Conduits, ABCP-Programme und CDOs

Die Subprime-Verluste waren nur der Auslöser der Krise, meint Fed-Cef Bernanke. Was das Finanzsystem tatsächlich ins Wanken brachte, waren die neuen Finanzinstrumente, mit denen die großen Investmentbanken seit Jahren Rekordgewinne erwirtschafteten

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Krise II:

Die ausstehenden Subprime-Hypotheken sollten in diesem Jahr insgesamt kaum mehr als 100 Mrd. USD an Zinszahlungen generieren, wovon maximal ein Betrag in der Größenordnung von vielleicht 20 Mrd. USD ausfallen dürfte. Laut Deutsche Bank Analyst Michael Mayo könnten die Abschreibungen auf Subprime-verbundene Anlagen im 2. Halbjahr 50 Mrd. USD erreichen, und Analyst Matt King von der Citigroup rechnet sogar mit 64 Mrd. USD. Und egal, wie viel die Banken letztlich in die Bücher nehmen werden, es dürfte jedenfalls deutlich über den tatsächlich anfallenden Verlusten liegen. Warum die Banken gut das Dreifache davon werden verbuchen müssen, liegt daran, dass nun ein großer Teil der umlaufenden Finanzanlagen im Lichte der hohen Delinquenzraten neu bewertet wird. Und da die Modelle fragwürdig geworden sind, mit denen die Werte bislang berechnet wurden, weiß in weiterer Folge keiner, wo diese Verluste letztlich gelandet sind und wer dafür gerade stehen muss.

US-Notenbank-Chef Ben Bernanke bezeichnet die eigentlichen Subprime-Verluste als geringfügig im Vergleich mit dem Gesamtmarkt und nur als Auslöser einer Krise, die systemische Ursachen habe und vor allem mit den außerbilanziellen ABCP-Programmen der Banken und den Märkten für „collateralized debt obligations“ (CDOs) zusammen hänge.

Durch diese Instrumente verbinden die Investmentbanken die Kreditkonsumenten mit dem Geldmarkt, was ihnen bis vor kurzem riesige Gewinne eingebracht hatte. Diese nur professionellen Investoren zugänglichen Kreditprodukte haben in den letzten Jahren fast exponentielle Zuwachsraten verzeichnet. Unbemerkt von der Öffentlichkeit sind sie zudem zu bestimmenden Elementen des internationalen Finanzsystems geworden, die sich allerdings der regulativen Kontrolle weitgehend entzogen hatten. Gleichzeitig ist aber auch ein System entstanden, das so komplex ist, das mittlerweile offenbar auch etliche Akteure die Übersicht verloren haben.

Im Zentrum der neuen Finanzwelt stehen die außerbilanziellen Sondergesellschaften der Banken. Denn um ihr teures Eigenkapital zu schonen (bzw. die Eigenkapitalrentabilität zu erhöhen), haben praktisch alle größeren Finanzinstitute in den westlichen Industriestaaten so genannte „conduits“ (engl.: Kanal, Röhre, Durchleitung) etabliert, die ein Portfolio aus langfristigen Anlagergütern (z.B. Hypothekarkredite) mit der Emission von kurzfristigen „asset backed commercial papers“ (ABCP) finanzieren. So wie die normalen „commercial paper“ (CP) sind ABCPs vorrangige, kurzfristige Zahlungsverpflichtungen, wie sie traditionell von Unternehmen emittiert werden um ihre Umlaufvermögen zu finanzieren. Gehandelt werden diese Schuldtitel mit zumeist drei bis neun Monaten Laufzeit am Geldmarkt, wobei Geldmarktfonds die wichtigsten Abnehmer sind.

Die heutigen Conduits gehen auf CP-Produkte zurück, die die Geschäftsbanken in den späten 1980er Jahren entwickelt hatten, um Unternehmen günstige Finanzierung auf LIBOR-Niveau anzubieten. Die Rückzahlung diese ersten ABCPs wurde (unter anderem) durch einen genau spezifizierten Pool an Forderungen garantiert, der aus offenen Forderungen der beteiligten Unternehmen bestand. Für die „Sponsor“-Bank hatte das den Vorteil, besicherte Unternehmensfinanzierungen außerhalb der eigenen Bilanz anzubieten, die sie andernfalls – trotz z.B. identischer Besicherung - mit teurem Eigenkapital unterlegen müsste. Unternehmen ohne „prime-1“-Rating, deren Bonität und Größe nicht ausreicht, um ein eigenes CP-Programm aufzulegen, konnten sich hingegen über ein Conduit zu ähnlich günstigen Konditionen finanzieren, wie die großen Multis.

Bald wurde dieses Geschäftsmodell nicht nur zur Unternehmensfinanzierung, sondern auch von Hedgefonds und Banken für außerbilanzielle Arbitrage-Strategien genutzt. Die ABCP-Programme finanzierten nun Portfolios aus hochgradigen Anleihen („security arbitrage“), oder aus Krediten („credit aritrage“), die von den Banken selbst generiert oder am Markt eingekaufte worden waren.

SVPs haben in der Regel keine eigenen Mitarbeiter, sind nur minimal mit Eigenkapital ausgestattet und in einer regulativ/steuerlich günstigen Lokation angesiedelt, etwa auf den Cayman-Inseln, den Bermudas oder im US-Bundesstaat Delaware. Typischerweise werden die ABCP-Emissionserlöse dazu verwendet, abreifende ABCPs zu tilgen („rolling“). Es bestand ein lebhafter Markt für diese kurzfristigen Schuldtitel, die bis zum Ausbruch der Krise als extrem sicher galten, und in dem es auch tatsächlich bislang noch nicht zu substantiellen Ausfällen gekommen ist. So waren 1992 gerade einmal 50 Milliarden USD an ABCP ausständig, während 2002 bereits ein Volumen von 700 Mrd. USD erreicht und der traditionelle CP Markt erstmals übertroffen wurde. Bis zum August 2007 hatte sich das (US-) Volumen nochmals verdoppelt und lag zuletzt bei über 1400 Mrd. USD, wobei der gesamte CP-Markt zu diesem Zeitpunkt insgesamt ein Volumen von 2,2 Billionen USD erreicht hatte.

Während der Bestand an ausstehenden normalen CPs im Laufe der Krise weitgehend unverändert geblieben ist - die übliche Unternehmensfinanzierung von den Finanzmärkten also weitgehend gewährleistet wurde -, waren ABCPs jedoch plötzlich unverkäuflich geworden. So ist das Volumen an ausstehenden ABCPs seither um rund 300 Mrd. USD zurückgegangen, was ungefähr den in diesem Zeitraum abgereiften ABCPs entspricht. Weitere rund 900 Mrd. USD werden übrigens innerhalb des nächsten halben Jahres fällig, und wenn sie nicht refinanziert werden können, müssen die von den Conduits gehaltenen Anlagen entweder in die Bücher der Sponsor-Banken, oder auf den Markt, was weitere Preiseinbrüche erwarten lässt.

Schwierigkeiten mit mathematischen Modellen

Auf der Asset-Seite vieler Conduits befinden sich zudem die von Bernanke genannten CDOs („collateralized debt obligations“), für die kein geregelter Markt existiert und die daher bislang vor allem anhand mathematischer Methoden bewertet wurden. Diese CDOs, von denen laut Bank für internationalen Zahlungsausgleich im Vorjahr fast 500 Mrd. USD begeben wurden, sind langfristige Anleihen, die auf „Strukturen“ basieren. Dabei erwirbt wiederum eine Sondergesellschaft zuerst ein Inventar an Forderungen und verteilt dann die daraus resultierenden Zahlungsströme und Risiken auf mehrere Tranchen, die gesondert verkauft werden.

Das höchste Risiko und den höchsten Zins bringt die „Senior“-Trache. Wenn deren Kapazität aufgebraucht ist, tragen die mittelriskanten Mezzanin-Tranchen die weiteren Ausfälle. Erst wenn derenr gesamtes Kapital aufgebraucht ist kann es bei den sichersten Tranchen zu Verlusten kommen. Geschützt durch diese Risikoträger galten die „Senior“-Tranchen bislang selbst dann als höchst solide, wenn sie auf einem Portfolio von ausschließlich schlechten Krediten basierten. Viele waren zudem mit einem Investment-Grade-Rating ausgestattet, wobei die Ratingagenturen oft aktiv beratend an der Konstruktion der CDOs beteiligt waren.

Wegen Top-Rating und dennoch etwas höheren Couponzahlungen wurden diese Senior-Tranchen stark von ABCP-Programmen nachgefragt, die darauf gestützt problemlos am umsatzstarken Geldmarkt platzieren konnten. Das wiederum motivierte die Investmentbanken dazu, sich massiv in diesem Markt zu engagieren. Durch die hohe Nachfrage nach CDOs bestand ebenso hohe Nachfrage nach verwertbaren Krediten, die dann auch um jeden Preis produziert wurden. Das geschah hemmungslos und nach entsprechend laxen Vergabestandards und teilweise sogar organisiert betrügerisch, wie der New Yorker Oberstaatsanwalt Andrew Cuomo meint.

Die Banken waren jedenfalls auf einen steten Strom an strukturierbaren Krediten angewiesen. Obwohl praktisch alle Arten an Unternehmens- und Konsumentenkrediten verwendet wurden, erwiesen sich offenbar zwei Bereiche als besonders ergiebig: Potentielle Hausbesitzer mit schlechter Kreditvergangenheit, die bislang nicht davon geträumt hatten, einen Kredit zu erhalten, und „leveraged loans“, also Kredite, die zur fremdfinanzierten Übernahme von Unternehmen durch Private Equity Fonds dienen.

Als in ihren Folgen besonders unberechenbar erwies sich zudem die noch kompliziertere „synthetische“ CDO-Variante. Weil dabei keine realen Forderungen eingekauft werden müssen, ist sie für die Investmentbanken wesentlich einfacher zu konstruieren. Ihre Tranchen sind aber noch viel schwerer zu bewerten als die normalen CDOs. Denn bei synthetischen CDOs werden keine Kredite vergeben, sondern „credit default swaps“ (CDS) gekauft, mit denen das Ausfallrisiko von Krediten oder Anleihen übernommen wird. Statt einer Zinszahlung erhält der Zeichner eine jährliche Prämie, wobei das Risiko und die Zahlungsströme wieder auf einzelne Tranchen aufgeteilt werden.

Die Investoren in die riskanten „Junior“-Tranche müssen in der Regel das festgelegte maximale Verlustpotential als Kapital hinterlegen und bekommen es abzüglich etwaiger Verluste erst bei Abreifen des CDOs zurück. Für die nach statistisch-mathematischer Wahrscheinlichkeit als sicher geltenden Senior-Tranchen mussten hingegen eingangs oft keinerlei Zahlungen geleistet werden. Die Equity/Junior-Tranchen, von denen die emittierenden Banken einiges in die eigenen Bücher nehmen mussten, um das Vertrauen der Käufer zu stärken, gelten heute hingegen pauschal als „toxic waste“ und sind unverkäuflich.

Noch Anfang August 2007 finanzierten also unzählige Conduits bunt gemischte langfristige Portfolios aus Anleihen, CDOs, synthetischen CDOs und realen Krediten. Das lebhafte Geschäft ließ besonders die Investmentbanker profitieren. So erhielten z.B. die Mitarbeiter von Investmentbank-Marktführer Goldman Sachs für das Jahr 2006 zusammen nicht weniger als 16 Milliarden USD an Erfolgsprämien.

Die Investmentmanager, die mit diesen Instrumenten handelten, errechneten den Wert der neuen Instrumente weitgehend anhand der selben mathematischen Modelle, so dass es Käufern und Verkäufern offenbar leicht fiel, sich einig zu werden und Geschäfte abzuschließen.

Dies allerdings nur in ruhigen Zeiten. Denn die meisten Modelle neigen dazu, die Zukunft als "zufällig" vorauszusetzen und eine bestimmte Wahrscheinlichkeitsverteilung anzunehmen. Das erweist sich in turbulenten Zeiten schlichtweg als falsch, so dass die Modelle ab August im Subprime-Bereich zur Preisfindung untauglich wurden. Dieses neue Bewusstsein der Investoren um die Fehlbarkeit der Modelle scheint das Misstrauen zudem vom Subprime-Segment zunehmend auf andere Finanzmarktsegmente mit komplizierten Verbriefungen übergreifen zu lassen.

Die Conduits haben eigentlich bankübliche Fristentransformation betrieben, allerdings mit wesentlich weniger strenger regulativer Aufsicht, Steuern und Overhead-Kosten, wobei die daraus resultierenden ökonomischen „Effizienzgewinne“ wohl mehrheitlich im Finanzsektor verblieben sind. Die Banken wissen jetzt dafür weder genau, was die in ihren Bilanzen befindlichen Papiere wert sind, noch, wie viel Ausfallsliquidität sie für die von ihnen garantieren Conduits benötigen werden. Die Conduits können ihrerseits die ABCP-Investoren nicht von der Qualität ihre langfristigen Assets überzeugen und ihre ABCP-Schulden nicht prolongieren. Sie können auch keine CDOs kaufen, so dass die Investmentbanken auf den dafür vorgesehenen Krediten sitzen bleiben.

Da die Conduits nun ihre dubiosen Forderungen weder belehnen noch verkaufen können, müssen sie zudem ihre besten Anlagen auf den Markt werfen um ihre abreifenden ABCPs bedienen zu können, was wiederum selbst solide Titel mit Top-Rating unter Druck bringen kann.

Mit Unterstützung des früheren Goldman-Chefs und jetzigen US-Finanzministers Hank Paulson haben Citigroup, Bank of America und J.P. Morgan Chase daher ein „Master Liquidity Enhancement Conduit“ gegründet, das mit 80 bis 100 Milliarden Dollar ausgestattet werden soll, um den Markt für die komplexen Papiere zu unterstützen. Während viele Konkurrenten den Fonds als bloßes Stützungsinstrument für Citigroup etc. betrachten, meinte Ex-Notenbankchef Alan Greenspan, ihm sei nicht klar, ob die Vorzüge größer wären als die Risiken. Wenn man in das System interveniere, vertreibe man die Geier, die Geier wären aber manchmal sehr nützlich!