Vorauseilender Überwachungsgehorsam

In den USA wächst die Kritik am laxen Umgang von Mobilfunkprovidern und Behörden mit Ortungsdaten

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Kommunikationsgeräte mit GPS-Funktion sind willkommene technische Helfer für Helikopter-Eltern (vgl. Big Mother), die immer wissen wollen, wo sich ihre Kinder aufhalten. Ähnliche Interessen haben Fahndungsbehörden, deren Informationsdurst, was verdächtige Personen anbelangt, groß ist, bestimmt von der beständigen Sorge um die Sicherheit. Dies nun bereitet denjenigen Unbehagen, die sich um den Schutz der Privatsphäre sorgen. In den USA, so berichtet die Washington Post heute, warnen Anwälte, welche die Privatsphäre gerne etwas besser gegen staatliche Zugriffe abgesichert wissen wollen, davor, dass amerikanische Bürger weitaus stärker einer Überwachung durch staatliche Behörden ausgesetzt sein könnten, als sie es vielleicht vermuten.

Neu ist die Warnung und der Vorwurf ja nicht, der große Telefonüberwachungsskandal in den USA ist noch nicht ganz abgeklungen. Doch geht es in den Fällen, die von der Washington Post vorgestellt werden, nicht um das Abhören von Telefonaten, sondern über das Auspüren des Aufenthaltsortes von Verdächtigen, der ständigen Überwachung des Aufenthaltsortes - „real time tracking data“.

Nach Informationen der Zeitung sollen Vertreter von Bundesbehörden „routinemäßig“ bei Gerichten anfragen, um mit legaler Deckung von Telefongesellschaften Daten zu bekommen, die den Aufenthaltsort von Verdächtigen melden und die nicht wirklich überraschende Erkenntnis: In „einigen Fällen“ soll den Anfragen richterlich stattgegeben worden sein, ohne dass von den Regierungsbehörden verlangt wurde, Begründungen für die Überwachung zu liefern.

Das Gesetz verlangt, dass Gründe dafür vorgelegt werden, weshalb man mit einiger Wahrscheinlichkeit annehmen kann, dass eine Straftat verübt wird, bzw. dass die Ermittlung Beweisstücke für eine Straftat zu Tage fördern. Auch im amerikanischen Justizministrium soll es eine interne Empfehlung für Bundesstaatsanwälte gelten, dass sie solche Ermächtigungen nur dann anfordern, wenn es gute Gründe dafür gibt.

Doch, wie der Bericht zeigt, sind die Rechtsreservate, welche die Privatsphäre gesetzlich gegen Übergriffe von Behörden schützen, in den USA leichter zu unterwandern, als man es vielleicht denken mag. So genügen manchem Richter niedrigere Standards, die sich angeblich aus dem „Stored Communications Act“ und dem „Pen Register Statute“ herleiten lassen. Gefordert werden dann nur: „sepzifische Fakten“, die Gründe aufzeigen, weshalb die Daten via Telephonüberwachung „relevantes Material“ für eine strafrechtliche Ermittlung ist.

Ziemlich „luftiger Schutz“, mit größeren gesetzlichen Lücken, die dem Stand der neueren Technik nicht gerecht werden, so Verteidiger der Privatsphäre, die sich obendrein über die laxe Praxis der Gerichte bei der Vergabe von Telefonüberwachungsbefehlen Sorgen machen: Diese Praxis würde „normale, durchschnittliche Amerikaner im täglichen Leben einem neuen Maß an Überprüfungen durch Regierungsbehörden aussetzen.

Besonders heikel werde dies durch die neuere Tracking-Dienste, die Mobilfunkbetreiber für ihre Kunden bereitsstellen. So wurde von Mobilfunkbetreibern viel Geld in das "Enhanced 911-System" investiert. Damit kann der Aufenthaltsort eines Mobiltelephons leicht lokalisiert werden. Das Handy wird zum ständigen Preisgeber des Aufenthaltsortes des Besitzers. Sehr praktisch sind die seit einiger Zeit angebotenen GPS-Dienste für Eltern, die wissen wollen, wo sich ihre Kinder aufhalten. Manche Anbieter stellen den elterlichen Überwachern eine virtuellen Einzäunung („Geofence“) zur Verfügung: Verlässt das Kind den so markierten Raum, so geht automatisch eine SMS an das Mobiltelefon der Eltern. Das Aufspüren, „Tracking“ von Personen, so das Argument der Anwälte für den Schutz der Privatsphäre, wird damit leichter gemacht denn je zuvor.

Most people don't realize it, but they're carrying a tracking device in their pocket. Cellphones can reveal very precise information about your location, and yet legal protections are very much up in the air.

Kevin Bankston, Electronic Frontier Foundation

Einigermaßen beunruhigend ist ein Satz im Bericht der Zeitung, der andeutet, was sich auch bei dem großen Telefonabhörungsskandal zeigte: Dass die Telefonbetreibergesellschaften bisweilen auch freiwillig mitmachen könnten:

Justice Department officials said to the best of their knowledge, agents are obtaining court approval unless the carriers provide the data voluntarily.