YOU_ser Art - Benutzerkunst oder Kunstbenutzer?

Gedanken zu einer Ausstellung der besonderen Art: "You_ser: Das Jahrhundert des Konsumenten" am Zentrum für Kunst und Medientechnologie

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Plakat zur Ausstellung „YOU_ser: Das Jahrhundert des Konsumenten“ an der Front des ZKM-Gebäudes

Das ZKM präsentiert seit dem 21.10.2007 eine neue Ausstellung mit dem hippen Titel YOU_ser: Das Jahrhundert des Konsumenten. Das klingt erst einmal spannend: Ich bin Konsument, ich bin Nutzer, ich bin Web 2.0-tauglich, ich fühle mich angesprochen. Und wie man es sich nicht schöner hätte denken können, ist man sofort nach Eintritt in die ehemaligen Fabrikhallen des ZKM umgeben von Technik. Gleich am Eingang zur Ausstellung wird jeder, der die Ausstellung betritt, mit einem kräftigen Paukenschlag begrüßt. Damit man sicher sein kann, dass dieser Begrüßungspaukenschlag wirklich einem selbst gilt, erscheint wie durch Zauberhand das eigene Konterfei auf der Pauke. Das Kunstwerk, so lese ich, heißt deshalb auch bezeichnenderweise "Greetings"(Stephan von Huene). Noch keine drei Sekunden sind vergangen, seit die nette Frau am Eingang die Karte abgerissen hat, und schon bin ich mittendrin im Kunstwerk, statt wie so oft nur dabei. Das lässt hoffen.

Zwei Stunden und viele Digitalkameras und interaktive, webbasierte und andere Kunstwerke später wird es Zeit für ein Zwischenresümee. Eine ruhige Ecke zum Verschnaufen ist schnell gefunden. Eine Art Konsolensessel, der mich sehr stark an die Innenausstattung des ersten Raumschiffs Enterprise erinnert, lädt zum Hinsetzen ein.

Plakat zur Ausstellung „YOU_ser: Das Jahrhundert des Konsumenten“ an der Front des ZKM-Gebäudes

Noch während ich es mir auf dem Sessel bequem mache, fällt mir auf, dass dieser zu dem Kunstwerk "multinode_metagame" (Catalina Ossa und Enrique Rivera) gehört, aber die vor dem Sessel aufgezogene Leinwand ist schwarz und die Konsolen des Sessels sind tot. Am heutigen Sonntag leider kein Einzelfall. Trotz einer Horde Techniker und Programmierer, die sich sehr bemühen, die Technik am Laufen zu halten, macht ein nicht geringer Teil der Installationen einen nicht wirklich funktionstüchtigen Eindruck – tote Bildschirme, kein Sound, Maus oder Keyboard defekt usw. Aber, so denke ich bei mir, darauf muss man halt gefasst sein, bei solchen hoch technisierten und zur Interaktion und damit Manipulation (auch böswillige oder nicht intendierte) bereit gestellten Ausstellungsstücken.

"multinode_metagame" (Catalina Ossa und Enrique Rivera)

Während ich so sitze und die Eindrücke auf mich wirken lasse, bemerke ich, wie mich ein stärker werdendes Gefühl der Irritation beschleicht. Ja sicher, da gab es die eine oder andere Installation, in der ich mich als Besucher produzieren konnte, ich wurde Teil von Kunstwerken, ich konnte Dinge manipulieren, aber nur selten hatte ich das Gefühl die Kunst sei mir zu Diensten, viel häufiger kam es mir vor, als sei ich Diener der Kunst. Nach einigem Blättern im Katalog finde ich folgende erhellende Textpassage:

Alles in allem wird der kreative Akt nicht vom Künstler allein vollzogen; der Zuschauer bringt das Werk in Kontakt mit der äußeren Welt, indem er dessen innere Qualifikation entziffert und interpretiert und damit seinen Beitrag zum kreativen Akt hinzufügt. Der Rezipient ist integraler Bestandteil des kreativen Aktes. Der Zuschauer wandelt sich zum Künstler, der Konsument zum Produzenten.“

Nach kurzem Grübeln und Resümieren des Erlebten wird klar, dass meine Irritationen daraus resultieren, dass ich mit einem völlig anderen Nutzerkonzept in diese Ausstellung kam. Der Begriff des Users, also des Nutzers, im Titel der Ausstellung als You_ser paraphrasiert, assoziierte sich in mir den Nutzerbegriff des Web 2.0 – der Nutzer wird zum Produzenten, er produziert seine eigene Kunst, die Kunst als Spielwiese der eigenen Kreativität. Der hier in vielen Installationen intendierte Nutzerbegriff ist aber ein anderer, er ist völlig auf die Kunst bezogen.

Während ich mir weiter die Ausstellung anschaue, wird mir eines immer bewusster: Ich als Kunstbetrachter werde zwar zum Mitgestalter der Kunst, jedoch nicht im Sinne eines Web 2.0, in dem ich mich selbst verwirkliche, sondern ich bin lediglich – und das scheint mir ein durchgängiges Prinzip im Konzept der Ausstellung zu sein – irgendwie Teil der Kunst. Mein Handeln kann zwar das Kunstwerk beeinflussen, jedoch in einer vom Künstler vorher definierten und von mir als Nutzer selten zu durchschauenden Art und Weise. So kann ich als Kunst-Nutzer z. B. Stichwörter in eine Suchmaschine eingeben, aber der Output wird von den vom Künstler hinterlegten Suchroutinen und anderen Mechanismen bestimmt, und hat am Ende semantisch nichts mehr mit den von mir eingegebenen Stichwörtern gemein. Aktion und Reaktion ergeben keinen richtigen Sinn, sondern dienen nur dem Kunstwerk. Statt Nutzer zu sein, wird der YOU_ser zum benutzten Benutzer. Am Ende dieser Überlegungen angelangt, fühle ich mich irgendwie instrumentalisiert.

Aber es gibt auch Lichtblicke, Installationen, bei denen ich meiner Kreativität freien Lauf lassen kann, in denen ich meine eigene Kunst produziere. So kann ich zum Beispiel in der Installation „edge bomber“ (susigames) in einem Jump’n Run-Videospiel meine eigenen Level mit dickem Tape an die Leinwand kleben. Diese werden dann in das Spiel integriert. Ich bin plötzlich ein Leveldesigner in einem Videospiel.

„edge bomber“ (susigames)

Oder in „Phenotypes/Limited Forms“ (Armin Linke) werde ich als Nutzer zum Kurator und kann aus etwa tausend Fotos acht auswählen, diese werden per RFID-Chips erkannt und ich kann sie dann zum Mitnehmen ausdrucken.

„Phenotypes/Limited Forms“ (Armin Linke)

Nachdem ich nun durch Datenwelten navigiert, Bilder und Töne komponiert und kuratiert habe, vermisse ich wirklich Innovatives. Alle, oder fast alle Installationen in YOU_ser bedienen und verstärken den Nahsinn, ich aber vermisse die künstlerische Reflexion der Ferngesellschaft in Echtzeit, ich vermisse das Fenster zur Welt. Ich vermisse aber auch Innovationen der Kunst für den Nutzer - und zwar mit Nutzen für den Alltag, wie z. B. die digitale Vase.

wir sind die You_ser

Bevor das Jahrhundert des Konsumenten in der Kunst zu Ende geht und der emanzipierte Nutzer die Bühne betritt, bleibt noch einiges für die Kunst zu tun. Die NutzerInnen nutzen inzwischen die Kunst in einer nicht von ihr intendierten Weise und dramatisieren den Raum mit der eigenen Körperlichkeit, festgehalten mit der eigenen Digitalkamera und ins Netz gestellt – wir sind die You_ser.