Wie sicher sind Pakistans Atomwaffen?

Newsweek bezeichnete Pakistan - "Wo der Dschihad lebt" - noch vor Verhängung des Ausnahmezustands als das gefährlichste Land, nicht zuletzt wegen seiner Atomwaffen

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Gestern ließ der pakistanische Präsident Musharraf, der auf unbestimmte Zeit den Ausnahmezustand verhängt hat, durch Hunderte von Polizisten das Haus der Oppositionsführerin Benazir Bhutto abriegeln. Sie hatte ihre Anhänger zu einem Protestmarsch aufgerufen, forderte nach der Polizeiaktion nun den Rücktritt von Musharraf und kündigte den Boykott der Wahlen an. Musharraf hatte mit dem Ausnahmezustand die Bremse gezogen und verhindert, dass er als Präsident sein Amt als Oberbefehlshaber des Militärs abgeben musste. Auch gestern wurden wieder zahlreiche Oppositionelle verhaftet. Die Situation in dem Land ist angespannt, zumal Musharraf mit seinem Putsch die Islamisten stärkt und die Moderaten schwächt (In der Schusslinie). Es unterscheidet sich auch deswegen von anderen Ländern, in denen Konflikte herrschen und die Zentralgewalt nicht die volle und legitime Herrschaft ausübt, weil Pakistan über Atomwaffen verfügt.

Cover der Newsweek-Ausgabe vom 29. Oktober mit der Titelstory: Where the Jihad lives now

Musharraf lässt weiterhin Oppositionelle festnehmen, scheint nun aber auch stärker gegen Islamisten vorzugehen. Fernsehsender werden ebenso weiter zensiert und müssen einen Verhaltenskodex unterschreiben, um wieder senden zu dürfen. Musharref erklärte, er schätze die Informationsfreiheit und auch Kritik, aber die Medien müssten sich richtig betragen und Vulgäres sowie Beleidigendes vermeiden. Der Informationsminister kritisierte, Fernsehsender hätten Gerüchte verbreitet, was ohne Rückfrage bei der Regierung geschehen sei. Dabei handelte es sich um das Gerücht, der Präsident stehe unter Hausarrest. Bei den Unterhaltungssendungen müsste darauf geachtet werden, dass die gezeigten Menschen anständig bekleidet seien.

Zur Sperrung von CNN, BBC und al-Dschasira erklärte er, dass manche ausländische Sender "sehr abstoßende Szenen" zeigen würden, beispielsweise von Schwulenheiraten. Zudem hätte es despektierliche Bemerkungen über den Islam, über Pakistan und manche Regierungsangehörige gegeben. Er verwies auch darauf, dass angeblich in Indien die Medien streng kontrolliert würden, aber da äußere niemand Kritik. Die Einfuhr von Satellitenschüsseln, Decodern und anderen Empfangstechniken wurde strenger reguliert.

Am Montag wies die pakistanische Regierung auch scharf Ängste zurück, dass sie nicht für die Sicherheit der Atomwaffen garantieren könne. Zwar hält die US-Regierung trotz eher rhetorischer Forderungen nach Aufhebung des Ausnahmezustands, der Durchführung von Wahlen und der Einbeziehung von Bhutto an Musharraf fest, der bereits 1999 durch einen Putsch an die Macht gekommen ist, ein Jahr, nachdem die USA von den ersten unterirdischen Atomwaffentests Pakistans überrascht wurden, die kurz auf die ersten indischen Atomwaffentests folgten. Mit dem Krieg gegen den Terror wurde das Nachbarland Afghanistans wie schon einmal beim Kampf gegen die Russen zu einem wichtigen strategischen Partner – trotz der heimlichen Aufrüstung mit Atomwaffen.

Anders als die "Achse der Bösen", der man nur Atomwaffenprogramme unterstellte, war Pakistan ebenso wie Indien schon De-facto-Atomstaat. Bis Ende 2001 gab es allerdings noch die nach den Atomwaffentests von US-Präsident Clinton verhängten Sanktionen, die schon am 22. September 2001 aufgehoben wurden. Die Bush-Regierung schonte Pakistan als strategischen Partner auch dann weiter, als 2004 bekannt wurde, dass das Netzwerk um den pakistanischen, in Deutschland ausgebildeten Atomwissenschaftler Abdul Qadeer Khan Atomtechnologie an andere Länder wie Nordkorea, Libyen oder Iran geliefert haben soll. Nachdem der "Vater der islamischen Atombombe", der sich nur entschuldigen musste, seit den 1980er Jahren – als Pakistan im Kalten Krieg zum Alliierten der USA wurde - heimlich die pakistanische Atombombe entwickelt und die Technik dafür u.a. mit der Hilfe Chinas beschafft hatte, konnte er, sicher nicht ohne Kenntnis der Regierung, seine Kanäle auch zum Verkauf nutzen. Musharraf versicherte lediglich, dass Pakistan keine Atomwaffentechnik mehr verkaufen werde (Bush will Verbreitung von Massenvernichtungswaffen verhindern). Interessant ist freilich auch, dass der Wunsch nach einer "islamischen Bombe" in die 1970er Jahre und auf den Vater von Benazir Bhutto zurückreicht, der damals Präsident war und auf einen indischen Atomwaffenversuch mit dem Start eines Atomwaffenprogramms reagierte.

Präsident Musharraf bei einer Pressekonferenz am 13. November

Wie viele Nuklearsprengköpfe Pakistan besitzt und wo sie gelagert sind, ist unbekannt. Geschätzt wird, dass Pakistan, das auch weiterhin Raketen für Nuklearsprengköpfe wie die Shaheen-II mit einer Reichweite bis zu 2.500 km entwickelt, Material für mehr als 50 und bis zu 60 Atombomben besitzt (v.a. HEU, aber auch Plutonium). Vermutet wird, dass Pakistan in Chasma eine neue Wiederaufbereitungsanlage baut, in Kushab wird neben dem schon bestehenden Pluonium-Reaktor vermutlich gerade ein neuer und größerer Plutonium-Reaktor (40-100 MW) errichtet. Damit könnten dann 40-50 Bomben im Jahr gemacht werden. Möglicherweise wird gleich nebenan noch ein dritter Reaktor gebaut, vermutet das Institute for Science and International Security (Isis) aufgrund der Analyse von Satellitenbildern.

Satellitenbild der Baustelle des zweiten Plutoniumreaktors in Khushab vom April 2006. Bild: ISIS

Die Sicherheit der Atomwaffen wurde bereits zu einem Thema, als die Taliban 2001 einen Angriff auf Pakistan androhten, falls das Land die USA unterstützen werde. Obgleich die pakistanische Armee als Hort der Stabilität gilt, könnten Islamisten oder andere Regimegegner womöglich nukleares Material, beispielsweise durch Mithilfe eines Insiders oder durch einen Angriff, entwenden. Man geht aber davon aus, dass Pakistan keine ganzen Atombomben lagert, sondern die Teile und das Material an geheimen Orten im gazen Land verteilt hat – auch um möglichen indischen Angriffen kein leichtes Ziel zu bieten. Zudem sei die geringe Menge des Materials leicht zu schützen. 2001 hatte Pakistan auch den Amerikanern keinen Zugang zu den Lagerstätten gewährt.

Zwar seien die Sicherheitsvorkehrungen, die Pakistan mit der Hilfe der USA eingeführt hat, mit denen in den westlichen Ländern vergleichbar, doch äußerten nun US-Regierungsangehörige Bedenken, weil man zu wenig wisse. Pakistans Regierung – oder Regime – ist instabil, Teile des Landes werden von Aufständischen beherrscht, es gedeiht der islamistische Terrorismus. Daher hätten die amerikanischen Geheimdienste schon seit langem Pläne für den Notfall, um die Atomwaffen zu sichern, berichtete die Washington Post. Darunter offenbar auch Pläne, die dann greifen, wenn das pakistanische Militär nicht mitwirken sollte.

Gegenwärtig wird befürchtet, dass das Militär unter hohen Druck geraten könnte, weil es durch den Ausnahmezustand an zu vielen Ecken kämpfen müsse. Was geschehen könnte, wenn das Land in einen Bürgerkrieg hineingezogen werde oder das Militär auseinander bricht, wisse aber niemand, sagt John Brennan, ehemaliger Direktor des National Counterterrorism Center. So sicher scheint die Lage in Pakistan jedenfalls nicht zu sein, wie die Regierung sie darstellt. So wurde zwar im berüchtigten Swat-Tal ein Ausgangsverbot verhängt, gleichzeitig gibt es Meldungen, dass Aufständische gestern erneut zugeschlagen und eine Provinzhauptstadt eingenommen haben. Ein Kommandeur sagte ebenfalls, dass die Aufständischen trotz des verstärkten Einsatzes von Soldaten ihre Aktivitäten intensivieren würden. In Peshawar gab es trotz eines massiven Polizeieinsatzes Proteste von Anhängern der islamistischen Partei Jamaat-e-Islami, die den "Dschihad" gegen den Ausnahmezustand ankündigten. Auch in anderen Städten kommt es weiter zu Protesten der Oppositionsparteien aus allen Lagern. In Lahore ist gestern der "lange Marsch" der Pakistanischen Volkspartei (PPP) auch ohne Bhutto, der Hausarrest verordnet wurde, in Lahore gestartet.

Die pakistanische Regierung nahm die Äußerungen, die die Washington Post veröffentlichte, offenbar sehr ernst und reagierte prompt. Die Atomwaffen seien so sicher wie in jedem anderen Land, das Atomwaffen besitzt, sagte Mohammad Sadiq, der Sprecher des Außenministeriums. Berichte in den amerikanischen Medien wies er "entschieden" zurück. Es gäbe die üblichen Vorkehrungen mit mehrfachen Sicherungen. Zudem habe man, warnte er mit deutlichem Verweis auf die angeblichen Pläne des Pentagon, ausreichend an "Rückschlagkapazitäten, um die Atomwaffen und die Souveränität Pakistans zu schützen".

Terroristen, die ja in den Bergen leben, würden die Atomwaffen sowieso nicht finden, versicherte er, wenn selbst große Geheimdienste nicht dazu in der Lage seien. Berichte wie in der Washington Post würden von Seiten derer kommen, die gegen die pakistanischen Atomwaffen seien.