Polens Rückkehr zur Normalität

Donald Tusk und seiner Bürgerplattform haben vorwiegend städtische, gebildete, junge und weiblich Wähler zum Sieg verholfen

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Es dauerte, bis am Sonntag die erste Hochrechnung bekannt gegeben wurde. Erst kurz vor 23 Uhr, mit fast drei Stunden Verspätung, bestätigte sich das, was die Umfrageergebnisse der letzten Wochen vorhersagten: Die Ära der Kaczynski-Zwillinge ist zu Ende. Nun steht nur noch Lech als Präsident an der Spitze des polnischen Staates. Allen Grund zur Freude hat dagegen die liberalkonservative Bürgerplattform von Donald Tusk. Mit einem Vorsprung von fast 10 Prozent siegte sie vor der PiS, die von den Polen eine Quittung für ihre zwei Regierungsjahre erhielt.

Doch trotz aller momentanen Freude, Jubelarien sollten Tusk und seine Parteifreunde nicht anstimmen, denn Präsident Lech Kaczynski und der mögliche Koalitionspartner PSL dürften der PO das Regieren nicht gerade leicht machen. Vorsicht ist auch in den deutsch-polnischen Beziehungen angesagt. Die Wahlgewinner haben mit Deutschland die gleichen Probleme wie Kaczynski und seine Gefolgsleute, verpacken diese nur in andere Worte.

Jaroslaw Kaczynski hat der polnischen Demokratie gut getan. Dies mag sich für einen deutschen Beobachter, der in den letzten zwei Jahren vor allem nur die populistischen Töne des jetzt abgewählten Premiers vernommen hat, seltsam anhören. Doch der Wahlsonntag bekräftigt die Behauptung. Seine Politik polarisierte und mobilisierte die Polen, was zur Folge hatte, dass sie an die Wahlurnen strömten wie seit 1989 nicht mehr. Von den 30 Millionen wahlberechtigten Polen gaben 53.8 Prozent ihre Stimme ab – 2005 waren es nur 40.5. Mit solch einer Wahlbeteiligung rechnete nicht einmal die Polnische Wahlkommission. Einige Wahllokale mussten länger offen bleiben, weil ihnen einfach die Stimmzettel ausgingen und neue nicht schnell genug nachgeliefert werden konnten. Erfreulich ist auch die hohe Wahlbeteiligung der Jugend, die in Polen als besonders politisch desinteressiert und verdrossen gilt.

Wie mobilisierend und polarisierend Kaczynskis Politik in den letzten Jahren war, zeigte sich auch unter den Auslandspolen. Auch diese dürfen, solange sie die polnische Staatsbürgerschaft besitzen, an den Wahlen teilnehmen. Die einzige Vorbedingung für die Auslandspolen ist eine rechtzeitige Voranmeldung an den jeweils zuständigen Konsulaten. Und die Auslandspolen nutzten diese Gelegenheit wie nie zuvor. Nach Angaben des polnischen Außenministeriums schrieben sich 170.000 Auslandspolen in die Wahllisten ein, doppelt so viele wie 2005. Besonders in Großbritannien, Irland und den USA, den Zentren der polnischen Emigration, war die Wahlbeteiligung hoch. Dies dürfte aber nicht nur an Kaczynski liegen, sondern auch an dem gezielten Wahlkampf, der außerhalb der polnischen Grenzen stattfand. So gaben sich Tusk, Kaczynski, Lepper und Co. auf den britischen Inseln quasi die Klinke in die Hand. Das Ergebnis dieses Wahlkampfs waren lange Schlangen von Wählern vor den Konsulaten. Szenen, die sich auch in Deutschland vor den polnischen Vertretungen abspielten. Während 2005 gerade mal 4.000 in Deutschland lebende Polen zur Wahl gingen, waren es bei diesem vorgezogenen Urnengang 16.000.

Das Ergebnis dieser Mobilisierung hat Kaczynski jedoch geschadet. Donald Tusk und seine liberalkonservative Bürgerplattform ist mit 41.5 Prozent der große Gewinner der vorgezogenen Wahl. Recht und Gerechtigkeit kam auf 32.1 Prozent, gefolgt von der Parteienkoalition Linke und Demokraten mit 13.1 Prozent und der Bauernpartei PSL, die mit 8.9 Prozent die wenigsten Stimmen von den im zukünftigen Parlament vertretenen Parteien bekommen hat.

Eine Abfuhr erhielten die ehemaligen Koalitionspartner von Jaroslaw Kaczynski. Sowohl die linkspopulistische Bauernpartei Selbstverteidigung von Andrzej Lepper als auch die ultrakonservative Liga Polnischer Familien bekamen nicht einmal 2 Prozent der Stimmen. Deutlicher hätten die polnischen Wähler nicht zeigen können, dass sie von demagogischen Parolen und plattem nationalistischen Populismus genug haben.

Das Fernsehduell spielte eine wichtige Rolle

Vor einigen Wochen war dieses Wahlergebnis noch nicht vorherzusehen. Bis dahin zog die Politik Kaczynskis, der seinen Landwirtschaftsminister Andrzej Lepper (Polnisches Bauerntheater), ebenso wie seinen Innenminister Kaczmarek, wegen angeblicher Korruption aus der Regierung jagte. Kaczynski galt als der Mann, der es ernst meint mit der Bekämpfung der Korruption. Die Wende im Wahlkampf (Polnisch, einflussreich und sexy!), der aufgrund seiner Kürze so inhaltsleer wie nie zuvor war, dafür aber trotzdem heftigst ausgetragen wurde, kam erst durch die Fernsehduelle. Tusk, der bis dahin als der versonnene, etwas weltfremde Intellektuelle galt, präsentierte sich in seinem Duell mit Jaroslaw Kaczynski als ein gewiefter und schlagkräftiger Politiker, der auch bei einer hitzigen Debatte einen kühlen und ruhigen Kopf bewahrt. Seitdem führte Tusk in den Umfrageergebnissen vor Jaroslaw Kaczynski. Und nicht einmal ein Korruptionsskandal um die ehemalige PO-Politikerin Beata Sawicka, den Kaczynski noch wenige Tage vor der Wahl aus dem Hut zauberte, um die PO zu diskreditieren, konnte die Wähler zum Umdenken bewegen.

Das mit Tusk ausgetragene Fernsehduell sieht mittlerweile auch Jaroslaw Kaczynski als ein Grund für die Niederlage an, die Ursachen dafür sucht er aber bei sich. „Im Nachhinein muss ich zugeben, dass ich bei dem Fernsehduell mit Donald Tusk schlecht vorbereitet war“, sagte der Noch-Premier in einem Interview für das polnische Radio. Doch die Gründe für die Niederlage der PiS dürften nicht nur in dem TV-Duell zu suchen sein. Einige Tage vor der Wahl wurden die Stimmen, die die Bevölkerung aufriefen Kaczynski abzuwählen, immer lauter. So appellierte Lech Walesa in einem offenen Brief, gegen die Regierung Kaczynski zu stimmen. Noch herber als der Appell des ehemaligen Arbeiterführers und Staatspräsidenten muss Kaczynski aber die Entscheidung seines Amtsvorgängers Kazimierz Marcinkiewicz getroffen haben Zwei Ämter, ein Gesicht). Dieser erklärte nicht nur seinen Rücktritt aus der PiS, sondern sprach sich auch offen für die PO aus.

Spaltung zwischen Stadt und Land

Diese Stimmen, ebenso wie das Fernsehduell, haben vor allem auf die Stadtbevölkerung Einfluss gehabt, die vor zwei Jahren zu einem großen Teil der Wahl noch fernblieb und somit den Erfolg der PiS erst möglich machte. Wie eine aktuelle Analyse vom Montag zeigt, sind die Wähler der Bürgerplattform vorwiegend städtisch, gebildet, jung und, für viele überraschend, zu über 50 Prozent weiblich. Kaczynski wiederum wurde, wie schon bei den letzten Parlamentswahlen (Die Koalition der Transformationsverlierer), hauptsächlich von älteren, schlechter ausgebildeten und auf dem Lande lebenden Menschen gewählt – seiner Stammwählerschaft. In dieser Wählerverteilung zeigt sich das größte Dilemma Polens, nämlich die gesellschaftliche Spaltung zwischen Stadt und Land. Nicht ohne Grund sprach Tusk deshalb noch in der Nacht seines Wahltriumphes von einer notwendigen Aussöhnung innerhalb der polnischen Gesellschaft, die er als eine seiner Hauptaufgaben der nächsten Jahre ansieht.

Ob ihm aber das gelingen wird ist fraglich. Noch in der Wahlnacht kündigte Jaroslaw Kaczynski eine harte Oppositionspolitik an. „Wir werden die Regierung an ihren Wahlversprechen messen.“ Unterstützung dürfte er dabei auch von seinem Zwillingsbruder Lech bekommen. Als Präsident besitzt dieser ein Vetorecht und kann somit jeden Gesetzesvorschlag der Regierung stoppen. Nur mit einer Drei-Fünftel-Mehrheit, 277 Stimmen im Sejm, kann das Präsidentenveto wieder rückgängig gemacht werden.

Doch die Beschaffung dieser Mehrheit dürfte sich für den zukünftigen Premierminister Tusk öfter als schwierig erweisen. Schon zwischen der Bürgerplattform, die 209 von den 460 Sitzen im Sejm errungen hat, und ihrem gewünschten Koalitionspartner PSL, die im neuen Parlament 31 Abgeordnete haben wird, gibt es einige innenpolitische Streitpunkte, wie zum Beispiel die Einführung eines einheitlichen Steuersatzes. Damit will Tusk die Wirtschaft ankurbeln, die Klientel der Bauernpartei, die zu der ärmsten Bevölkerungsschicht in Polen gehört, würde er dadurch aber belasten. Und die LiD, die mit 53 Abgeordneten im neuen Parlament vertreten sein wird und ebenfalls als ein möglicher Koalitionspartner der PO gehandelt wurde, hat angekündigt, nicht jeden Regierungsvorschlag der PO unterstützen zu wollen.

Außenpolitisch wird sich manches, aber nicht alles ändern

Leichter als in der Innenpolitik dürfte es Donald Tusk mit seiner zukünftigen Außenpolitik haben. Der von ihm angekündigte Abzug der 900 polnischen Soldaten aus dem Irak stößt sowohl in der Bevölkerung als auch bei den meisten in den Sejm gewählten Parteien auf Zustimmung. Als weitere wichtige außenpolitische Aufgaben sieht Tusk die Verbesserung der Beziehungen zu der EU und Russland an. Um dies symbolisch zu unterstreichen, kündigte er auch schon an, nicht nur nach Washington reisen zu wollen, sondern auch nach Brüssel und Moskau.

Doch während es ihm leicht fallen dürfte, die Beziehungen zu der Europäischen Union zu kitten, dürfte es Tusk in Moskau schwerer haben. Durch die Teilnahme Polens am amerikanischen Raketenabwehrsystem sowie dem russischen Embargo für polnisches Fleisch, sind die Beziehungen zwischen den einstigen Bruderstaaten mehr als belastet (Die Wiederkehr alter Feindbilder). Da dürfte es nicht so schnell zu einer Annäherung kommen.

Ob sich mit dem Regierungswechsel in Warschau auch die deutsch-polnischen Beziehungen verbessern werden, ist ebenfalls fraglich. Aus ihrer Freude über die Wahlniederlage Kaczynskis machten die meisten deutschen Politiker keinen Hehl, doch dahinter steckt mehr Unkenntnis als berechtigte Hoffnung auf eine Besserung der Beziehungen. Auch die PO bemängelt die deutsch-russische Ostseepipeline, die Tätigkeit der Preußischen Treuhand und das geplante Zentrum gegen Vertreibungen, welches der Bund der Vertriebenen unbedingt in Berlin errichten möchte – also all das, was in den letzten Jahren zu Spannungen zwischen den beiden Nachbarländern führte. Hier wird die PO genauso auf ihre Meinung beharren, wie die PiS.

Dies zeigte sich schon im Oktober letzten Jahres, als Jaroslaw Kaczynski in Berlin mit Angela Merkel über die deutsch-polnischen Beziehungen sprach. Nach seiner Rückkehr kritisierte die PO, zusammen mit den anderen Oppositionsparteien, den Premier und warf ihm vor, sich zu wenig für die polnischen Interessen eingesetzt zu haben. Was sich lediglich ändern wird, ist der Umgangston zwischen Berlin und Warschau. Ihre Forderungen gegenüber Berlin wird die zukünftige Regierung bestimmt nicht mit der Aufzählung polnischer Opfer im Zweiten Weltkrieg unterstreichen, wie es vor kurzem noch die Kaczysnkis taten. Nein, sie wird sachlicher und argumentativer sein, aber trotzdem beharrend.