Durchbruch ohne Perspektive?

Ab Herbst 2008 steigen die BAföG-Sätze um 10 Prozent. Doch verlässliche Konzepte zur Studienfinanzierung sind weiterhin nicht in Sicht

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Wenn sich Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) nicht mit dem ungeliebten Koalitionspartner hätte einigen müssen, wäre das BAföG möglicherweise längst Geschichte. Denn die 52-Jährige, die in Bonn und Düsseldorf einst selbst Erziehungswissenschaften, Philosophie und katholische Theologie studierte, favorisiert seit geraumer Zeit die Idee flächendeckender Studienkredite, welche die deutsche Hochschullandschaft um einen „funktionierenden Markt der Bildungsfinanzierung“ gruppieren sollen.

Da die politischen Kräfteverhältnisse eine Abschaffung des BAföG vorerst nicht zulassen, entschied sich Schavan allerdings beizeiten für einen Strategiewechsel. Für 2007 lehnte sie eine Erhöhung kategorisch ab, forderte ab 2008 aber eine Verbesserung von 10 Prozent und schob die Rolle des zögernden Zauderers damit der SPD und Finanzminister Peer Steinbrück zu.

Im Zusammenhang mit den Haushaltsverhandlungen zum Bafög und angesichts der bislang ablehnenden Haltung des Bundesfinanzministers zu einer 10-prozentigen Erhöhung erklärte Bundesbildungsministerin Annette Schavan am Freitag: „Wir müssen zu einer 10-prozentigen Erhöhung des Bafög kommen. Wenn wir mehr Studierende wollen, müssen im Haushalt Prioritäten bei Bildung, Ausbildung und Wissenschaft gesetzt werden. Deshalb erwarte ich eine Nachbesserung während der Parlamentsberatungen.“

Pressemitteilung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung v. 2.11.2007

Am vergangenen Freitag hatte das jahrelange Tauziehen dann ein Ende. Die Sozialdemokraten stimmten der geforderten BAföG-Erhöhung zu, und Steinbrück verbuchte die Mehrausgaben, die ab 2009 gut 300 Millionen Euro für den Bund und noch einmal 228 Millionen in den Ländern betragen dürften, unter der Rubrik „klassische Zukunftsinvestition“.

Und zu investieren gibt es einiges: Bislang wenden Bund und Länder, die sich die BAföG-Finanzierung im Verhältnis 65:35 teilen, für die Ausbildungsförderung von Schülern und Studenten rund 2,2 Milliarden Euro pro Jahr auf. Nach Berechnungen des Deutschen Studentenwerks belaufen sich die monatlichen Kosten schon für ledige Studierende im Erststudium, die nicht mehr bei ihren Eltern wohnen, auf rund 700 Euro. Folgerichtig beziffert die Johannes Gutenberg-Universität in Mainz die Kosten für ein komplettes, fünf- bis sechsjähriges Studium auf eine Größenordnung von 42.000 bis 50.000 Euro.

Die neuen Zahlen

Das 22. Gesetz zur Änderung des BAföG, das am 20. Dezember noch vom Bundesrat verabschiedet werden muss, sieht nun vor, dass die BAföG-Bedarfssätze zum 1. Oktober 2008 um 10 Prozent und die Freibeträge um 8 Prozent steigen. Der Höchstsatz läge damit bei 643 Euro pro Monat – 58 Euro über dem bisherigen Maximum. Zum Oktober 2008 soll darüber hinaus die Hinzuverdienstgrenze für alle Auszubildenden auf 400 Euro angehoben werden. Auszubildende mit Kindern bekommen „einen pauschalen und als Vollzuschuss gezahlten“ Kinderbetreuungszuschlag von 113 Euro pro Monat für das erste und 85 Euro für jedes weitere Kind.

Außerdem sollen Auszubildende mit Migrationshintergrund – sofern sie über eine langfristige Aufenthaltsberechtigung verfügen, bereits lange in Deutschland leben oder „eine dauerhafte Bleibeperspektive“ haben – auch dann BAföG bekommen, wenn die Eltern keine Mindesterwerbsdauer vorweisen können. Wer im Ausland studieren möchte, kann in Zukunft bereits ab dem 1. Semester BAföG beziehen und muss sein Studium nicht mehr zwingend in Deutschland beginnen.

Annette Schavan wertete die Aufstockung als „wichtiges Zeichen für die Studierenden in Deutschland“. Die Ministerin erwartet nun „deutliche finanzielle und strukturelle Verbesserungen“. Allein die Anhebung der Freibeträge soll dazu führen, dass im Monatsdurchschnitt rund 100.000 zusätzliche Studierende gefördert werden.

Lebenshaltungskosten, Studiengebühren und diverse Zusatzausgaben

Die letzte BAföG-Erhöhung liegt rund sechs Jahre zurück. In dieser Zeit sind nicht nur die Lebenshaltungskosten deutlich gestiegen und Studierende mit Kind(ern) durch die Regelungen des Elterngeldes klar benachteiligt worden – auch die finanziellen Aufwendungen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit einem Hochschulstudium stehen, haben vielerorts ungekannte Höhen erreicht.

Neben den gestiegenen Kosten für Lernmaterialien schlagen hier vor allem die in sieben Bundesländern eingeführten Studiengebühren in Höhe von durchschnittlich 500 Euro zu Buche. In der öffentlichen Diskussion wird allerdings oft übersehen, dass neben den Gebühren noch „Grundbeiträge“, „Verwaltungskostenbeiträge“ oder „Semesterbeiträge“ zu zahlen sind. So weist die bereits in der ersten Runde der Exzellenzinitiative zur Spitzen-Universität gekürte Ludwig-Maximilians-Universität in München schon jetzt darauf hin, dass bis zum 8. Februar 2008 insgesamt 592 Euro auf das Konto der Universität überwiesen werden müssen, um im dann folgenden Sommersemester den akademischen Verpflichtungen nachgehen zu können. In der ebenfalls zur Elite-Hochschule ernannten Universität Karlsruhe muss neben der Studiengebühr in Höhe von 500 Euro ein Studentenwerksbeitrag (60 Euro) und ein Verwaltungskostenbeitrag (40 Euro) gezahlt werden.

Die Kölner Universität hatte bei der Exzellenz-Initiative zwar das Nachsehen, gibt sich dafür aber besonders viel Mühe, im einzelnen zu begründen, warum das Studium in der Rheinmetropole so teuer ist. Hier fallen neben den obligatorischen 500 Euro für Studiengebühren 59 Euro an, mit denen das Kölner Studentenwerk „allg. Zwecke“ (53,90), die Gesundheitsvorsorge (2,20), einen Hilfsfond: (0,10), die Darlehenskasse (1,00), Tageseinrichtungen für Kinder (1,30) sowie Kultur/Internationales (0,50) finanziert. Hinzu kommen 97,35 Euro für Aufgaben der studentischen Selbstverwaltung, als da sind: der AStA-Beitrag (9,60), die Fakultätszuweisung (2,10), der Studierendensport (1,25) und das Semesterticket (86,50). Alles in allem ergibt das einen zusätzlichen Semesterbeitrag in Höhe von 156,35 Euro - macht also summa summarum 656,35 Euro pro Kölner Student/in und Semester.

Wer an die Fachhochschule, beispielsweise ins westfälische Münster wechselt, spart lediglich Geld für ein paar Mensaessen. Auch hier kostet das Semester ab dem kommenden Sommer 633,42 Euro. Die Universität der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover, die 1831 als „Höhere Gewerbeschule“ gegründet wurde und seit dem 1. Juli 2006 den klangvollen Namen Gottfried Wilhelm Leibniz Universität trägt, veranschlagt den Wert eines Studiums noch deutlich höher. Für das Sommersemester 2008 sollen die Nachwuchsakademiker insgesamt 757,28 Euro überweisen – auch hier werden 500 Euro Gebühren fällig, dazu kommen Beiträge für das Studentenwerk, die Studentenschaft incl. Semester-Card und Verwaltungskosten.

Im Osten der Republik, Rheinland-Pfalz oder Schleswig-Holstein gibt es zwar (noch) keine Studiengebühren, doch die Hochschulen immatrikulieren trotzdem nur gegen Zahlung. 160,60 Euro kostet ein Semester an der TU Dresden, und wer das Sommersemester 2008 an der Bauhaus-Universität Weimar verbringen will, muss voraussichtlich 133,20 Euro zahlen. Die Mainzer Universität verlangt 189,60 Euro, und die Universität zu Lübeck erhebt eine Sozialgebühr von 88,80 Euro.

Die Freie Universität Berlin, die sich nach dem Erfolg in der letzten Runde der Exzellenzinitiative noch immer als „Leuchtturm der Wissenschaft“ feiert, verlangt ganz ohne Studiengebühren mindestens 248,64 Euro. Schon jetzt steht fest, dass sich dieser Betrag bis 2011 durch eine Verteuerung des Semestertickets um mindestens 14 Euro erhöhen wird.

BAföG-Erhöhung um mindestens 19 Prozent

Vor der am Freitag beschlossenen BAföG-Erhöhung monierten die Kritiker der Bundesregierung also durchaus zu Recht, dass im Bereich der Studienfinanzierung dringender Handlungsbedarf besteht und selbst eine deutliche Aufstockung bestenfalls dazu geeignet sein kann, lange Versäumtes nachzuholen. Das gilt umso mehr, als der BAföG-Beirat bereits Ende letzten Jahres für eine Maßnahme plädierte, die jetzt erst ab Herbst 2008 greifen soll.

Ein Blick auf die BAföG-Entwicklung der Jahre 1995 bis 2005 zeigt, dass die Ausbildungsförderung lange Zeit nicht als „klassische Zukunftsinvestition“ betrachtet wurde und die Zahl der geförderten Schüler und Studenten zeitweise auf weniger als 350.000 absackte, während sie nun wieder deutlich über 500.000 liegt.

Ob dem ursprünglichen Ziel des 1971 verabschiedeten Gesetzes mit der jüngsten Novelle gedient ist, bleibt allerdings fraglich. Um mehr jungen Menschen aus bildungsfernen und finanzschwachen Familien ein Hochschulstudium zu ermöglichen und die von Bildungsexperten geforderte Jahrgangsquote um mehrere Prozentpunkte auf die Zielmarke von 40 Prozent Akademikern zu heben, ist eine Steigerung der Freibeträge kaum geeignet. So rechnet selbst Annette Schavan – bei einer Erhöhung der Anzahl geförderter Schüler und Studenten um immerhin 18 Prozent – „gerade auch in den mittleren Einkommensbereichen“ mit zusätzlicher Entlastung.

Während der Debatte im Bundestag machte Kai Gehring, Sprecher für Jugend- und Hochschulpolitik bei Bündnis 90/Die Grünen, weitere Kritikpunkte an der BAföG-Novelle geltend und fragte in Richtung der Großen Koalition:

Warum halten Sie an starren Obergrenzen beim Unterkunftszuschuss fest? Warum übernehmen Sie nicht unseren Vorschlag, angemessene Miet- und Heizkosten komplett zu übernehmen, so dass man auch in München und Düsseldorf vom BAföG leben kann? Warum schaffen sie den Kinder-Darlehens-Teilerlass für studierende Eltern völlig übereilt ab? Warum gewähren Sie keine großzügigen Übergangsfristen, um das Vertrauen jungen Eltern in geltende Regelungen nicht zu enttäuschen? Warum stellen Sie Lebenspartnerinnen und Lebenspartner nicht endlich auch im BAföG mit Ehegattinnen und Ehegatten gleich? (...)

Und warum verweigern Sie sich der simplen Klarstellung im Gesetz, dass Studierende nicht benachteiligt werden dürfen, wenn die Hochschule ihre Studiengänge verpflichtend von Diplom auf Bachelor umstellt und das BAföG-Amt dies als „förderschädlichen“ Fachrichtungswechsel wertet?

Kai Gehring

Die bildungspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Nele Hirsch, hatte bereits im Vorfeld der Bundestagsdebatte für eine sehr viel weitergehende BAföG-Reform plädiert und neben einer „elternunabhängigen, repressionsfreien und bedarfsdeckenden sozialen Grundsicherung mit Vollzuschuss“ auch noch die Ausweitung der Förderung auf Schüler ab der 11. Klasse und Erwachsene in der Weiterbildung in Aussicht gestellt. „Bedarfsdeckend“, so Hirsch, sei die BAföG-Förderung allerdings erst bei einer Erhöhung „um mindestens 19 Prozent“.

Bilanz und Ausblick

Der freie zusammenschluss von studentInnenschaften (fzs) hat sich in dieser Hinsicht bislang zurückgehalten, ist jedoch ebenfalls der Meinung, dass die jüngste Erhöhung vorerst nur die gestiegenen Lebenshaltungskosten bis 2007 abdeckt und für Studierende mit Kind lediglich die Nachteile, die durch die Einführung des Elterngeldes entstanden sind, korrigiert. Notwendig sei nun „eine jährliche Anpassung der Regelsätze und Freibeträge“.

Gegenüber anderen Modellen der Studienfinanzierung haben die am vergangenen Freitag zweifelsohne stark verbesserten BAföG-Regelungen noch immer deutliche Vorteile. Schließlich orientiert sich die Unterstützung an der sozialen Situation der Empfänger und wird zur einen Hälfte als Zuschuss und zur anderen als zinsloses Darlehen gewährt, wobei die Gesamtschuld – im Unterschied zu diversen Studienkrediten – 10.000 Euro nicht übersteigen kann.

Doch eine BAföG-Erhöhung ersetzt keine Bildungsoffensive, insbesondere keine, die jungen Menschen aus bildungsfernen und sozial schwachen Familien zugute kommen soll, weil hier Fördermaßnahmen sehr viel früher greifen müssen. Aber eine BAföG-Erhöhung von 10 Prozent kann auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass langfristige Konzepte zur Studienfinanzierung bislang ausgeblieben sind. Der Einführung der Studiengebühren hätte der Aufbau eines funktionierenden Stipendiensystems folgen sollen, das noch immer auf sich warten lässt. Wie Empfänger von Studienkrediten vor der Gefahr einer erheblichen Verschuldung geschützt werden sollen, weiß niemand verlässlich zu sagen, und ob die Regelsätze und Freibeträge des BAföG in Zukunft schneller erhöht werden als Gebühren und Verwaltungsbeiträge steht vorerst auch noch in den Sternen.