Vernetzter Medienkrieg

Die Medienarbeit und die Operativen Information (OpInfo) der Bundeswehr in Deutschland und Afghanistan

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Einer Randnotiz der Süddeutschen Zeitung vom 27./ 28. Oktober zufolge verstärkt die Bundeswehr ihre „Aufklärungsarbeit“ gegenüber der eigenen Bevölkerung. Offenbar unter Bezugnahme auf eine Pressemitteilung des Bundesministeriums der Verteidigung heißt es, dieses wolle „mit einer neuen Form der Öffentlichkeitsarbeit um mehr Verständnis für den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan werben". Seit dem 25.Oktober biete das Verteidigungsministerium den Medien honorarfreie Fotos und Artikel über Projekte der zivil-militärischen Zusammenarbeit (CIMIC) in Afghanistan an, welche von „Soldaten und Presseoffizieren in Afghanistan sowie vom Pressestab des Ministeriums “ stammen. Eine Nennung der Quelle sei bei der Veröffentlichung „nicht zwingend“ vorgeschrieben.

Im Rahmen des informellen Treffens der NATO-Verteidigungsminister im niederländischen Seebad Noordwijk vom 24. bis 25. Oktober 2007 stellte Verteidigungsminister Dr. Franz Josef Jung sein neues „Konzept zur Stärkung des zivilen Wiederaufbaus“ in Afganistan vor. Wie der Leiter des Presse- und Informationsstabes und Sprecher des Verteidigungsministeriums Dr. Thomas Raabe gegenüber der Süddeutschen Zeitung feststellt, füge sich die beschriebene „neue Form der Pressearbeit“ nahtlos in Jungs Konzept ein.

Vertrauensjournalisten

Eine ähnliche Form der verschleierten Lancierung von Medienprodukten der Bundeswehr findet schon seit geraumer Zeit im Bereich Fernsehen statt. Über PR-Agenturen wie die Atkon TV-Service GmbH werden im Auftrag der Bundeswehr fertige TV-Beiträge an ein Netzwerk von Vertrauensjournalisten in Redaktionen von privaten und öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten geliefert. Auch hier bleibt ein Hinweis auf die Quelle des ungekennzeichneten Materials den abnehmenden Redaktionen überlassen. Wie die Geschäftsbedingungen der Atkon TV-Service GmbH zeigen, ist eine “inhaltliche Sinn- und Zweckentfremdung” des Materials ausdrücklich untersagt. Weiterhin werden den Journalisten des zivil-militärischen Netzwerkes Themen vorgeschlagen und Kontakte vermittelt (“Media Relations”).

Inhaltlich geht es bei den auf der Atkon-Website www.tvservicebox.de zur Voransicht präsentierten Beiträge zum Beispiel um den Wiederaufbau in Afghanistan, den Einsatz von ABC-Truppen zur Bekämpfung der Vogelgrippe auf Rügen von Februar 2006, aber auch um Übungen zum Einsatz von Feldjägern und Panzergrenadieren gegen Demonstranten.

Das Material für diese Fernsehbeiträge kommt von der Informations- und Medienzentrale der Bundeswehr in St.Augustin (IMZBw), welche auch das Zentrale Bildarchiv der Bundeswehr verwaltet. Die ATKON AG, Mutterfirma der TV-Service GmbH, hat den an der IMZBw angesiedelten Truppenbetreungssender Bundeswehr-TV mit aufgebaut. Dort wurde ein komplettes TV-Studio eingerichtet, welches technisch voll in das Kommunikationsnetzwerk der Öffentlich-Rechtlichen Anstalten integriert ist.

Bw-TV wiederum kooperiert bei der Produktion seiner Beiträge eng mit dem Videobereich des Zentrums für Operative Information der Bundeswehr in Mayen. Insbesondere die Einsatzkamerateams (EKT, auf englisch Combat Camera Teams) der OpInfo stellen Ihr Material nach der Freigabe durch das Einsatzführungskommando der Bundeswehr auch für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zur Verfügung.

Die OpInfo ist die Nachfolgetruppe der 1989/90 nach einer parlamentarischen Auseinandersetzung1 und einem medienöffentlichen Skandal aufgelösten Psychologischen Verteidigung (PSV). Die PSV hatte in großem Maße eine illegale und verdeckt durchgeführte Bespitzelung und Beeinflussung der bundesdeutschen Bevölkerung betrieben.

Wie die PSV wird die OpInfo in der NATO-Terminologie als PSYOP-Truppe, also als Truppe für Psychologische Operationen geführt. Gegenwärtig gehören dem Zentrum für Operative Information (ZOpInfo) in Mayen und dem Einsatzbataillon OpInfo 950 in Koblenz rund 1250 Soldaten an.

Noch im Sommer 2006 hieß es bei der OpInfo, der PSYOP-Truppe sei die Einwirkung auf die eigene Bevölkerung strengstens untersagt. Oberstleuntnant Hartmut Dressel, Leiter des Dezernats Zielgruppenanalyse des ZOpInfo, sagte damals im Rahmen der Aufnahmen zum Dokumentarfilm Gesteuerte Demokratie?:

Der Einfluss oder die Einflussnahme auf unsere eigene Bevölkerung, und auf befreundete und eigene Streitkräfte ist uns expressis verbis verboten. Dieses tun wir nicht und haben wir noch nicht getan, und ich bin auch hoffnungsvoll, dass wir nie in die Situation kommen, daß wir das tun müssen.

Auch bei der Ausbildungsstätte für die Presse, Öffentlichkeits- und Informationsarbeit der Bundeswehr gab es damals gravierende Vorbehalte gegenüber der eigenen PSYOP-Truppe:

Es gibt ganz strenge Unterscheidungen zwischen dem, was wir Operative Information nennen, und dem, was wir unter Informationsarbeit verstehen. Informationsarbeit, Öffentlichkeit informieren, über Medien oder direkt, hat auch was mit Vertrauen zu tun. Operative Information zielt darauf ab, Informationsvorsprünge zu erzielen; mit Informationen den eigenen Truppen Vorteile zu verschaffen in Einsätzen, im Auslandseinsatz. Das widerspricht sich in sich. Sie können Vertrauen nicht mit solchen gezielten Informationssteuerungen gewinnen. Daher grenzen wir uns deutlich ab ... Wir informieren auf der Basis Grundgesetz die Bevölkerung, und Operative Information hat den Auftrag, den eigenen Truppen den Rücken zu stärken, die Mission zu befördern.

Oberstleutnant Michael Kötting, damals Leiter des Bereichs Lehre der in Strausberg ansässigen Akademie für Information und Kommunikation der Bundeswehr (AIK)

Auslandsaufklärung

Nato-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer forderte Anfang Oktober in einer Konferenz über "Public Diplomacy in Nato-led Operations" eine Beseitigung der Hürden zur Beeinflussung der Bevölkerung in den Nato-Mitgliedsstaten. Die erfolgreiche Propaganda von Al Qaida und Taliban würde dazu führen, dass die Stimmung in Afghanistan und an der Heimatfront negativ beeinflusst würde. Von den Islamisten lancierte Meldungen über hohe zivile Opferzahlen bei Nato-Angriffen würden die Zustimmung zu den Militäreinsätzen sinken lassen (Die Medienstrategie der Nato).

Der deutsche Außenamtssprecher Martin Jäger hatte sich im Zusammenhang mit der Verschleppung zweier deutscher Ingenieure im Juli 2007 gegenüber dem ARD Morgenmagazin ähnlich geäußert. Die Taliban würden versuchen, in den Deutschen Medien Gerüchte zu streuen und damit die Bevölkerung zu verunsichern. Ziel der Taliban ist, die öffentliche Meinung im Westen so lange zu beeinflussen, bis einer der Truppensteller aus Afghanistan abzieht. Dem müsse man „mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln“ begegnen ("Zeremonienmeister des Terrors").

Die Operative Information der Bundeswehr ist bereits massiv im afghanischen Medienkrieg engagiert. Neben der Produktion und Ausstrahlung von Videobeiträgen über private afghanische Fernsehsender betreibt die OpInfo den Zielgruppen-Radiosender „Stimme der Freiheit“ sowie die gleichnamige Zeitung. Taktische Einsatzteams verteilen außerdem Flugblätter und Geschenke, wirken per Lautsprecher auf Menschenansammlungen ein und führen Gespräche mit Angehörigen lokaler Eliten. Ziel der Maßnahmen ist, den Besatzern gegenüber indifferent eingestellte Bevölkerungsteile positiv zu beeinflussen, feindlich gestimmte zu isolieren und nachrichtendienstlich relevante Erkenntnisse über den Gegner aufzuklären.

In seiner Rede forderte de Hoop Scheffer, auf „Falschmeldungen“ der Aufständischen im Einsatzland zu reagieren, bevor die Fakten überhaupt vollständig bestätigt sind. Die langsame Lagefeststellung, Faktenüberprüfung und Freigabe von Informationen und Medienprodukten würde den Erfolg der eigenen Medienarbeit behindern, lautete die Botschaft de Hoop Scheffers. Für die Zukunftsfähigkeit der Nato-Operation in Afghanistan sei es ausschlaggebend, den fortwährenden Rückhalt der Parlamente und der öffentlichen Meinung zu behalten. Im Klartext bedeutet dies, auf der Basis von unbestätigten Gerüchten die Öffentlichkeit und die Politik zu beeinflussen.

We need to show the public what we are doing, and what is being done by those who oppose our operations.[...] We can offer an initial assessment of events, rather than waiting until each and every fact is confirmed. We could consider rapid reaction response teams for media operations, to hit back when falsehoods hit the press. [...] For the sustainability of the NATO operation in Afghanistan it is crucial to have the sustained support of Parliament and public opinion.

Hoop Scheffer

Vor allem auch Videos im Internet würden ein Problem für die NATO darstellen, so de Hoop Scheffer auf der Kopenhagener Konferenz. In diesem Bereich fehle es an Kapazitäten für eine erfolgreiche Gegenarbeit. Dies müsse beseitigt werden. Außerdem, fordert er anhand des Beispiels eines von einer „militärischen Plattform“ gefilmten Angriffes auf Nato-Soldaten, müsse die Möglichkeit geschaffen werden, von militärischen Dokumentationskameras aufgenommene Videos für die Zwecke der Informationsarbeit freizugeben, wenn dies opportun erscheint.

Reservemissionen

Erweiterte Kapazitäten für den Internet-Medienkrieg und den Kampf um die öffentliche Meinung werden indes auch in Deutschland aufgebaut. Phoenix informiert im Phoenix-Weblog zur Mission in Afghanistan. darüber, dass der Autor des Blogs, Boris Barschow, Redakteur beim Heute-Journal des ZDF ist und „Anfang 2007 für drei Monate als Major der Reserve in Afghanistan/Kabul“ war. Dort habe er „der landesweit größten Zeitung Sada-e-Azadi (Stimme der Freiheit), die alle 14 Tage in einer Auflage von 390.000 Stück verteilt wird und in drei Sprachen erscheint, als Chefredakteur vorgestanden“. Boris Barschow befindet sich offenbar seit dem 4. Novemmber wieder im Einsatz in Afghanistan. Parallel hat er begonnen, vom Feldlager aus für Phoenix zu bloggen.

Ein Hinweis, dass die Stimme der Freiheit ein Produkt der Operativen Information ist, oder gar eine Erklärung darüber, was die OpInfo eigentlich ist, fehlen sowohl bei der Phoenix-Informationsseite als auch im eigentlichen Blog. Dafür wirbt Barschow für sein Buch über seinen Einsatz als Soldat. Diskussionen im moderiereten Forumsteil berühren auch den Interessenkonflikt Journalist-Soldat, thematisieren aber nie Barschows Angehörigkeit zur PSYOPS-Truppe. Dafür werden die Hilfe der Bundeswehr beim Wiederaufbau von Schulen und ein Kinderhilfsprojekt von deutschen Soldaten in den Mittelpunkt gestellt. Angemerkt sei, dass die taktischen Teams der OpInfo bei ihren Flugblatt-Verteilaktionen in urbanem Gelände gerne von Kindern umgeben sind, erhöht ein solcher menschlicher Schutzschild doch die Hemmschwelle für bewaffnete Angriffe auf die Soldaten.

Nachdem er 1999 für das ZDF über die Tornadoeinsätze der Bundeswehr im Kosovo berichtet hatte, nahm Barschow an einer Journalisten-Wehrübung teil und wurde Reservist. In seinem Lebenslauf findet sich ein Hinweis, dass sein Schwerpunkt beim Heute-Journal bei der Berichterstattung über Sicherheitspolitik liegt und er außerdem Pressestabsoffizier der Reserve bei der Luftwaffe ist. Auf seiner privaten Homepage sind diverse Zeitungsartikel, Radiointerviews und Fernsehbeiträge dokumentiert, in denen Boris Barschow auftritt. Stets gelingt es ihm, seine Kernbotschaften in der Berichterstattung unterzubringen und die positive Rolle der Bundeswehr beim Wiederaufbau Afghanistans hervorzuheben. Stets spielt Kinderhilfe eine Rolle, stets wird einfühlsam über die Angst der ISAF-Soldaten vor Anschlägen berichtet und so um den Rückhalt in der bundesdeutschen Bevölkerung geworben.

Seine menschlichen Gefühle und Ängste im Einsatz konnte Barschow auch eindrucksvoll im Rahmen eines Tagesthemen-Beitrags von 23. Mai 07 darlegen. In der Home-Story, bei der Barschow in Zivil und als Journalist in seiner Wohnung gezeigt wird, berichtet er anläßlich eines tödlich verlaufenen Anschlags auf Bundeswehr-Soldaten über seine eigenen Erfahrungen. Auf seine Angehörigkeit zur OpInfo wird wieder nicht hingewiesen, es wird lediglich über seinen Einsatz als Chefredakteur der „Nato-Zeitung“ Stimme der Freiheit berichtet. Sein Status als Pressestabsoffizier der Reserve wird ebenfalls verschwiegen. Die Debatte über einen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan und die Zweifel an der Mission könne er nicht verstehen, heißt es im Beitrag. Betont harmlos fragt Barschow im O-Ton: „Wenn die Nato und die ISAF-Soldaten dort unten nicht mehr wären, ja wer kümmert sich dann um die Leute?“ Trotz aller Gefahr hätte er durchaus positive Erfahrungen gemacht und würde auch noch mal nach Afghanistan in den Einsatz gehen.

Am Beispiel Barschows, der hier keinesfalls in seiner persönlichen Integrität angegriffen werden soll, zeigt sich eine besorgniserregende Entwicklung – eine von der Öffentlichkeit als selbstverständlich wahrgenommene Vermischung von Journalismus, militärischer PR-Arbeit und verschleierter Einflußnahme der Armee auf Bevölkerung und Politik.

Den von Steven Hutchings gemachten Dokumentarfilm "Gesteuerte Demokratie?" (September 2006) kann man hier herunterladen.