Schon der "Besitz von Informationen" kann strafbar sein

In Großbritannien wurde eine junge Muslimin nach einem Terrorismusgesetz für schuldig befunden, das bald auch ähnlich in der ganzen EU Gültigkeit erlangen könnte

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EU-Kommissar Frattini hat seine Vorschläge bekannt gemacht, wie in Umsetzung eines vom EU-Rat angenommenen Aktionsplans aus dem Jahr 2005 sollen mit neuen Maßnahmen die Rekrutierung und Radikalisierung auch über das Internet verhindert werden könne. So soll der "öffentliche Aufruf zum Begehen einer terroristischen Straftat" EU-weit unter Strafe gestellt werden. In Großbritannien wurde gestern eine junge Frau verurteilt, die Dschihad-Gedichte geschrieben hatte. Schuldig wurde sie wegen des Besitzes von Dokumenten gesprochen, die "einer Person dienlich sein können, terroristische Straftaten zu begehen oder vorzubereiten".

Samina Malik, die sich im Internet "The Lyrical Terrorist" nannte, hatte Dschihad-Gedichte gemacht und wurde wegen des Besitzes von Informationen, die einer Person nützlich sein könnten, terroristische Straftaten zu begehen, verurteilt. Bild: courtnewsuk.co.uk

Der Vorschlag der EU-Kommission, "die Verbreitung oder das auf andere Weise Verfügbarmachen einer Botschaft an die Öffentlichkeit mit der Absicht" unter Strafe zu stellen, dass damit zum Begehen einer terroristischen Straftat aufgerufen wird, würde womöglich noch etwas weiter als die Verurteilung der 23-jährigen Samina Malik durch das britische Gerichts gehen. Allerdings klingen die Formulierungen ähnlich, denn für einen strafbaren öffentlichen Aufruf soll es keine Rolle spielen, ob damit terroristische Straftaten für gutgeheißen werden. Es müsse nur die Gefahr bestehen, dass eine oder mehrere terroristische Straftaten begangen werden können. Tatsächlich erfolgte der Aktionsplan der EU auch auf Betreiben der britischen Regierung, die nach den Bombenanschlägen von London ein entsprechendes Gesetz auf den Weg brachte, das nun der EU-Kommission als Vorbild dient.

Die "Äußerung von radikalen, polemischen oder umstrittenen Ansichten in der Öffentlichkeit" soll, so heißt es in dem Frattini-Dokument, von der geplanten EU-Regelung zur Bekämpfung des Terrorismus ebenso wenig eingeschränkt werden wie die Verbreitung von wissenschaftlichen oder journalistischen Informationen. Blickt man auf den Fall der jungen Muslimin, die Ende Oktober des letzten Jahres festgenommen wurde, dann macht dies deutlich, wie schmal der Grat sein wird, der Aufrufe zum Terrorismus von Zensur trennt. In Großbritannien ist im letzten Jahr das umstrittene Terrorismus-Gesetz in Kraft getreten, das u.a. die "Verherrlichung von Terrorismus" unter Strafe stellt. Damit sind Äußerungen gemeint, die von "Teilen der Öffentlichkeit voraussichtlich als direkte oder indirekte Bestärkung oder anderweitige Herbeiführung der Begehung, Vorbereitung oder Anstachelung von terroristischen Straftaten verstanden" werden.

Notiz auf einem Kassenzettel

Daneben steht das Verbreiten von "terroristischen Publikationen" unter Strafe, auch dann, wenn man solche Publikationen im Hinblick darauf besitzt, sie veröffentlichen zu wollen. Tatsächlich verurteilt wurde Malik allerdings noch nach dem Terrorism Act 2000, der allerdings ähnlich schwammig formuliert ist:

A person commits an offence if he possesses an article in circumstances which give rise to a reasonable suspicion that his possession is for a purpose connected with the commission, preparation or instigation of an act of terrorism.

Von dieser Anklage nach Artikel 57 wurde sie freigesprochen, schuldig aber nach Artikel 58 befunden, der nicht den Besitz eines "Artikels", sondern schon den von "Informationen" unter Strafe stellt, die einer anderen Person nützlich sein könnten, eine terroristische Straftat zu begehen oder vorzubereiten. Malik hatte aus dem Internet eine ganze Reihe von Publikationen von Terrororganisationen heruntergeladen (The Mujaheddin Poisoner’s Handbook, Encyclopaedia Jihad, How To Win In Hand To Hand Combat, How To Make Bombs oder Sniper Manual)

Malik, die damals noch am Flughafen Heathrow als Verkäuferin in einem Laden arbeitete, hatte unter dem Namen "Lyrical Terrorist" in Internetforen oder auf Webseiten wie Hi-5 Gedichte mit Titeln wie "How To Behead" oder "The Living Martyrs" veröffentlicht. Darin heißt es etwa: "Lasst uns Dschihad machen/Gehen wir an die Front/um den Kopf des ungläubigen Schweins abzuhauen." Köpfungen seien nicht so schlimm, meinte sie in einem Gedicht, es käme nur alles auf die Bewegung des Handgelenks an. In ihrem Profil bei Hi-5 erklärte, sie gerne Fernsehfilme von ihren muslimischen Brüdern im Irak anschaue, wenn sie Menschen köpfen, von Bin Laden oder von Massakern an den Ungläubigen. Gefunden wurden bei ihr auch Notizen, in denen sie äußert, dass der Wunsch in ihr immer stärker werde, als Märtyrer zu sterben.

Die junge, 23 Jahre alte, in Großbritannien geborene Frau, die sich "Lyrical Terrorist" nannte, wirkt eher wie ein Mädchen. Bild: Metropolitan Police

Sie erklärte, sie habe ihren Nickname deswegen gewählt, weil er "cool" sei. Die Gedichte seien "bedeutungslos" gewesen, meinte sie, die Staatsanwaltschaft war jedoch der Überzeugung, dass sie auch zeigen, wie tief sie in Terrorgruppen verwickelt gewesen sei. So erklärte der Leiter des Antiterrorkommandos der Metropolitan Police:

Malik hatte extremistische Ansichten, die sie mit anderen Gleichgesinnten im Internet austauschte. Sie versuchte auch, einer Terrorgruppe Geld zu stiften. Sie hatte die Ideologie, die Möglichkeit und den Willen, auf Material zuzugreifen und herunterzuladen, das für Terroristen nützlich sein könnte. Der Besitz dieses Materials alleine ist eine schwere Straftat.

Wie weit die von Malik verbreiteten Äußerungen tatsächlich ernst zu nehmen sind, lässt sich nicht wirklich beurteilen. 2002 hat sich noch unter dem Nickname "Lyrical Babe" Rap-Texte geschrieben, die auch Gewalt enthielten. Ab 2004 hat sie ein Kopftuch getragen und fühlte sich vom Islamismus angezogen. Da ihre Texte in aller Öffentlichkeit geäußert wurden, muss man sie zumindest als reichlich naiv einschätzen, wenn man sie in die Nähe von Terrorgruppen rückt. Vermutlich war es eine gelangweilte junge Frau, die sich ähnlich wie manche der Amokläufer, beispielsweise der finnische Gymnasiast, in ein Abenteuer als moralischer Held fantasierte, der dann mit dem Terror der Tugend auch über Leichen geht. Man kämpft an der Front der islamistischen Revolution mit ihren Helden Bin Laden und Co., wie man früher als linker Revolutionär an der Front der Weltgeschichte mit Mao oder Che Guevara stand (oder sich jetzt in die neonazistischen Bewegungen einreiht). Aus solchen Träumereien und Ausbruchsfantasien können tatsächlich extremistische und terroristische Karrieren oder auch "nur" solche von Amokläufern beginnen, aber wo hören mehr oder weniger pubertäre oder verzweifelte Träumereien auf?

Many opportunities have been given to me but something always holds me back. I always sit alone to think and ponder how it would be to unite with the Muslim ummah and to go shoot rocket-launchers, help them load their ammunition, nurse the wounded, and what the atmosphere would be like.

Das Gericht konnte offenbar keine Belege dafür finden, dass Malik tatsächlich Mitglied einer terroristischen Gruppe war oder Anschläge plante. Man wollte wegen ihrer Gedichte vermutlich keinen Anlass dazu geben, eine heftige Diskussion über die Grenzen der freien Meinungsäußerung auszulösen. Daher blieb der allerdings nicht weniger fragwürdige "Besitz von Informationen" als Straftat nach dem Terrorgesetz, um sie wegen des Besitzes einer "Bücherei" von Dokumenten, die für Terroristen nützlich sein könnten, für schuldig zu befinden. Dabei handelt es sich um Texte, die von Webseiten ohne große Mühe heruntergeladen werden konnten. Könnte also bald jeder, der solche Publikationen von al-Qaida oder anderen Gruppen auf seiner Festplatte hat, als Terrorunterstützer in Großbritannien – und vielleicht auch bald in der ganzen EU – belangt werden? Wäre es möglicherweise auch schon gefährlich, nur bestimmte Webseiten besucht zu haben? Die Sorge ist so abwegig nicht, man braucht sich nur einmal den Fall des Stadtsoziologen Andrej H. in Deutschland näher anschauen, um über die Konsequenzen des überbordenden Antiterrorkampfes aufgeschreckt zu werden. Noch hat immerhin in Deutschland der Bundesgerichtshof den Strafverfolgungsbehörden Grenzen gesetzt (Verdacht ist nicht genug).

Die Entscheidung über das Strafmaß im Fall von Malik wird am 6. Dezember getroffen werden. Das Gericht will ganz offensichtlich mit dem Schuldspruch ein Zeichen setzen und vor dem Kokettieren mit terroristischem Gedankengut warnen, die Frage ist, ob die Strafverfolgung tatsächlich das richtige Vorgehen ist, um die extremistische Versuchung zu mindern, zumal die Meinungsfreiheit das wirkliche Opfer sein könnte.