem von Linken und Liberalen ausgetüftelten Geheimplan zu Blochers Abwahl. Am Wahlabend betonten alle Parteien auch sogleich, dass Konkordanzmodell keinesfalls infrage stellen zu wollen.

Ein weiteres Thema, dass sogar international für Aufmerksamkeit sorgte, war die SVP-Kampagne gegen eine weitere Zuwanderung. Zum Sinnbild wurde ein Wahlplakat, auf dem ein schwarzes Schaf von den weißen Schafen verstoßen und aus der Gemeinschaft ausgeschlossen wird. Das sorgte in der Schweiz bei linken Gruppen und antirassistischen Initiativen für Empörung.

Als die SVP dann am 6. Oktober einen Marsch auf Bern ankündigte, eskalierte die Situation endgültig. Tausende Blocher-Gegner fühlten sich durch das Motto an Mussolinis Marsch auf Rom erinnert und blockierten die Route, was zu Straßenschlachten zwischen Linken und der Polizei führte. Die SVP profilierte sich umgehend als Ordnungspartei (Die weißen und die schwarzen Schafe). Es gehört seit Blochers Aufstieg zur Strategie der Partei, mit umstrittenen Aktionen Widerstand zu provozieren und sich dann als Opfer zu gerieren.

Wahlmotiv der Grünen. Die SVP hatte mit ihrem Plakat gepunktet, die anderen Parteien und Kritiker konnten nur reagieren

Europas Herz der Finsternis?

Auch international steht die Schweiz erstmals im Mittelpunkt von Aufmerksamkeit und Kritik. Der UN-Sonderberichterstatter für Rassismus, Doudou Diène hatte das SVP-Plakat mit dem verstoßenen schwarzen Schaf als rassistisch bezeichnet und kritisiert, dass in der Schweiz Asylfragen „nicht mehr auf der Basis von internationalen Instrumenten und Verträgen, sondern unter dem Blickwinkel von Identitäts-Überlegungen und Sicherheits-Aspekten“ betrachtet würden. Die Rechtskonservativen konnten diese Stellungnahme wiederum für sich nutzen, stehen sie doch sowieso allen internationalen Gemeinschaften, seien es EU oder UNO, kritisch gegenüber.

Ein weiterer Höhepunkt der kritischen Reaktionen im Ausland stellte ein Artikel aus dem britischen Independent dar, der sich am 7.September unter der Überschrift „Switzerland: Europe’s heart of darkness“ mit der Wahlkampagne der SVP befasste. Dort wird die These vertreten, dass das, was in der Schweiz derzeit geschehe, weitaus fundamentaler sei als die Ablehnung von Ausländern oder das Misstrauen gegenüber dem Islam:

It is a clash that goes to the heart of an identity crisis which is there throughout Europe and the US. It is about how we live in a world that has changed radically since the end of the Cold War… Switzerland only illustrates it more graphically than elsewhere.

Damit macht das Blatt auch deutlich, dass die Politik à la SVP nicht als ein Schweizer Problem gelten kann. Tatsächlich gibt es Ansätze von rechtspopulistischen Politmodellen auch in anderen Ländern, die wie die Schweiz bisher eher als Hort der Liberalität galten. So bereitet in den Niederländern Rita Verdonk gerade eine Karriere am rechten Rand vor. Die ehemalige Ministerin der Rechtsliberalen hatte sich in der Vergangenheit als kompromisslose Kämpferin gegen Flüchtlinge einen Namen gemacht (Balkenende ohne Ende). Nun war sie selbst ihrer Partei zu rechts geworden und wurde aus ihr ausgeschlossen. Damit kann sie nun die Lücke zu füllen, die der Tod des Rechtspopulisten Pim Fortyn rechtsaußen gerissen hat (Das Pim-Dean-Syndrom).

Auch in Dänemark und Belgien gibt es ähnliche Tendenzen. In Italien ist die schon öfter totgesagte Lega Nord, die mit Blochers SVP verglichen werden kann, weiterhin ein wichtiger politischer Faktor. So könnte das Modell Blocher, eine Mischung aus Wohlstandschauvinismus und Ausgrenzung, noch ein Exportprodukt werden. Hierbei handelt es sich nicht um Rechtsextremisten, die die Mitte erobern wollen, sondern um einen Rechtskurs aus der Mitte der Gesellschaft.