Denkt denn keiner an die Kinder?

Die Forderung nach getrennten Angeboten für Erwachsene und Jugendliche im Internet lässt Schlimmes befürchten

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Christiane von Wahlert, Geschäftsführerin der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK), brachte das Problem des deutschen Jugendschutzes auf den Punkt: Sie bezeichnete ihn als Erbe des moralistischen Diskurses des 17. Jahrhunderts. Die Regeln seien dabei seit dem 1985 in Kraft getretenen Gesetz zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit (JÖSchG) von der "Fiktion" begleitet, dass etwa mit den damals erfolgten Bestimmungen zur Abgabe von Videos an verschiedene Altersgruppen auch die Rezeption der Inhalte beeinflusst werden könne. Ob Kinder oder Jugendliche bestimmte Mediendarbietungen zur Kenntnis nehmen, unterstehe letztlich aber nach wie vor der Hoheit der Eltern.

Gerade der letzte Punkt scheint in der Diskussion um mehr Jugendschutz immer mehr in Vergessenheit zu geraten beziehungsweise ausgeblendet zu werden. Stattdessen dreht sich der Diskurs um Altersfreigaben, (Content)Filter, zeitliche Einschränkungen für die Rezipientenfreiheit und dergleichen mehr. Einmal öfter wurde, kurz nachdem das Landgericht Frankfurt am Main die umstrittenen Sperren des Pornoangebotes You Porn durch Internetprovider bekräftigt hatte, die Forderung nach getrennten Angeboten für Kinder, Jugendliche und Erwachsene erhoben. Thomas Günter von Jugendschutz.net sagte:

"Wünschenswert wäre es, dass Zugangsprovider freiwillig unterschiedliche Zugänge für Kinder, Jugendliche und Erwachsene anbieten."

Diese Forderung lässt die Erziehungshoheit völlig außer Acht und delegiert die Entscheidung darüber, was Kinder sehen, lesen und hören dürfen, an Institutionen wie eben jugendschutz.net. Nicht die Eltern bestimmen mehr, sondern oft mehr recht als schlecht kontrollierbare Einstufungen Fremder, die sich direkt auf den Internetzugang auswirken - ein großer Unterschied zu bisherigen Ideen wie beispielsweise speziellen Suchmaschinen für Kinder, denn den Eltern fehlt in der gewünschten Version jegliches Mitspracherecht.

Institutionen und Provider wären dann Alleinentscheider in Bezug darauf, was kind- oder jugendgerecht sein soll. Sieht man sich in Kaufhäusern einmal die so genannten kindgerechten Produkte an, führt dies zu der Situation, dass Seiten, die sich schon an die Kleinsten als Konsumzielgruppe wenden oder aber diese mit mehr oder minder pädagogisch sinnvoller Unterhaltung à la Teletubbies versorgen, dann ihren Eingang in den Kinder-Internetzugang finden. Das ist ebenso bei den diversen Zeichentrickangebote der Fall, die (wenn auch comicartig gezeigte) Gewalt als Mittel zur Konfliktlösung propagieren und Schmerzen genauso wie auch den Tod ausblenden oder zum Teil gar als notwendig deklarieren, wenn denn nur die „Guten“ diejenigen sind, die Gewalt, Zerstörung und Tod verursachen. Gerade die US-amerikanischen Zeichentrickserien, die im Frühprogramm der Privatsender zu sehen sind, zeigen diese Tendenz sehr deutlich.

Durch eine Vorabprüfung und ein „Sorgenfreiangebot“ würde den Eltern zunehmend vorgegaukelt werden, sie könnten sich blindlings auf die Prüfer verlassen und bräuchten somit für die Internetnutzung der Kinder und Jugendlichen keine Verantwortung mehr übernehmen. Warum sollten Eltern sich dann noch selbst ansehen, was die Kinder im Internet bevorzugen oder gar nachfragen, wenn doch von der Seite der Prüfer schon nur "das Kind- oder Jugendgerechte“ seinen Weg findet?

Natürlich gibt es jetzt bereits diverse Angebote, bei denen aber immer die letztendlich entscheiden. Diese Angebote sind lediglich Unterstützung, Hilfestellung - nicht aber allein entscheidend.

Von Abo-Verträgen und beschränkt Geschäftsfähigen

Was Thomas Günther fordert, ist aber nicht nur aus diesem Aspekt heraus absurd. Es erinnert auch ein wenig an Forderungen nach einer Regelung, dass Kinder und Jugendliche keine Klingelton-Abonnements abschließen dürfen. Hier wird einmal öfter deutlich, dass es nicht an Regelungen mangelt, sondern an Wissen - denn einen solchen Fall behandelt ja bereits das Bürgerliche Gesetzbuch umfassend.

Wer noch nicht das 7. Lebensjahr vollendet hat, der ist laut BGB nicht geschäftsfähig. Er kann somit gar kein Abonnement abschließen. Wenn also der 6jährige Sprössling ein Klingeltonabo abgeschlossen hat, so reicht eine Mitteilung, dass ein solcher Abschluss gar nicht möglich ist, weil eine Geschäftsfähigkeit nicht vorliegt. Bei den beschränkt geschäftsfähigen Personen (nach Vollendung des 7. Lebensjahres, aber vor Vollendung des 18. Lebensjahres) bedarf es bei einem Rechtsgeschäft, welches nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil für die Person bedeutet, der Zustimmung der Erziehungsberechtigten. Auch hier reicht deshalb ein „Wir geben keine Zustimmung“, um das Abo als „nicht abgeschlossen“ zu deklarieren. Abonnements fallen auch nicht unter die Regelung des so genannten Taschengeldparagraphen, da hier keine „einmalige Leistung erwirkt wird“, sondern regelmäßige Zahlungen notwendig sind.

Die Regelungen gibt es also schon - nur ist das Wissen um die Bestimmungen des BGB bei vielen Eltern mehr oder weniger nicht vorhanden, so dass hier nach der Hilfe des Staates gerufen wird, wo sie gar nicht nötig ist. Ein möglicher Grund ist, dass Eltern sich so aus der Verantwortung verabschieden und diese an den Staat delegieren können.

Ähnlich ist es mit der Forderung nach getrennten Internetangeboten für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. In der Regel werden Verträge mit Providern langfristig abgeschlossen, auch wenn es erste Versuche mit Prepaidkarten bereits gibt. Somit können diese Verträge nur mit Geschäftsfähigen (also mit Erwachsenen) abgeschlossen werden - beziehungsweise mit beschränkt Geschäftsfähigen, so die Erziehungsberechtigten zustimmen. Da im allgemeinen die Provider bei einem Vertragsabschluss die Schufa-Daten des Vertragspartners zur Information heranziehen, wird in diesem Zusammenhang auch das Alter überprüft und – schon um nicht gegebenenfalls auf den Kosten sitzen zu bleiben – bei Jugendlichen mitgeteilt, dass eine Zustimmung der Erziehungsberechtigten notwendig ist, um den Vertrag abschließen zu können. Andernfalls wird der Vertrag vom Provider nicht abgeschlossen.

Das vorgeprüfte Deutschlandweb?

Insofern stellt sich die Frage, was genau Thomas Günther (immerhin Justiziar bei jugendschutz.net) eigentlich genau fordert. Klarer wird es vielleicht, wenn man seine weiteren Ausführungen betrachtet. So wünscht sich Günther differenzierte Sperrmaßnahmen und eine Freigabe des Zugriffes, wenn bestätigt wird, dass der Anfragende ein Erwachsener ist. Dies würde jedoch nicht nur eine einmalige Bestätigung bei Vertragsabschluss bedeuten, sondern vielmehr eine wiederkehrende Bestätigung bei jeder Seite, die als nicht geeignet für Kinder und Jugendliche angesehen wird.

Dies wiederum bedeutet aber auch eine Prüfung jeder Internetseite, welche im Endeffekt dann den Artikel 5 GG (Rezipientenfreiheit) ad absurdum und schon alleine wegen des durch den Aufwand entstehenden Verzögerungseffektes zu einer Art „Deutschlandweb“ führen würde. Zumindest aber würden die „auch für Kinder und Jugendliche“ freigegebenen Seiten letztendlich nur langsam anwachsen können und somit gerade diesen Gruppen nur eine „beschränkte Informationsfreiheit mit Verzögerungseffekt“ gewähren.

Der deutsche Jugendschutz basiert noch immer auf dem Gedanken, dass die Verantwortung der Eltern reduziert wird und die Hauptverantwortung für das Wohl der Kinder und Jugendlichen beim Staat liegt. Sinnvoller wäre es, auf die Verantwortung der Eltern zu setzen und durch Computer- oder Rechtskurse den Eltern die notwendigen Werkzeuge an die Hand zu geben um eben diese Verantwortung zu übernehmen.

Stattdessen aber setzt man auf Dritte und eine Vollkaskomentalität - und ignoriert dabei völlig das, was eben auch Frau von Walther feststellt: Dass die gesamten Altersbeschränkungen/-freigaben, Sperrungen etc. sinnfrei sind, solange man nicht auf verantwortungsvolle Eltern setzt. Der Trend geht aber in die komplett andere Richtung, wovon letztendlich weder Eltern noch Kinder und Jugendliche profitieren, sondern höchstens jene, deren Aufgabe es ist, über den Jugendschutz zu wachen, Webseiten zu deklarieren usw. Der Jugendschutz wird so nicht nur zur perfekten Waffe im Kampf um Marktanteile, sondern auch zur Jobmaschine.