Israel will mit Strafmaßnahmen gegen den Gaza-Streifen beginnen

Der Raketenbeschuss aus dem Gaza-Streifen soll mit Stromsperren beantwortet werden, amnesty berichtet von zunehmenden Menschenrechtsverletzungen im Westjordanland und im Gaza-Streifen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Da fast Tag für Tag Kassam-Raketen vom Gaza-Streifen nach Israel abgefeuert werden, steht die israelische Regierung unter hohem innenpolitischen Druck, erneut einzumarschieren und militärisch gegen die palästinensischen Extremisten vorzugehen. Die letzten fünf Raketen schossen Mitglieder des Islamischen Dschihad als Protest ab, nachdem sich der israelische Pemierminister Ehud Olmert am Freitag mit dem palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas getroffen habe. Dabei ging es auch um die Absicht Israels, auf neue Raketen mit Stromabschaltung zu antworten.

Angeblich seien die Verhandlungen in positiver Haltung geführt worden. Olmert strich für die weiteren Friedensverhandlungen heraus, dass der erste Schritt die Bekämpfung des Terrorismus durch die palästinensische Regierung sein müsse. Als Gesprächspartner hat Israel nur die von Abbas geführte, von Hamas seit Juni gereinigte Schrumpfregierung im Westjordanland akzeptiert, der von Hamas mehr schlecht als regulierte Gaza-Streifen wurde hingegen abgeriegelt, wodurch das wirtschaftliche Leben mehr oder weniger zusammengebrochen ist. Ob die strikte, von der US-Regierung gestützte Weigerung, mit Hamas, immerhin durch demokratische Wahlen zur Macht gekommen und bis Juni Koalitionspartner mit der Fatah in der Palästinensische Autonomiebehörde gewesen, politisch klug ist und zu einem stabilen Abkommen führen kann, darf bezweifelt werden.

Dazu kommt, dass nicht nur der Islamische Dschihad und die al-Qassam-Brigaden der Hamas, sondern auch die zu Fatah gehörenden al-Aksa-Brigaden Raketen auf Israel feuern. Mit den andauernden Raketenangriffen rechtfertigt Israel das harte Vorgehen gegen den Gaza-Streifen, den man Mitte September zu einem "feindlichen Gebiet" erklärt hat (Die Konflikte im Nahen Osten spitzen sich zu), um die rechtliche Grundlage zu schaffen, die Lieferung nicht nur von Strom, Gas, Wasser oder Treibstoff, sondern auch von Nahrungsmitteln in das abgeriegelte Gebiet einzuschränken oder zu unterbinden, in dem 1,5 Millionen leben. (Berichte von einem Massaker in Burma)

Die Drohung will man nun wahr machen. Der israelische Verteidigungsminister Ehud Barak hat erklärt, die Empfehlung des Militärs umzusetzen, auf weitere Raketenangriffe mit Wirtschaftssanktionen zu reagieren. Die Sanktionen waren bereits vom Kabinett gebilligt worden, unter der Voraussetzung, dass sie rechtlich legitim sind. Dabei spielte die Frage der Angemessenheit eine Rolle, weil von der Kollektivstrafe schließlich alle Palästinenser betroffen sind.

Die Regierung ist der Überzeugung, dass eine endgültige rechtliche Billigung der Maßnahme durch den Generalstaatsanwalt kurz bevorsteht. Von einer Sperre der Trinkwasserversorgung hat man offenbar Abschied genommen. Es heißt, dass schon ab Sonntag oder Montag mit ersten Sanktionen begonnen werden könne. Das wichtigste Werkzeug sollen Stromsperren für Teile des Gaza-Streifens sein, Krankenhäuser will man allerdings ausklammern. So soll eine "humanitäre Krise" vermieden werden, wie Olmert versicherte (wobei aber auch Entsalzungsanlagen oft mit Strom betrieben werden). Zunächst soll an den kommenden Tagen die Stromversorgung am Abend für 15 Minuten bis zu einer Stunde unterbrochen werden. Um die Sanktionen nicht als Strafe erscheinen zu lassen, will man die Länge die Absperrung nicht direkt an den Raketenbeschuss binden, wie es zunächst hieß. Zudem ist geplant, die Benzinlieferungen zu reduzieren, Diesel aber soll weiter in den Gaza-Streifen gelangen, weil Krankenhäuser und das öffentliche Verkehrssystem darauf angewiesen sind.

Über die Hälfte des Stroms für den Gaza-Streifen kommt von Israel. Vier Stromlinien von Israel in den Gaza-Streifen liefern Elektrizität zu einem Militärlager an der Grenze oder zu Vierteln in Gaza-Stadt mit Krankenhäusern. Die fünfte Linie geht von Israel nach Beit Hanun, von wo angeblich viele Raketen abgeschossen werden.

Herrschaft der Milizen

Amnesty International hat in einem Bericht sowohl Hamas als auch Fatah schwerer Menschenrechtsverletzungen im Gaza-Streifen beschuldigt. In der ersten Hälfte des Jahres seien aufgrund der Kämpfe zwischen Fatah und Hamas 350 Menschen getötet und über 2000 verletzt worden. Viele seien Unbeteiligte gewesen. Beide Fraktionen, die sich mit bewaffneten Gruppen zusammen getan haben, hätten schon vor der Machtübernahme der Hamas im Juni keine Rücksicht auf Zivilisten genommen. Es habe kaltblütige Ermordungen, Folterungen, Geiselnahmen, Straßensperren und willkürliche Schießereien gegeben.

Amnesty sagt, dass die Machtübernahme der Hams ebenso wie die Entscheidung von Abbas, die Arbeit der Sicherheitskräfte und der Rechtsinstitutionen der Palästinensischen Autonomiebehörde einzustellen, ein "rechtliches und institutionelles Vakuum" geschaffen haben. Die Übergriffe hätten zugenommen, die Versuche der Hamas-Führung, die Gewalt einzudämmen, sei nicht effektiv gewesen. Dasselbe sei im Westjordanland der Fall, wo Abbas offenbar keinen Einfluss auf die bewaffneten Fatah-Mitglieder hatte, die mutmaßliche Unterstützer der Hamas angegriffen, ihre Häuser und Geschäfte abgebrannt haben. Die al-Aksa-Brigaden würden weiterhin frei operieren und Hamas-Anhänger einschüchtern können. Hunderte von bekannten und mutmaßlichen Hamas-Anhänger seien inhaftiert und würden teilweise misshandelt. Meinungsfreiheit und die Möglichkeit, friedlich politisch zu handeln, seien sowohl im Westjordanland als auch im Gaza-Streifen durch die Milizen erheblich eingeschränkt worden. Amnesty listet für die Gewalt im Gaza-Streifen und im Westjordanland zahlreiche Zeugenberichte auf.

Ein Sprecher von Fatah wies den Bericht zurück und sagte, man habe stets rechtskonform gehandelt. Ein Sprecher der Hamas begründete die Gewalt mit der Notwendigkeit, wieder Ordnung herstellen zu müssen, und bedauerte die Opfer.