Von Kirchner zu Kirchner

Der argentinische Präsident übergibt das Amt an seine Ehefrau und etabliiert damit den "Kirchnerismus" als vermeintliche Alternative zu den diskreditierten traditionellen Parteien

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Die argentinische Staatsführung bleibt in der Familie: Gut vier Jahre nach der Wahl Néstor Kirchners folgte dem Präsidenten seine Ehefrau. Cristina Kirchner, die Senatorin für die Provinz Buenos Aires, ging aus der Präsidentschaftswahl am Sonntag als Siegerin hervor. Der "Kirchnerismus" hat sich damit in dem südamerikanischen Land als vermeintliche Alternative zu den traditionellen Parteien und politischen Strömungen etabliert. Aber haben die Kirchners wirklich neue Konzepte in der Tasche?

Das Präsidentenamt bleibt in der Familie. Die Kirchners freuen sich über die ersten Wahlergebnisse

Als am Sonntagabend nach der Auszählung von gut 80 Prozent der Stimmen die ersten Ergebnisse bekannt gegeben wurden, erklärte sich die 54-jährige Cristina Kirchner bereits zur Siegerin. Die zweitplazierte Kandidatin Elsa Carrió von der linksliberalen Bürgerallianz meldete zunächst zwar noch Protest an, gab sich dann aber geschlagen. Zu deutlich war das (in den Wahlprognosen seit Wochen vorhergesagte) Ergebnis: Gut 44 Prozent der abgegebenen Stimmen entfielen auf Senatorin Kirchner, 23 Prozent auf Carrió und gerade einmal 17 Prozent auf den Vertreter der neoliberalen Rechten, den ehemaligen Wirtschaftsminister Roberto Lavagna. Eine Stichwahl findet damit nicht statt.

Von politischer Krise unberührt

Das Ergebnis war im Grunde abzusehen. Seit Monaten war Cristina Kirchner durch Lateinamerika getourt und wurde dabei von Mexiko bis Brasilia als designierte Präsidentin empfangen. Das wirklich Interessante nach ihrer Wahl ist daher nicht der Ausgang, sondern die politische Auswirkung. Zum einen in der Innenpolitik: Dort scheint die Doppelherrschaft der beiden Traditionsparteien - der peronistischen Gerechtigkeitspartei und der Radikalen Bürgerunion - endgültig beendet. Kirchner ist zwar offiziell als Kandidatin der Peronisten angetreten, wurde aber von dem Parteienbündnis Front für den Sieg unterstützt.

Die Oppositionskandidaten Carrió und Lavagna haben sich zunächst auf die Wahlen konzentriert, langfristig wurden ihnen daher keine großen Chancen zugerechnet. Überraschend hat Carrió, die in der Protestbewegung während der Finanzkrise Ende 2001 große Popularität genoss, nun mehrere Sitze im Senat gewonnen. Der rechtsgerichtete Unternehmer Mauricio Macri schnitt indes weit schlechter ab als angenommen. Mit Spannung wird daher das Ergebnis der Wahlen für die Hälfte der Mandate der Abgeordnetenkammer und für ein Drittel der Sitze des Senats erwartet. Die Abstimmungen haben parallel zur Präsidentschaftswahl stattgefunden, die Ergebnisse werden aber aufgrund des komplizierten Wahlsystems erst später erwartet. Die neue Verteilung in diesen beiden Häusern wird über die Chancen einer zukünftigen Opposition entscheiden.

Die Neuordnung des Parteiensystems in dem südamerikanischen Land ist eine späte Nachwirkung der so genannten Argentinienkrise. Ende 2001 war als Konsequenz der Bretton-Woods-Politik das Finanzsystem zusammengebrochen (Quo vadis Argentina?). Die folgenden sozialen Proteste (Schimpfen auf den IWF im Netz) mündeten in einer kompromisslosen Ablehnung der etablierten Parteien (Argentinien im Umbruch). Das gemeinsame Motto der Demonstranten lautete damals: Que se vayan todos! (Alle sollen gehen!)

Es ist dem Geschick Néstor Kirchners geschuldet, dass er sich in der späten Phase der politischen Legitimationskrise als vermeintlich linker Außenseiter und damit als Alternative zu der peronistischen Führung inszenieren konnte, die für die Finanzkatastrophe verantwortlich gemacht wurden. So hat der ehemalige Präsident Carlos Menem heute keine politischen Chancen mehr, während die Kirchners die Casa Rosada, den Präsidentenpalast, fest in der Hand haben.

Hier liegt der große Unterschied zu anderen südamerikanischen Staaten, in denen sich das parteipolitische System als Folge der wirtschaftlichen Krisen im Umbruch befindet. In Bolivien und Venezuela etwa haben neue Kräfte das Ruder übernommen. Von den sozialen Bewegungen unterstützt versuchen die dortigen Regierungsparteien, eine Alternative zu der neoliberalen Politik zu entwickeln. Der "Kirchnerismus" in Argentinien zeigt sich dieser neuen Linie gegenüber zwar offen, ohne aber die Allianzen der Vergangenheit zu lösen.

Für harsche Kritik an der Basis hatte etwa Cristina Kirchers Auftritt vor dem Amerika-Rat gesorgt, einer US-amerikanischen Unternehmerorganisation, die 1965 von David Rockefeller gegründet wurde. In den Räumern der Microsoft-Zentrale in Buenos Aires pries die designierte Präsidentin wenige Wochen vor der Wahl die "hervorragenden Geschäftsmöglichkeiten" in Argentinien. Soziale Schutzregelungen, die auf dem Höhepunkt der Krise eingerichtet worden waren, sollten langsam wieder abgebaut werden, versprach sie vor Konzernvertretern aus den USA.

Achse Buenos Aires-Caracas

Das Besondere an der Politik des Kirchner-Duos ist zugleich aber die Offenheit in der Außenpolitik. Schon Néstor Kirchner hat die Nähe zu der US-kritischen Staatsführung Venezuelas gesucht. Es fanden nicht nur mehrere Treffen zwischen ihm und seinem Amtskollegen Hugo Chávez statt. Beide Präsidenten haben eine Reihe gemeinsamer Projekte auf den Weg gebracht, von denen die Regionalpolitik in Südamerika künftig beeinflusst werden wird. So hat die Gründung der Bank einer Südens den Einfluss der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds nachhaltig geschwächt, eine gemeinsame Energiepolitik die Nutzung der regionalen Erdöl- und Erdgasressourcen abgesichert.

All das hat natürlich nicht unmittelbar etwas mit der Entwicklung linker Politik oder gar des in Venezuela debattierten Sozialismus des 21. Jahrhunderts zu tun, einem Konzept, das von Washington bis Berlin zunehmend wahrgenommen wird. Der gemeinsame Nenner zwischen den linken Regierungen der Region und der argentinischen Staatsführung, die sich nach wie vor aus der politischen Elite des Landes rekrutiert, ist die Suche nach Unabhängigkeit von den Industriestaaten, allen voran den USA. Der Unterschied ist, dass Venezuela und Bolivien dabei strategische Ziele verfolgen, während Argentinien taktische Interessen hat: Die negativen Folgen der Krise sollen überwunden werden, langfristig wird die Option zur Zusammenarbeit mit den Industriestaaten aber aufrechterhalten.

Der Grund für diese Differenz liegt im politischen Charakter der Staatsführungen. Denn während die Regierungen in Venezuela und Bolivien von sozialen Bewegungen getragen werden und in ihrem Auftrag eine alternative Politik entwickeln, sucht der "Kirchnerismus" als Ausdruck des peronistischen Systems den Ausgleich zwischen den Polen der politischen Elite. Sozialen Bewegungen kommt in diesem Konzept nur eine Statistenrolle zu. Sei es als jubelnde Masse unter vom Balkon von Eva Perón. Oder von Cristina Kirchner.