Roboter können sehr unzuverlässig sein

Interview mit Sebastian Thrun, Professor für Künstliche Intelligenz an der kalifornischen Stanford University und Leiter des Stanford Racing Teams, einem der Favoriten bei der diesjährigen Darpa Urban Challenge

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Mit einem modifizierten Volkswagen Touareg gelang dem Stanford Racing Team im Jahr 2005 der Sieg bei der zweiten Grand Challenge, einem Wettbewerb für autonome Fahrzeuge der US-Militärforschungsbehörde Darpa. Knapp vor den Konkurrenten der Pittsburgher Carnegie Mellon University ging das „Stanley“ getaufte Fahrzeug als erstes nach einer knapp 212 Kilometer lange Fahrt über eine Wüstenstrecke durchs Ziel. Ob die Stanforder den Erfolg bei der diesjährigen Urban Challenge wiederholen können, ist fraglich. Denn diesmal geht es nicht nur darum, den Kurs zu halten, sondern auch auf andere Fahrzeuge zu achten und die Verkehrsregeln zu befolgen (Das große Roboter-Rennen).

Sebastian Thrun bei einer Präsentation seines Teams am Freitagnachmittag. Bild: Marsiske

Herr Thrun, wie sind Sie eigentlich dazu gekommen, autonome Fahrzeuge zu entwickeln?

Sebastia Thrun: Ich habe seit langer Zeit Robotik studiert, speziell das autonome Navigieren, das in vielen Bereichen eine große Rolle spielen kann. Im Straßenverkehr etwa haben wir weltweit etwa eine Million Todesopfer jährlich. Der weitaus größte Teil davon lässt sich auf menschliches Fehlverhalten zurückführen. Hier kann die Technologie Menschenleben retten

Welches sind die grundlegenden Entscheidungen bei der Entwicklung eines autonomen Fahrzeugs? Worüber denkt man zuerst nach?

Sebastia Thrun: Die erste große Frage betrifft die Wahrnehmung. Das Fahrzeug muss seine Umgebung wahrnehmen, um auf dieser Grundlage Entscheidungen treffen zu können. Da muss man zunächst entscheiden, mit welcher Sensorik es ausgestattet werden soll. Wir haben uns in Stanford sehr stark auf Laser- und Radarsensoren fokussiert, andere Teams verwenden Kameras, auch Stereokamerasysteme. Dann geht es darum, die Sensordaten so zu verarbeiten, dass man ein zuverlässiges Ergebnis bekommt, also alle Hindernisse, die man sehen muss, auch mit hinreichender Sicherheit erkennt. Dabei ist zu beachten, dass jeder Sensor erst einmal unvollständig und mit Rauschen behaftet ist. Wir müssen daher Software schreiben, die mit diesen inkonsistenten Sensordaten umgehen kann. Da verbergen sich jede Menge Entscheidungen, die man treffen muss.

Geht es auch darum, welchen Sensoren man im Zweifelsfall mehr glauben sollte?

Sebastia Thrun: Ganz genau. Wir haben jede Menge inkonsistente Daten. Mal finden wir einen Bordstein, dann finden wir ihn wieder nicht. Ist er nun wirklich da oder nicht? Die nächste große Designfrage hat mit dem Fahrverhalten zu tun. Wenn man zum Beispiel stur den Regeln folgt, kommt man schnell in Situationen, in denen man festsitzt und nicht mehr weiter fährt. Es gibt in den USA zum Beispiel viele Kreuzungen mit vier Stoppschildern mit der Regel: Wer zuerst kommt fährt zuerst. Wenn jetzt zwei Roboterfahrzeuge denken, dass sie als zweite gekommen sind, und sich an die Regel hielten, würden sie unendlich lange stehen bleiben.

Wie alle anderen Teams auch haben wir daher eine Hierarchie von Verhalten implementiert, bei der in erster Instanz das regelkonforme Verhalten durchzusetzen versucht wird. Wenn das scheitert, werden immer mehr Abstriche gemacht, bis hin zu dem Punkt, wo der Roboter mehr oder weniger frei fährt, ohne Regeln zu beachten.

Im Fahrzeug des Teams Lux wäre noch Platz für ein paar Koffer

Konnten Sie von dem Fahrzeug „Stanley“, mit dem Sie 2005 die Grand Challenge gewonnen haben, viel übernehmen, oder mussten Sie das Design von Grund auf neu entwickeln?

Sebastia Thrun: Wir haben von Stanley einen Großteil übernommen. Aber die Komplexität, die wir hier haben, ist so viel größer, dass quasi fast alle Software neu ist. Was am stärksten noch vertreten ist, sind Basics wie etwa die Kommunikation innerhalb des Vehikels selber. Auch die Visualisierung ist sehr ähnlich geblieben. Aber die Wahrnehmung der Umgebung ist dadurch, dass wir jetzt auch sich bewegende Objekte haben, sehr viel komplizierter geworden. Auch das Planen, das Fahren ist schwieriger geworden.

Müssen Sie auch die Intentionen der anderen Fahrzeuge verstehen können, oder reicht es aus, lediglich deren Richtung und Geschwindigkeit zu schätzen?

Sebastia Thrun: Wir hatten ursprünglich angenommen, dass das Verstehen der Intentionen eine große Sache ist, haben es aber nicht geschafft, Software zu erzeugen, die damit umgehen kann. Wir verstehen schon, auf welcher Fahrbahn sich ein Fahrzeug befindet, und gehen davon aus, dass es keine Intention hat, mit uns zu kollidieren, wenn es sich auf der Gegenfahrbahn befindet. Wir merken aber auch, dass Roboter sehr unzuverlässig sein können. Man kann sich bei ihnen nicht darauf verlassen, was sie gerade vorhaben. Das ist bei Menschen sehr viel einfacher. Andererseits ist der Straßenverkehr so geregelt, dass durch die Instrumentierung der Umgebung wie etwa die Fahrbahnbemalung Konflikte quasi von vornherein vermieden werden. Das heißt, so lange ich mich an die Fahrregeln halte, ist die Umgebung so gebaut, dass ich relativ sicher bin.

denn die vier Computer zur Steuerung des Fahrzeugs sind unter dem Boden versteckt. "Wir wollen zeigen, dass die Technologie gar nicht mehr so weit weg ist", kommentiert Teamsprecherin Tanja Müller die zurückhaltende Ausstattung des Wagens.

FRAGE: Haben Sie so etwas wie eine grundlegende Philosophie für das Design eines Roboterfahrzeugs?

THRUN: Jede Menge. Zunächst einmal den Einsatz künstlicher Intelligenz, speziell von probabilistischen Verfahren. Das sind Verfahren, die mit Unsicherheit umgehen können, indem sie Statistik einsetzen. Das ist auch mein Beitrag zur Wissenschaft gewesen in den letzten 15 Jahren. Solche Verfahren zeigen eine große Robustheit. Der zweite Punkt ist, dass wir unser Computersystem so ähnlich bauen wie ein menschliches Gehirn, ohne zentrale Uhr. Wir haben eine Reihe von Zentren, die vor sich hin arbeiten, Daten aufbereiten und sie anderen Ebenen zur Verfügung stellen, ohne dass es dabei einen zentralen Taktgeber gibt. Das gibt sehr viel Robustheit. Wenn es mal ein bisschen länger dauert nachzudenken, wie man jetzt fahren muss, ist das kein Problem. Dann wird halt mal ein Kamerabild übersprungen. Wir arbeiten extrem parallel und verarbeiten mehrere Sachen gleichzeitig. Dadurch können wir die Dauer von der Wahrnehmung bis zum daraus resultierenden Steuerbefehl auf ungefähr 300 Millisekunden reduzieren.

Für wie realistisch halten Sie die Vorgabe des US-Kongresses, bis zum Jahr 2015 ein Drittel der Militärfahrzeuge unbemannt fahren zu lassen?

Sebastia Thrun: Ich halte es für ein gutes Ziel. Wir sollten uns für den zivilen Bereich ein ähnliches Ziel setzen, etwa bis zum Jahr 2015 die Zahl der Verkehrstoten zu halbieren. Um das zu erreichen, müssen wir aber nicht nur technische Probleme lösen. Technisch wäre es wohl machbar, aber die sozialen und strukturellen Fragen werden uns möglicherweise noch länger beschäftigen. Wichtig wäre es, das wir wirklich aufwachen und wahrnehmen, wie viele Menschenleben wir jedes Jahr im Straßenverkehr verlieren, im zivilen noch wesentlich mehr als im militärischen. Wir müssen uns fragen: Ist das akzeptabel? Sollten wir nicht mehr in Technologie investieren, die das Fahren sicherer macht und auch Menschen das Fahren ermöglicht, die heute nicht dazu in der Lage sind?

Das Team vom M.I.T. hat dagegen jeden verfügbaren Kubikzentimeter mit Rechenleistung gefüllt

Nach der letzten Grand Challenge gab es Stimmen, die Darpa hätte die Bedingungen erleichtert, weil sie unbedingt einen Sieger vorweisen wollten. Es sei etwa die Strecke vorher planiert worden, um sie besser erkennbar zu machen. Was sagen Sie dazu?

Sebastia Thrun: Dazu gibt es viele Meinungen. Es ist sicherlich so, dass bei der ersten Grand Challenge die schwierigen Passagen gleich am Anfang lagen. Beim zweiten Wettbewerb wurden sie wohl bewusst eher ans Ende gelegt, einfach weil das Maß des Erfolgs die gefahrenen Meilen waren. Viel wichtiger finde ich aber, dass keines der Fahrzeuge aus dem ersten Rennen den zweiten Kurs geschafft hätte. Beim zweiten Rennen sind aber gleich fünf Fahrzeuge ins Ziel gekommen. Das ist sehr signifikant. Wären diese erfolgreichen Fahrzeuge aus dem zweiten Rennen am ersten Kurs erneut gescheitert? Das ist eine hypothetische Frage. Ich glaube nein. Aber es gibt auch andere Meinungen dazu. Das ist okay.

Gewinnen Roboterwettbewerbe an Bedeutung?

Sebastia Thrun: Ja. Ich denke, Wettbewerbe schlechthin sind sehr schön. Darpa hat es geschafft, auch die Öffentlichkeit mit einzubeziehen und das Bewusstsein zu vermitteln, dass da etwas wirklich Interessantes passiert. Es hat auch dazu geführt, dass sich Leute sehr ernsthaft dafür eingesetzt haben, dieses Ziel zu erreichen. Überhaupt sind alle sehr viel ernsthafter geworden. Ich bin ein großer Fan solcher Wettbewerbe.