Wenn's der öffentlichen Meinungsbildung dient ...

Auch polemische Äußerungen gegen Parteien können vom Grundgesetz gedeckt sein

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Die Ermittlungsverfahren gegen den Nürnberger Oberbürgermeister Ulrich Maly, den Stadtrat Arno Hamburger und den Abgeordneten Thomas Silberhorn wegen "Beleidigung zum Nachteil der NPD" wurden eingestellt. Muss sich nun auch die Empfindlichkeit anderer Parteien an den Grundlagen dieser Entscheidung messen lassen?

Der Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde in Nürnberg, Arno Hamburger, hatte während eines Pressegesprächs zu einer Kundgebung der NPD am 20. August 2007 geäußert, es wäre an der Zeit, „die Verbrecher-Partei endlich zu verbieten“. Hamburger frage sich bei der Gelegenheit mit Blick auf die Parteienfinanzierung, ob man nicht die Zahlung von Steuern einstellen solle, „um diesen Verbrechern nicht noch finanziell behilflich zu sein“. Auf einer Gegenkundgebung zu einer NPD-Veranstaltung in Gräfenberg meinte der Nürnberger Stadtrat am 03. Oktober 2007, er hätte es nie für möglich gehalten, „wieder einmal die braune Pest und die braunen Verbrecher in die Schranken weisen zu müssen“.

Der Landesvorsitzende der bayerischen NPD und ein anders NPD-Mitglied erstattet anlässlich dieser Äußerungen Strafanzeige, woraufhin die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth ein Ermittlungsverfahren einleitete, das sie aber schnell einstellte, weil es sich ihrer Auffassung nach um "Beiträge zur öffentlichen Meinungsbildung" handelt, "die zur Wahrnehmung berechtigter Interessen gemacht wurden." Auch wenn diese Äußerungen "Ehrverletzungen" enthielten seien sie deshalb nicht strafbar.

Die Ermittlungsbehörde befand, Arno Hamburger habe sich "zu den politisch hoch umstrittenen Fragen des NPD-Verbots, der Parteienfinanzierung und der Zulässigkeit von Versammlungen rechter Gruppierungen geäußert." Mit entscheidend war für die Staatsanwaltschaft offenbar auch, dass es sich bei den drei Betroffenen selbst um Politiker handelt: Bei Pressegesprächen und auf Kundgebungen dürfen Meinungskundgaben nach Ansicht der Staatsanwaltschaft "mit plakativen und auch überspitzten Aussagen verdeutlicht werden, da nur auf diese Weise hinreichende Aufmerksamkeit erlangt werden könne." Weil die NPD sich selbst durch regelmäßige Kundgebungen am "Prozess der öffentlichen Meinungsbildung" beteilige habe sie sich "aus eigenem Entschluss den Bedingungen des Meinungskampfes unterworfen."

Solch eine "Wahrnehmung berechtigter Interessen" sah die Staatsanwaltschaft bezüglich der Äußerungen des Oberbürgermeisters Maly und des Bundestagsabgeordneten Thomas Silberhorn vorliegen. Maly war vorgeworfen worden, Mitglieder der NPD auf der genannten Kundgebung in Gräfenberg als „Rechtsextremisten“ bezeichnet zu haben; Silberhorn soll NPD-Mitglieder dort als „Neonazis“ tituliert haben. Maly, so die Staatsanwaltschaft, habe mit der Äußerung "nur zu verstehen gegeben, dass die NPD nach seiner Auffassung dem äußersten rechten politischen Spektrum zuzuordnen sei" und Silberhorn habe "lediglich zum Programm der NPD Stellung genommen und damit einen Beitrag zur politischen Meinungsbildung geleistet".

Dr. Andreas Quentin, Richter am Oberlandesgericht und Leiter der Justizpressestelle, wies ausdrücklich darauf hin, dass allen Entscheidungen eine "Abwägung zwischen dem gegen Beleidigungen geschützten sozialen Geltungsanspruch der Anzeigerstatter und dem Recht der Beschuldigten auf freie Meinungsäußerung zugrunde" liege, wobei die "konkreten Umstände und Bedingungen unter denen die angezeigten Äußerungen gefallen sind, von wesentlicher Bedeutung" waren. "Derartige Abwägungen sind", so Quentin, "auf den Einzelfall bezogen" und damit nicht auf andere Meinungsäußerungen über andere politische Parteien anwendbar.

Konstantin Wecker und Frank Rennicke

Das Ermittlungsverfahren wegen Beleidigung gegen den Musiker Konstantin Wecker, der am 12. November auf einem Konzert in der Erlanger Heinrich-Lades-Halle sein Publikum dazu aufgerufen hatte, die inkriminierte Hamburger-Äußerung in Form des Satzes "Die NPD ist ein braunes Pack und eine Verbrecherbande" im Chor nachzusprechen, läuft dagegen weiter. Einige der Besucher des Wecker-Konzerts, die den Satz nachgesprochen hatten, erstatteten mittlerweile Selbstanzeige. Auch in ihren Fällen ist bisher noch nichts von Einstellungsbeschlüssen bekannt.

Der in der Vergangenheit wegen Betäubungsmitteldelikten inhaftierte Wecker kündigte an, er wolle eine mögliche Strafe lieber im Gefängnis absitzen, anstatt sie zu bezahlen. Ein möglicherweise der Imagepflege und den Einnahmen nicht unbedingt schädliches Vorhaben des Sängers, der seine Karriere maßgeblich auf entsprechende Effekte gründet und einen Großteil seiner medialen Aufmerksamkeit daraus bezieht.

Die Erwägungsgrundlagen der Staatsanwaltschaft deuten darauf hin, dass Weckers Verfahren zumindest nicht mit derselben Begründung eingestellt wird. Er ist kein Politiker und bei seinem Konzert handelte es sich nicht um eine im strengen Sinne politische Veranstaltung. Inwieweit sich die NPD aber durch ihren Rückgriff auch Sänger wie Frank Rennicke oder Jörg Hähnel den staatsanwaltschaftlichen Vorwurf gefallen lassen muss, auch hier die Maßstäbe im Meinungskampf selbst gewählt zu haben, ist unter anderem auch deshalb offen, weil Sänger wie Rennicke bereits wegen bei Konzerten getätigter Äußerungen gerichtlich belangt wurden – allerdings nicht wegen Beleidigung, sondern wegen Volksverhetzung.

Freuen können sich auf jeden Fall nicht nur Politiker der NPD, sondern auch solche von anderen Parteien auf die kommende Vorratsdatenspeicherung. Dann können täglich viele tausend Beleidigungen gegen Parteien, Politiker und politische Ideologien mit Strafverfahren bedacht werden - ohne dass die Verbindungsdaten gelöscht sind, bevor die Sekretärin der Staatsanwaltschaft das Anschreiben aufgesetzt hat. Wer dies nicht will, der muss entweder über ein effektives Verwertungsverbot für die Vorratsdaten oder über eine Herausnahme von Delikten wie Beleidigung aus dem Strafgesetzbuch nachdenken. Im Zivil- und im Ordnungswidrigkeitenrecht wäre noch viel Platz.