"Das Szenario ist noch immer ziemlich künstlich"

Henrik I. Christensen vom Sting Racing Team der GeorgiaTech über die Gestaltung eines autonomen Vehikels und die Bedeutung von Roboterwettbewerben

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Henrik I. Christensen ist gegenwärtig Leiter des Center for Robotics and Intelligent Machines am Georgia Institute of Technology (GeorgiaTech). Zuvor war er Gründungspräsident des European Robotics Research Network (Euron) und in dieser Funktion wissenschaftlicher Leiter des ersten European Land-Robot Trial (Elrob) im Mai 2006. Bei der Urban Challenge arbeitet er mit im Sting Racing Team von GeorgiaTech und der Firma SAIC.

Nach diesem Interview wurde dem Team am Montagabend von den Organisatoren mitgeteilt, dass es nicht mehr im Wettbewerb ist. Ausgeschieden sind außerdem Team Berlin, Ody-Era, Pave, SciAutonics sowie das Team der University of Utah. Bereits für das Finale qualifiziert hat sich das Team Tartan der Carnegie Mellon University.

Herr Christensen, der Wagen Ihres Teams hatte auf dem Feld A beim Linksabbiegen einen Unfall. Ist er dabei sehr schwer beschädigt worden?

Henrik Christensen: Die Aufhängung der vorderen Sensoren wurde verbogen. Mit Unterstützung des Teams von der Carnegie Mellon University und General Motors konnten wir den Schaden aber beheben und die Sensoren neu kalibrieren. Wir sind wieder im Wettbewerb und mit den Ergebnissen sehr zufrieden.

Was genau war eigentlich passiert?

Henrik Christensen: Der Kontakt zum Beschleunigungssensor, mit dem die GPS-Daten abgeglichen werden, war verloren gegangen. Der Wagen glaubte daher, still zu stehen, obwohl er sich bewegte, und beschleunigte zusätzlich, um in Gang zu kommen. Wir wissen nicht, ob es ein Fehler in der Hardware oder Software war, und haben sowohl die Software verändert als auch die Verkabelung mit dem Beschleunigungssensor. Damit glauben wir alle möglichen Fehlerquellen beseitigt zu haben.

An dieser Stelle passierte der Crash des GeorgiaTech-Fahrzeugs. Hier bleibt gerade der Wagen von Team Berlin in der engen Kurve stecken. Als später die weißen Fahrbahnbegrenzungen (K-Rails) einen Meter zurückgesetzt wurden, kamen alle Teams besser damit zurecht. Bild: H.-A. Marsiske

Wieviel kann man überhaupt während der wenigen Tage eines solchen Wettbewerbs noch an der Software und Hardware verändern?

Henrik Christensen: Veränderungen an der Hardware sind sehr schwierig, aber Debugging ist möglich. Bevor wir hierher gekommen sind, haben wir fast vier Monate lang getestet und glaubten uns in guter Form. Insofern war dieser Hardwarefehler schon ein Rückschlag. Auf Feld B...

...einem verzweigten Straßensystem, auf dem die Navigation, der Umgang mit Hindernissen und Einparken getestet wird...

Henrik Christensen: ...haben uns die hohen Fahrbahnbegrenzungen, die so genannten K-Rails, irritiert. Bis dahin waren wir nur in offenem Gelände gefahren, sodass hier einige Anpassungen erforderlich waren.

Mit den K-Rails scheinen viele Teams Probleme zu haben.

Henrik Christensen: Ja, darüber haben sich alle beschwert. Auf Feld A wurden sie daraufhin etwa einen Meter zurückgesetzt. Das hat das Fahren dort sehr erleichtert.

Folgen Sie bei der Gestaltung des Fahrzeugs einer bestimmten Philosophie? Allein für die Auswahl der Sensoren und ihre Platzierung auf dem Wagen gibt es ja eine Vielzahl von Variationen.

Henrik Christensen: O ja. Als Grundlage wollten wir die bestmögliche Ingenieursarbeit. Daher haben wir uns für den Porsche Cayenne entschieden. Wir wollten ein Qualitätsfahrzeug, das vom Hersteller bereits mit einer Fülle von Extras ausgestattet ist, um eine gute Performance zu gewährleisten. Die Experten von SAIC haben sich um den Einbau der Computer gekümmert und für eine saubere Verkabelung gesorgt, sodass eine sehr solide Plattform entstanden ist. Bei anderen Teams sehen Sie häufig lose Kabel herumhängen. So etwas kann die Robustheit des Systems beeinträchtigen, damit wollten wir keine Zeit vergeuden.

Dann haben wir uns sehr genau die von der Darpa formulierten Regeln angesehen und überlegt, was wir brauchen, um diesen Regeln entsprechend fahren zu können. Wir wussten, dass wir Fahrbahnmarkierungen erkennen müssen, und haben dafür Kameras am Dach installiert. An Abzweigungen mussten wir in der Lage sein, möglichst weit zu sehen. Dafür haben wir Laserscanner mit hoher Reichweite und Radar an den Vorderecken angebracht. Man muss mindestens 160 Meter weit sehen, um sicher zu sein, dass genügend Zeit zum Abbiegen bleibt.

Um anderen Fahrzeugen folgen zu können, haben wir auch vorne weit reichende Laserscanner und Radar. Der Laserscanner sieht lediglich das unmittelbar vor Ihnen fahrende Fahrzeug. Mit dem Radar können Sie dagegen zuverlässig zählen, wie viele Wagen sich insgesamt vor Ihnen befinden. Schließlich haben wir auch auf dem Dach noch Laserscanner montiert und zwar so, dass sie ihre Strahlen kreuzförmig aussenden. Auf diese Weise lassen sich vielfältige Hindernisse erkennen, zum Beispiel auch die quer über die Straße gelegte Schranke auf dem Feld C. Wir haben sehr sorgfältig über alle möglichen Situationen nachgedacht, mit denen wir konfrontiert werden könnten, und haben die Sensoren entsprechend positioniert.

Das am schönsten verkabelte Fahrzeug im Wettbewerb: Blick ins Heck vom Porsche Cayenne des Sting Racing Teams. Bild: H.-A. Marsiske

Ihr Fahrzeug ist von anderen Teilnehmern als das am schönsten verkabelte bezeichnet worden. Das hat demnach keine ästhetischen Gründe?

Henrik Christensen: Nein, wir wollten sehr solide Ingenieursarbeit. Diese Entscheidung haben wir am ersten Tag getroffen.

Sie gehörten zu den Organisatoren des ersten European Land-Robot Trial (Elrob) im Jahr 2006, einer Leistungsschau für europäische Militärroboter, und nehmen nun an der Darpa Urban Challenge teil. Können Sie die beiden Veranstaltungen vergleichen? Was könnten sie voneinander lernen?

Henrik Christensen: Sie ergänzen sich gegenseitig. Hier geht es sehr viel um das Fahren in einer städtischen Umgebung, das gab es bei Elrob überhaupt nicht. Dafür sind dort die Herausforderungen an die Navigation sehr viel schwieriger. Elrob ist auf militärische Anforderungen ausgerichtet, bei denen es sehr stark um Navigation geht. Der Darpa-Wettbewerb dagegen ist sehr gut gestaltet, um die Dynamik von Konvoifahrten und Transportaufgaben zu testen. Vom militärischen Standpunkt aus gesehen ergänzen sich die Wettbewerbe daher.

Elrob hat aber die Möglichkeiten der Anwendungen im zivilen Bereich noch nicht voll ausgeschöpft. Da gibt es ein enormes Potenzial, etwa bei der Grenzüberwachung, bei der Polizei oder der Feuerwehr. Ähnlich ist es bei der Urban Challenge: Die Motivation für den Wettbewerb besteht darin, dass im Irak täglich US-Soldaten durch Bombenanschläge bei Transportaufgaben ums Leben kommen. Ein noch größeres Problem sind aber die 43.000 Menschen, die jedes Jahr in den USA im Straßenverkehr getötet werden. Ungefähr 2,7 Millionen werden verletzt. Wenn wir hier für mehr Sicherheit sorgen könnten, wäre das von großer gesellschaftlicher Bedeutung.

Es geht also nicht nur darum, vollständig autonom zu fahren. Es geht um mehr Intelligenz im Fahrzeug, wie man sie heute schon bei Daimler-Chrysler sieht, etwa Unterstützung beim Bremsen oder eine Überwachung der Fahrzeugumgebung, die den Fahrer warnt, falls er beim Überholmanöver einen anderen Wagen im toten Winkel übersieht. Hier gibt es ein gewaltiges Potenzial, nicht nur für militärische, sondern auch für kommerzielle Anwendungen. Für kurzfristige militärische Anwendungen erscheint mir dagegen Elrob interessanter.

Haben Sie Wünsche für zukünftige Wettbewerbe? Was könnte verbessert werden?

Henrik Christensen: Das Szenario hier ist immer noch ziemlich künstlich, es gibt kein Fahren oder Parken auf schmutzigen Pisten. Es wäre wünschenswert, wenn wir spezifischere Aufgaben hätten, etwa den Umgang mit Gegenverkehr oder mit Navigation. Im Moment ist die Aufgabenstellung so breit gefächert, dass es schwierig ist, klar definierte, technologische Fortschritte zu erkennen, die im Nachhinein genutzt werden können. Wer hier gewinnt, hat sicherlich insgesamt eine gute Leistung erbracht. Aber es ist nicht sicher, dass damit auch die besten Technologien gewinnen, weil über die vielen Einzeltechnologien generalisiert werden muss.

Zum Schluss eine etwas spekulative Frage. Roboterwettbewerbe gewinnen offenbar an Bedeutung. Könnte damit die Entstehung eines neuen Paradigmas für die Entwicklung künstlicher Intelligenz verbunden sein? In den achtziger Jahren gab es das neue Paradigma, wonach Intelligenz einen Körper braucht. Vielleicht lernen wir jetzt gerade, dass Intelligenz auch den Wettbewerb braucht, um sich zu entwickeln?

Henrik Christensen: In gewisser Weise haben wir das schon mit evolutionären Methoden erlebt. Ich denke, die Bedeutung der Wettbewerbe liegt eher darin, dass sie uns Vergleiche erlauben. Es wird viel Forschung betrieben, die kaum mit der in anderen Instituten und Laboratorien verglichen werden kann. Durch die Formulierung einer gemeinsamen Aufgabe können diese Forschungen auf den Boden geholt und durch die Setzung von Meilensteinen vorangetrieben werden. Natürlich gibt es die Gefahr, die Forschung durch die unzureichende Gestaltung von Wettbewerben in die falsche Richtung zu lenken. Wir müssen da sehr sorgfältig vorgehen.

Nun treten die Wettbewerbe aber wiederum untereinander in Konkurrenz.

Henrik Christensen: Sicherlich, dennoch bleibt es wichtig. Es gibt ja auch Unterschiede in der Ausrichtung. In den USA sind die "First"-Wettbewerbe sehr populär, die sich an Kinder und Jugendliche richten, die Roboter für spezifische Aufgaben konstruieren müssen. Dann gibt es den RoboCup, der sehr gut ist, um Studenten an Universitäten und Highschools sowie eine breitere Öffentlichkeit für Robotik zu interessieren. Wir brauchen einige dieser anspruchsvollen Wettbewerbe, um das Forschungsgebiet voran zu bringen.

An der Urban Challenge missfällt mir allerdings, dass das Preisgeld in keinem ausgewogenen Verhältnis zu den Investitionen steht. Die meisten Teams hier haben wahrscheinlich eine Million Dollar und mehr in ihre Fahrzeuge investiert, wir haben bei 35 Teams also eine Investition von wenigstens 35 Millionen Dollar. Dem stehen 3,5 Millionen Dollar Preisgeld gegenüber. Wir mussten also alle erst einmal Geld auftreiben, um an diesem Wettbewerb teilnehmen zu können. Es ist ein sehr gefährlicher Trend, wenn Forscher sich zu sehr mit der Jagd nach Forschungsgeldern beschäftigen müssen. Gleichwohl bringt uns dieser Wettbewerb deutlich voran, ich mag ihn wirklich sehr.