Peak-Oil in 2006?

Die Energie- und Klimawochenschau: EnBW will Kohlekraftwerke bauen und lässt Al Gore für den Klimaschutz werben, die Arktis friert, aber nicht schnell genug, und deutsche Wissenschaftler sehen Peak-Oil bereits gekommen

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Hierzulande haben es ja einige nicht ganz verstanden, weshalb ausgerechnet der Ex-US-Vize Al Gore den Friedensnobelpreis für einen zugegebener Maßen nicht schlechten Diavortrag erhält. Aber daheim weiß man Gores internationalen Erfolg zu würdigen. Er habe geholfen, das Thema aus dem „Umwelt-Ghetto“ herauszuholen, was für die USA sicherlich stimmen mag und bestimmt nicht unwichtig ist. Aber ob er deswegen gleich der „weltweit wichtigste Sprecher für das global wichtigste Thema ist“, wie das Internetportal meint, ist denn doch ein bisschen fraglich.

Angesichts der Übermacht europäischer und nordamerikanischer Medienkonzerne und ihrer Produkte kann man allerdings vielleicht diesen Eindruck auch hierzulande bekommen. Jedenfalls sorgt Al Gores Auftritt am heutigen Dienstag auf der Klimakonferenz von EnBW für erheblichen Andrang, der die Presseabteilung des Konzerns sichtbar überfordert. Interessierte Journalisten mussten eine Erklärung unterzeichnen, mit der sie sich verpflichten, nur aus Gores fünfminütigen Pressestatement, nicht aber aus seinem öffentlichen Vortrag zu zitieren.

Eine wahrhaft innovative Form von Öffentlichkeitsarbeit. Ob damit auch kritische Nachfragen zum Veranstalter unterbunden werden sollen? EnBW ist nämlich nicht nur stolzer Besitzer verschiedener Atomkraftwerke, sondern auch von immerhin zehn Kohlemeilern. Einer davon wird gar mit Braunkohle, dem klimaschädlichsten aller fossilen Brennstoffe, betrieben. In einem Braunkohlekraftwerk werden heute durchschnittlich 1225 Gramm CO2 pro KWh emittiert, mit der neuesten Technik kann dieser Wert auf 950 Gramm CO2/KWh gedrückt werden. Ein weiteres Steinkohlekraftwerk soll in der Nähe von Karlsruhe gebaut werden. Mit einer Leistung von 912 Megawatt wird es derart überdimensioniert sein, dass nur der kleinere Teil der Abwärme ins Fernwärmenetz eingespeist werden kann. Das Kraftwerk wird es damit maximal auf einen Wirkungsgrad von 58 Prozent bringen, doch bei EnBW ist man dennoch überzeugt, dass diese Treibhausgas-Schleuder (bei 300 Volllasttagen im Jahr ist mit etwa fünf Millionen Tonnen CO2 zu rechnen) modernste Technik ist.

Weshalb sich Al Gore solche Freunde sucht, wird sein Geheimnis bleiben. Ob er meint, diese zu brauchen, um gegen Anfeindungen von Seiten der „denialists“, der Leugner des Klimawandels, besser geschützt zu sein? In Großbritannien hat sich tatsächlich jemand gefunden, der dem dortigen Schulbehörden gerichtlich untersagen wollte, den Gore Film „An Inconvenient Truth“ an alle Schulen im Land zu verteilen. Das zuständige Gericht mochte der Klage nicht stattgeben, ergeht sich allerdings in einer länglichen Analyse des Films, in dem es meint, neun „Fehler“ ausgemacht zu haben. Auf Realclimate.org haben sich wiederum Gavin Schmidt, Klimamodellierer am NASA Goddard Institute for Space Studies in New York, und Michael E. Mann, Direktor des Penn State Earth System Science Center (ESSC), Pennsylvania, die Mühe gemacht, diese „Fehler“ genauer zu untersuchen und dem Richter ein wenig Nachhilfeunterricht zu erteilen. Wie schon zuvor andere Klimawissenschaftler kommen sie zu einem ganz überwiegend positiven Urteil über den Film und geben zugleich ein wenig Einblick in den neuesten Stand der Forschung und der wissenschaftlichen Debatten.

Mehr Kohle

Aber wir wollen gegen Al Gores baden-württembergische Freunde nicht ungerecht sein. Schließlich sind sie nicht die einzigen, die Kohlekraftwerke planen. E.on will unter anderem in Kiel, RWE baut bereits im Rheinland und Vattenfall möchte gerne in Hamburg, um nur einige Beispiele zu nennen.

In der Hansestadt regt sich besonders viel Widerstand gegen die Kohlepläne. Dort hat ein breites Bündnis von Verbraucherzentrale und Umweltverbänden eine so genannte Volkspetition mit 12.000 Unterschriften auf den Weg gebracht. Nun muss sich die Hamburger Bürgerschaft mit der Kritik am geplanten 1600-MW-Steinkohlekraftwerk befassen. Die Umweltorganisationen drohen, gegen eine Genehmigung des Kraftwerks gegebenenfalls gerichtlich vorzugehen. Nach Informationen von Robin Wood versucht Vattenfall zwischenzeitlich vollendete Tatsachen zu schaffen. Bei den Behörden wurde eine Vorabgenehmigung beantragt, um bereits im nächsten Monat mit Vorarbeiten für den Bau beginnen zu können. Auch hiergegen haben die Umweltschützer ihren Widerstand angekündigt.

Bei RWE (Vorsteuer-Jahresgewinn 2006 6,1 Milliarden Euro) hatte man derweil eine ganz ausgefallene Idee: Gemeinsam mit BASF und Linde wird eine Pilotanlage gebaut, die zunächst nur fünf Prozent des CO2 eines Kraftwerks abtrennen soll, berichtet die Internetplattform Internationales Wirtschaftsforum Regenerative Energien. Für die Einlagerung des Treibhausgases und den Bau einer CO2-Pipeline fordert RWE nun staatliche Subventionen.

Weiter zu wenig Eis

Lange nichts vom arktischen Eis gehört? Das liegt keinesfalls daran, dass hoch im Norden mit Einsetzen der kalten Jahreszeit wieder alles im Lot wäre. Vielmehr ist einfach der Medienzirkus weiter gezogen. Knut wird größer und das Eis friert wieder, also mangelt es an schlagzeilenträchtigen Nachrichten.

Der Alltag im Norden gibt allerdings mehr als genug Anlass zur Sorge: Obwohl das Eis um diese Jahreszeit längst wieder bis fast zur Behringstraße zwischen Alaska und Sibirien vorgerückt sein sollte, sind noch immer große Teile des arktischen Ozeans eisfrei. Folgende Grafik veranschaulicht, dass das Eisgebiet für die Jahreszeit viel zu klein ist und nicht nur weit hinter dem Mittelwert sondern auch hinter dem bisherigen Rekord aus dem Jahr 2005 zurück bleibt.

Bild: National Snow and Ice Data Center

Der Rückgang des Eisgebietes ist dabei nur ein Aspekt. Zugleich hat auch die Fläche mit dem dicken mehrjährigen Eis abgenommen, wie Daten des US National Snow and Ice Data Centers zeigen. Für gewöhnlich war auch im Sommer bisher in weiten Teilen des zentralen arktischen Ozeans das Eis mehr als drei Meter mächtig. Gegen Ende des diesjährigen Sommers war dies jedoch nur noch in einer relativ schmalen Zone nördlich des kanadischen Archipels und Grönlands der Fall. Das erhöht für die kommenden Jahre die Wahrscheinlichkeit beträchtlich, dass das diesjährige Bedeckungsminimum wieder erreicht oder gar noch unterboten werden könnte.

Unterdessen gibt eine Aktualisierung des US-amerikanischen Zustandsberichts Arktis einen Überblick darüber, dass sich die Ökosysteme der Arktis massiv zu verändern beginnen. Sträucher bevölkern die Tundra und veränderte Bedingungen für Nahrungssuche und Wanderung haben dazu geführt, dass einige Karibuherden in Alaska um bis zu 80 Prozent dezimiert wurden.

Neues vom Peak-Oil

Langsam spricht sich es herum, dass das Erdöl nicht ewig reichen wird. Die jüngste Abschätzung des Öl Peaks, das heißt, der Förderhöchstmenge, wurde am Montag von der hauptsächlich deutschen Energy Watch Group in London veröffentlicht und auf das Jahr 2006 datiert. Von nun an würde es jährlich um einige Prozentpunkte bergab gehen. Demnach wären jüngste Ankündigungen Saudi Arabiens, die Förderung zu erhöhen, um den Höhenflug des Ölpreises aufzuhalten, kaum mehr als ein Pfeifen im Walde.

Die Energy Watch Gruppe geht auf eine Initiative des grünen Bundestagsabgeordneten Hans-Josef Fell zurück. Im wissenschaftlichen Beirat sitzen unter anderem der Vizepräsident von Eurosolar Harry Lehmann, der zugleich Fachbereichsleiter im Umweltbundesamt ist, Jürgen Schmid vom Institut für Solare Energietechnik in Kassel, Volker Quaschning von der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin und Lee Pil-Ryul vom Centre for Energy Alternative Korea. An den Studien der Energy Watch Group haben Werner Zittel und Jörg Schindler von der Ludwig Bölkow Systemtechnik GmbH sowie Stefan Peter vom Institute for Sustainable Solution and Innovations mit geschrieben.

Noch im Juni 2005 hatte der seinerzeitige Präsident der saudischen Ölgesellschaft Saudi Aramco, Abdallah S. Jumah, behauptet, sein Land könne ohne weiteres die Produktion von elf auf 23 Millionen Barrels (Fass) pro Tag steigern, um den wachsenden Bedarf zu befriedigen. Doch davon hat man trotz kräftig wachsender Nachfrage bisher wenig gesehen. Die saudische Förderung ist vielmehr leicht gefallen, wie man den bereits in der letzten Wochenschau zitierten Grafiken entnehmen konnte.

Entsprechend gibt man bei der Energy Watch Group nicht viel auf die Verlautbarungen der Förderländer und Ölkonzerne. Zu groß ist bei diesen offensichtlich die Versuchung, mit ihren Angaben über die vorhandenen Reserven den Markt, die Preise und die innerhalb der OPEC zugestandenen Quoten zu manipulieren. Die Wissenschaftler halten sich lieber an die Förderzahlen und die Geschichte der Entdeckung neuer Lagerstätten, um zu einer Prognose zu kommen. So verweisen sie darauf, dass die Entdeckungen bereits in den 1960er Jahren ihren Höhepunkt überschritten hätten. Zwischen 1960 und 1970 habe die Kapazität eines neuentdeckten Ölfeldes durchschnittlich 572 Millionen Barrel betragen, zwischen 2000 und 2005 war dieser Wert auf 20 Millionen Barrel gefallen. Die Energy Watch Group gelangt daher zu der Einschätzung, dass die vorhandenen Weltölreserven nicht 1.255 Milliarden Barrel betragen, wie es den Angaben der Produzenten entspräche, sondern eher 854 Milliarden Barrel.

Abschätzungen der Energy Watch Group (EWG) und Angaben aus der Industriedatenbank HIS über die Erdölreserven in Milliarden Barrel (Gigabarrel, Gb).

Die Abnahme der Größen der Erdölfelder hat weit reichende Folgen für die Erdölförderung. Jedes Land und jede Gesellschaft wird zuerst die größten Felder erschließen und ausbeuten. Sobald die ersten von diesen ihren Förderhöhepunkt überschritten haben, werden in zunehmendem Maße auch kleinere Felder erschlossen. Denn in jedem Feld kommt nach dem Höhepunkt, dem Peak, ziemlich schnell der Niedergang. Neue Felder müssen also her, um die Fördermenge der Gesellschaft bzw. der Region konstant zu halten. Mit abnehmender Feldgröße wird das jedoch zunehmend aufwändiger und damit teurer. Ab einem bestimmten Punkt kann der Rückgang nicht mehr kompensiert werden, und da sich die älteren Felder immer mehr erschöpfen und besten Falls nur noch sehr kleine als zusätzliche Quellen zur Verfügung stehen, ist der Niedergang relativ rasch.

Viele Länder wie die USA, Großbritannien, eventuell auch China haben bereits ihren Peak überschritten. Bis 2020, so die Autoren, würden alle großen Regionen außer Afrika das Fördermaximum erreicht haben. Entsprechend düster sieht die Prognose für die künftige Förderung aus. Während die Internationale Energie Agentur für 2020 eine Förderung von 105 Millionen Barrel pro Tag (Mb/d) ausrechnet, geht die EWG von nur noch 58 Mb/d aus (derzeit sind es noch 86 Mb/d). Für 2030 rechnet die IEA mit 116 Mb/d und die EWG mit nur noch 39 Mb/d.

WEO 2006 = World Energy Outlook 2006 der IEA. Grafik: Energy Watch Group

„In der Diskussion mit der Ölindustrie habe ich die Erfahrung gemacht, dass der Peak Oil dort wie auch in der Regierung ein Tabuthema ist. Je offensichtlicher die Förderspitze ist, umso weniger wird verstanden, was das bedeutet“, sagt Jeremy Leggett, Chef von Solarcentury und früherer Berater der britischen Regierung zu Fragen erneuerbarer Energien laut einer Pressemitteilung der Gruppe.

Die Autoren der Studie gehen davon aus, dass die Entwicklung eine ernsthafte Bedrohung für die Gesellschaft darstellt, womit ihnen wohl recht zu geben ist. Denn so lange kein bezahlbarer Ersatz existiert und das ganze Transportsystem nicht von seiner Öl-Abhängigkeit kuriert wird, wird die zunehmende Knappheit die Preise hochtreiben (auch für viele Konsumgüter).