Sexuelle Vorlieben stecken im Gehirn

US-Forscher haben an Fadenwürmern nachgewiesen, dass die sexuellen Präferenzen einer Art fest im Gehirn verdrahtet sind, indem sie die Tiere durch genetische Veränderungen auf homosexuelles Verhalten umpolten

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Der Fadenwurm Caenorhabditis elegans ist ein recht einfacher Geselle: Höhere Mathematik ist ihm fremd, über Gott und die Welt denkt er selten nach. Wie sollte er auch, schließlich stehen dem rund einen Millimeter langen und 65 Mikrometer dicken Würmchen insgesamt nur 383 Nervenzellen zur Kontrolle aller Körperfunktionen zur Verfügung. Allein acht davon sind für die sexuelle Anziehung zuständig - doch bevor hier jemand „typisch Mann“ ruft, muss man wissen, dass diese Nematoden teils als Zwitter, teils als Männchen aufwachsen. Reine Eva Hermans gibt es in der C.-elegans-Population nicht.

Die hermaphroditischen Vertreter dieser Art benötigen keine Männchen, um sich zu vermehren: Sie produzieren erst Spermien und befruchten dann die anschließend ausgebildeten Eizellen damit. Das hat den Vorteil, dass die Würmer stets das Beste aus ihrer aktuellen Situation machen können. Haben sie (die im Erdreich leben) gerade mal eine ergiebige Nahrungsquelle gefunden, müssen sie nicht darauf warten, dass sich auch noch ein paar Herren dazubegeben: Sie können ganz allein und an Ort und Stelle eine neue C.-elegans-Kolonie gründen.

Der blaue Fleck links im Bild enthält Pheromone von C.-elegans-Hermaphroditen und zieht dadurch die männlichen Würmer an. (Foto: Jamie White / University of Utah)

Das ist allerdings kein Pflichtprogramm: Stehen gerade Männchen zur Verfügung, kommt es gern auch mal zur Paarung. Diese hat den evolutionsbiologischen Vorteil, dass sie die Zahl der Nachkommen deutlich erhöht. Statt 200 Kindern sind dann auch schon mal 1200 Sprösslinge das Ergebnis des Zeugungsvorgangs.

Die Männchen haben es leider etwas schwerer als ihre zwiegeschlechtlichen Vettern. Um sich zu vermehren, offenbar ein Grundbedürfnis, brauchen sie eine Partnerin. Immerhin ist die Auswahl groß: Nur einer von 500 Würmern hat ein rein männliches Geschlecht. Allerdings sind die Tiere völlig blind, um eine Partnerin zu finden, sind sie auf ihren Geruchssinn angewiesen, auf die Chemie also.

Der längere Wurm (oben) ist ein Zwitter, der sowohl männliche als auch weibliche Sexualorgane besitzt. Das Männchen unten ist etwas kürzer. (Foto: Jamie White / University of Utah)

Was die Forscher schon länger beschäftigt hat, ist nun die Frage, wo genau die sexuellen Vorlieben der Würmer eigentlich verdrahtet sind. Das ist keineswegs eine Frage, die nur die BILD-Zeitung des C.-elegans-Volks interessiert. Die Wurmart dient seit langem wegen ihres prinzipiell simplen Aufbaus als Modellorganismus für das gesamte Tierreich. Rückschlüsse auf höhere Arten sind zwar nicht zwangsläufig, sie sind aber zumindest als Forschungsanregung erlaubt und notwendig.

Ein Wissenschaftlerteam der University of Utah ging der Frage nun mit Experimenten nach - die Ergebnisse sind im Fachmagazin Current Biology veröffentlicht. Als Sitz der sexuellen Anziehung waren zunächst vier Nervenzellen im Verdacht, die sich nur in männlichen Nematoden finden. Diese speziellen Zellen bilden sich erst in der letzten Phase der C.-elegans-„Pubertät“ heraus.

In Betracht kamen aber auch vier weitere, in Männchen und Zwittern angelegte Neuronen, die für den Geruchssinn zuständig sind. Tatsächlich ist offenbar die Zusammenarbeit dieser Kernzellen mit den zusätzlichen Nervenzellen der Männchen für die sexuelle Anziehung zuständig. Dabei gelangen den Forschern ein paar verblüffende Befunde: Wenn sie die „Männerzellen“ in einem frühen Larvenstadium zerstörten, verhielten sich die Männchen später trotzdem als solche. Selbst wenn sieben der acht Zellen in der Kindheit des Wurms beseitigt wurden, ging das Männchen später noch auf Brautschau. Das Nervensystem kann den Verlust dann offenbar noch kompensieren. Das funktioniert aber nicht mehr, wenn die Zellen bei erwachsenen Tieren deaktiviert wurden.

Schließlich verpassten die Wissenschaftler eigentlich hermaphroditischen Vertretern der Art auch noch ein männliches Gehirn, indem sie das zuständige Gen „fem-3“ nur in den Nervenzellen aktivierten. Ist fem-3 im gesamten Körper aktiv, sorgt es dafür, dass sich typisch männliche Strukturen herausbilden - den Würmern wächst zum Beispiel ein Schwanz, den sie zur Begattung benötigen. Weil in dem Experiment der Forscher aus Utah aber nur die Nervenzellen männlich waren, fand sich ein männliches Gehirn in einem weiblichen Körper wieder - und prompt fühlten sich die derart manipulierten Tiere zu anderen Weibchen (also Zwittern) hingezogen. Von den Keimdrüsen produzierte Hormone scheinen zumindest bei C. elegans also keinen Einfluss auf die sexuelle Orientierung zu haben.