Grönland steigt aus dem Meer auf

Weil die Gletscher schmelzen, hebt sich die größte Insel der Erde

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Dänische Wissenschaftler haben im Südosten Grönlands einen beeindruckenden Nachweis für den beschleunigten Masseverlust der dortigen Gletscher gefunden: Das Land bewegt sich derzeit mit vier Zentimeter pro Jahr aufwärts. Noch um die Jahrtausendwende waren es lediglich 0,5 bis ein Zentimeter gewesen, berichtet New Scientist.

Südgrönland im Februar 2006. Bild: Envisat/Esa

Hintergrund sind die elastischen Eigenschaften des Erdkörpers. Die starre Kruste wird von Lasten ins plastische Innere des Erdmantels gedrückt. Selbst der Durchzug eines Tiefdruckgebietes führt zu Hebungen und Senkungen der betroffenen Landschaft. Seit der Einführung des satellitengestützten GPS-Systems lassen sich derartige Bewegung relativ einfach messen.

Grönland wurde von seinem Eispanzer einige hundert Meter tief ins Erdinnere gedrückt. Die nun aufgetretene Zunahme in der Vertikalbewegung ist ein unabhängiger Beweis für zweierlei: Zum einen, dass der Verlust durch Abschmelzen und Abbrechen an den Rändern (letzteres leistet den deutlich größeren Beitrag) die Neubildung von Eis durch Schneefall im Landesinneren überwiegt, und dass sich zum anderen diese Abnahme der Eismassen in den letzten Jahren beschleunigt hat. Eine negative Massenbilanz ist auch aus anderen Regionen der arktischen Rieseninsel bekannt, die dänischen Forscher haben jedoch nur GPS-Messreihen aus dem Südosten ausgewertet.

Die Ergebnisse passen zu anderen Beobachtungen, wonach sich in den letzten Jahren die Fließgeschwindigkeit der grönländischen Gletscher erheblich erhöht hat. Verantwortlich scheinen dafür Ströme von Schmelzwasser zu sein, die ihren Weg tief ins Innere der Gletscher gefunden haben, und an deren Basen als Schmiermittel wirken, das das Gleiten über den Untergrund erleichtert.

In den Gletschern Grönlands ist genug Wasser gefroren, um den Meeresspiegel weltweit um sieben Meter ansteigen zu lassen. Bisher ist allerdings der Beitrag der schmelzenden Gletscher zum Meeresspiegelanstieg von derzeit etwa 3,1 Millimeter pro Jahr vergleichsweise gering. Der überwiegende Teil wird von der durch die Erwärmung der Meere bedingten Ausdehnung des Wassers hervorgerufen.

In den orange oder rot markierten Gebieten schmilzt der Schnee saisonal. Bild: Steffen/Huff

Der UN-Klimarat IPCC hat in seinen Prognosen, die von maximal 59 Zentimeter höheren Pegelständen zwischen 2090 und 2100 ausgehen, nur den bisherigen Trend des Eisverlustes extrapoliert. Einige IPCC-Mitglieder, wie der Potsdamer Klimawissenschaftler Stefan Rahmstorf, halten diese Herangehensweise jedoch für bedenklich. In einem Beitrag auf Realclimate.org hatte er im März 2007 nach Erscheinen der für Politiker bestimmten Zusammenfassung des ersten IPCC-Teilberichts kritisiert, dass diese Art der Darstellung die wahren Risiken des Meeresspiegelanstiegs herunterspiele. Die Prognose in dem Text schließt Veränderungen in der Eisdynamik in Grönland und der Antarktis ausdrücklich aus. Tatsächlich haben aber gerade die letzten Jahre gezeigt, dass sich sowohl auf der Antarktischen Halbinsel als auch auf Grönland die Fließgeschwindigkeit der Gletscher beschleunigt haben.

Rahmstorf weist wie auch die meisten Wissenschaftler, die sich intensiv mit den Vorgängen auf Grönland und in der Westantarktis beschäftigen, darauf hin, dass die bisherigen Eismodelle nicht in der Lage sind, das zukünftige Verhalten der Gletscher realistisch vorherzusagen. Dafür gibt es noch zu viele Wissenslücken in Bezug auf Untergrundbeschaffenheit und Ähnliches. Erst in den letzten Jahren hat man unter dem bisher für sehr stabil gehaltenen Eis der Ostantarktis große Seen entdeckt, über die bisher wenig bekannt ist. Keiner kann sagen, welche Bedeutung sie für die Stabilität des Eisschildes haben. Im Februar 2007 hatte Rahmstorf gemeinsam mit einigen Kollegen in der Fachzeitschrift Science gezeigt, dass seit den ersten IPCC-Projektionen im Jahre 1990 der reale Meeresspiegelanstieg sich stets am obersten Ende aller Vorhersagen bewegt hat.

Die verstärkten Auftriebskräfte, die auf die Erdkruste in Grönland wirken, rufen aber noch ganz andere Befürchtungen hervor. Bill McGuire, Direktor des Benfield UCL Hazard Research Centre in Großbritannien, warnte bereits 2006 davor, dass an den unterseeischen Hängen im Nordatlantik Lawinen ausgelöst werden könnten (siehe Tsunami-Gefahren im Nordatlantik). Am Rande des Kontinentalschelfs fällt der Meeresboden mehrere tausend Meter ab. Dort befinden sich meist mehr oder wenige Steile Abhänge aus Geröll und Sediment, das zum Teil von gefrorenem Methanhydrat zusammengehalten wird. Gegen Ende der letzten Eiszeit waren es vor der norwegischen Küste an den dortigen Kontinentalhängen wiederholt große Massen ins Rutschen gekommen und hatten große Flutwellen ausgelöst, die die Küsten des Nordatlantiks verheert hatten. Nach McGuires Aussagen sind heute viele Hänge entlang des grönländischen Kontinentalschelfs „reif“ für derartige Lawinen, die durch die Krustenbewegungen ausgelöst werden könnten.