Dick macht Druck

und erntet Widerstand: Der amerikanische Vizepräsident Cheney und sein Konfrontationskurs gegen Iran

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Der Verdacht währt schon länger: dass der amerikanische Vizepräsident Cheney Iran gegenüber agiert wie vor der amerikanischen Invasion im Irak, dass ihm die "ultima ratio", Krieg, viel näher steht als diplomatische Vernunft und dass er dafür die Wahrheit nach seinem Willen biegt. Mit diesen Vorwürfen sucht etwa der demokratische Präsidentschaftskandidat Dennis Kucinich seit längerem schon ein Impeachmentverfahren gegen Dick Cheney einzuleiten – erwartungsgemäß ohne Erfolg. Das heißt aber nicht, dass der Außenseiterkandidat mit seiner Kritik am Vizepräsidenten alleine stünde

Neue Nahrung erhalten die Vorwürfe, wonach es Cheney nicht so genau mit der Wahrheit nimmt, wenn es darum geht, die Bedrohung durch den Iran zu demonstrieren, aktuell mit einer Veröffentlichung des in den USA bekannten "Anti-Kriegs"-Journalisten Gareth Porter. Cheney habe demnach einen Bericht der Geheimdienste, den National Intelligence Estimate (NIE) zu Iran, über ein Jahr lang zurückgehalten, um die Geheimdienste dazu zu bringen, "abweichende Urteile" zu entfernen. Konkret gemeint sind damit solche Einschätzungen der Geheimdienste, die das Atomprogramm in Iran nicht bedrohlich und gefährlich genug darstellen, um Cheneys aggressive Politik gegenüber dem Land zu unterstützen.

Genaue Beweise für den Vorwurf, wonach Cheney die Geheimdienstmitarbeiter dazu gedrängt habe, dass sie einen neuen Bericht ohne jene "dissenting views" abfassen, hat Gareth Porter nicht – nur die Aussagen von zwei Insidern und den Präzendenzfall "Vorfeld Irakkrieg", wo ganz ähnliche Prozesse abgelaufen sind und der den Vorwürfen nicht wenig Plausibiltät beschert.

Nach Aussage eines früheren CIA-Geheimdienstoffiziers, der sich wiederum auf eine Zeugenaussage eines Mannes berift, der an dem NIE-Bericht beteiligt war, soll der Bericht bereits vore inem Jahr fertig gewesen sein, die Veröffentlichung soll aber zurückgehalten worden sein, weil der NIE-Chef einen Entwurf haben wollte, der einen "Konsens" in wesentlichen Folgerungen, gerade was das iranische Nuklearprogramm angeht, widerspiegele. Das Weiße Haus solle den NIE-Entwurf abgelehnt haben.

Bestätigt wird der Vorwurf von einem anderen ehemaligen CIA-Offizier, der diesmal aber namentlich genannt wird: Philip Giraldi. Nach dessen Informationen sollen die Geheimdienstmitarbeiter das Papier dreimal umgeschrieben haben – auf Druck des Weißen Hauses. Schon im Februar dieses Jahres hatte Giraldi in einem Beitrag für The American Conservative auf den NIE-Bericht hingewiesen und auf Reaktionen, die er im Weißen Haus auslöste:

Nach den Folgerungen eines noch nicht herausgegebenen Berichts des US National Intelligence Estimate über Iran sollen die Beweise für ein Waffenprogramm weitestgehend auf Indizien beruhen und nicht schlüssig sein. So behauptet der Chef der National Intelligence John Negroponte, dass Iran fünf bis zehn Jahre von der Atombombe entfernt ist, selbst wenn man den Prozess beschleunigen und keiner in die Entwicklung interferierend eingreifen würde. Negroponte wurde, wie es voraus zu sehen war, für seine Haltung, am Bericht nichts zu ändern, gefeuert und der NIE-Bericht wird wahrscheinlich das Tageslicht nicht erblicken, solange er nicht neu abgefasst wird - mit der Schlussfolgerung, dass Iran eine unmittelbare Bedrohung darstellt.

Überraschend ist aber weniger, wie sehr sich das Weiße Haus und speziell Cheney laut Porter und Giraldi darum bemüht haben, Negroponte loszuwerden und ein sauberes, ihren Wünschen angepasstes NIE-Papier zu bekommen, sondern wie sehr sich die "abweichenden Urteile" in der Auseinandersetzung der unterschiedlichen Fraktionen halten konnten - trotz der Personalpolitik Bushs, der einen "gefügigeren" Mann als Negroponte auf den National-Intelligence-Chefposten holte: Mike McConnell.

Nach Recherchen von Porter ist es dem Weißen Haus und insbesondere Cheney nicht gelungen, einen NIE-Bericht nach ihren politischen Vorstellungen zu erhalten. Statt wie bei mehreren NIE-Berichten seit 2002 üblich, als man vor den Massenvernichtungswaffen im Irak warnte, scheut das Weiße Haus diesmal davor zurück, die "Schlüsselerkenntnisse" des Berichts öffentlich zu machen. Diesmal sollen die wichtigsten analytischen Schlüsse nur innerhalb der Regierung zirkulieren:

As of early October, officials involved in the NIE were "throwing their hands up in frustration" over the refusal of the administration to allow the estimate to be released, according to the former intelligence officer. But the Iran NIE is now expected to be circulated within the administration in late November, says Ray McGovern, former CIA analyst and founder of the anti-war group Veteran Intelligence Professionals for Sanity.

Dick Cheney arbeitet währenddessen weiter an seiner Mission, die Bedrohung Irans herauszustellen und die transatlantischen Partner auf Linie zu bringen. Dass er dabei vor allem auf unbedingten Druck zurückgreift, dürfen derzeit auch größere europäische Firmen erfahren. In einem Fernsehinterview soll Cheney Ende Oktober gesagt haben:

Aus unserer Perspektive ist es sehr wichtig: Wenn sie Geschäfte mit Iran machen, dann werden Sie Schwierigkeiten haben, in den Vereinigten Staaten Geschäfte zu machen.

Nach Informationen, die der Guardian gestern veröffentlichte, sollen insbesondere Unternehmen wie Siemens, die Deutsche Bank, Commerzbank und die Dresdner Bank, Shell, BP und Total gemeint sein. Man darf gespannt sein, wie die Global Player auf solche Drohungen aus dem Weißen Haus reagieren.