Schlecht informierte Staatsmacht

Die Bundesregierung glänzt in ihrer Antwort auf eine Anfrage zu rechtsextremen Aktivitäten im Web mit Mut zur Lücke

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Mindestens einmal im Jahr erscheint bisher eine Mitteilung der Ermittlungsbehörden über die rasant wachsende Anzahl extrem rechter Websites. Dabei wird nicht zwischen lokalen Stammtischen, die die virtuelle Welt erklimmten, und fest strukturierte Gruppen, die ihre Website für Propaganda und zur Anwerbung neuer Mitglieder benutzen, unterschieden. Warum die Bundesregierung und die staatlichen Ermittlungsbehörden nicht mit solideren Zahlen aufwarten, bleibt rätselhaft - immerhin ist das Web öffentlich einseh- und somit zählbar.

Auf präzisere Zahlen der rechtsextremen Präsenz im Web zielt die Kleine Anfrage vom MdB Lothar Bisky (Linkspartei) mit 61 Frageblöcken. In ihrer heute öffentlich gewordenen Antwort dazu bleibt die Bundesregierung auf viele der Fragen Biskys eine Antwort schuldig - entweder übergeht sie sie stillschweigend, gibt an über keine detaillierten Kenntnisse zu verfügen, hält Angaben sehr vage oder will nichts präzisieren, da die "rechtsextremistische Szene aus dieser Veröffentlichung Rückschlüsse auf den Erkenntnisstand der Sicherheitsbehörden ziehen könnte".

Das eröffnet allerdings auch keinen Raum für politische Debatten, die notwendig wären, um Handlungsmöglichkeiten gegen Rechtsextreme unter Berücksichtigung von zu schützenden Grundrechten auszuloten. Angesichts der in letzter Zeit geforderten Gesetzesänderungen verwundert die Antwort der Bundesregierung, dass "die vorhandenen [juristischen] Regelungen zur Bekämpfung von Rechtsextremismus im Internet [...] grundsätzlich ausreichend" seien. Dabei ließ Bundesinnenminister Schäuble noch Anfang Oktober beim Treffen mit EU-Kollegen in Lissabon verlautbaren, er würde EU-Pläne zum Sperren von Internetseiten unterstützen, auf denen Hasspropaganda gegen Israel verbreitet wird.

Von "verfolgungsfreien Räumen im Internet" und der Forderung nach neu zu schaffenden, passenden rechtlichen Rahmenbedingungen sprach auch der BKA-Präsident Jörg Ziercke in seiner Abschlussrede auf der dreitägigen BKA-Herbstagung "Tatort Internet". Im Anschluss an diese Tagung wurden wieder einmal neue Maßnahmen zur Bekämpfung der Kinderpornografie vereinbart. Der "Zentralrat Deutscher Sinti und Roma" bemängelte an der Vereinbarung, dass "volksverhetzende Rassenpropaganda" nicht erfasst sei. Strafanzeigen würden aber regelmäßig innerhalb weniger Tage von den Staatsanwaltschaften mit dem Hinweis eingestellt, dass Täter nicht ermittelt werden könnten, weil eine Steuerung über ausländische Server erfolge.

Die Staatsanwaltschaft Stralsund beklagt Ähnliches, ermittelt aber seit mehreren Monaten gegen die antisemitische Website stoertebeker.net – unter anderem wegen Volksverhetzung. Ein Impressum hat die Site nicht, als mutmaßlicher Herausgeber gilt jedoch Axel Möller. Eine Sperrung der Website bezeichnete der Pressesprecher der Staatsanwaltschaft als ineffektiv.

Das Spiel mit den Zahlen

Für die effektive Auseinandersetzung mit dem Mikrokosmos des Rechtsextremismus im Web bedarf es zum einen Zahlen, und zum anderen Antworten auf eigentlich banale Fragen wie die

  1. nach einer Aufschlüsselung der Websites nach Bundesländern;
  2. wie viele der existierenden rechtsextremen Organisationen, die im Verfassungsschutzbericht 2006 erwähnt werden, überhaupt eine eigene Website haben;
  3. nach einer Aufschlüsselung der Websites nach Kategorien hinsichtlich des Organisationshintergrundes (Clique, 'Kameradschaft', Partei, Bürgerinitiative etc.) oder
  4. der Klassifizierung nach thematischer oder inhaltlicher Ausrichtung.

Diese und andere Fragen hätten sicherlich diese Debatte unterstützt und fundiert. Doch aufgrund fehlender Erfassung seitens der Ermittlungsbehörden bleibt man im Dunklen.

Bekannt dagegen sind der Bundesregierung ca. 1.000 deutschsprachige "Internetpräsenzen", worunter "Homepages, Blogs, Diskussionsforen etc." fallen. Das spiegelt die Zahl des Berichts vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) für 2006 wider.

Die Stelle jugendschutz.net, von den Jugendministern der Bundesländer gegründet, um jugendschutzrelevante Angebote im Internet zu überprüfen und auf die Einhaltung von Jugendschutzbestimmungen zu drängen, spricht für 2006 von 1.200 und aktuell von etwa 1.450 solchen Seiten - davon ordnet sie 178 den NPD-Gliederungen zu und 230 den regional organisierten Neonazi-Kameradschaften. Letztere würden demnach im Vergleich zu 2006 eine Steigerungsrate von rund 44% aufweisen, denn das BfV nennt für 2006 nur rund 160 Kameradschaften!

An realen NPD-Gliederungen (incl. der Jugendorganisation) konnte der Autor 385 ermitteln, wovon 216 (56 %) eine Webpräsenz betreiben - von der einfachen digitalen Visitenkarte bis hin zur umfangreichen Website. Motor der Expansion und Modernisierung der NPD-Websites sind hauptsächlich Wahlen; nach Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern rückt Niedersachsen nun in den Vordergrund der virtuellen Propagandatätigkeiten der NPD. War dort vor einem Jahr nur wenig Veränderung zu beobachten, ist die Website jetzt, wo die Landtagswahl im Januar 2008 vor der Tür steht, technisch runderneuert und modernisiert - mit täglich neuen Verlautbarungen.

Straftaten mit Internetbezug im Bereich der "politisch motivierten Kriminalität (rechts)" haben sich derzeit um die 600 im Jahr eingependelt. 2001 lag ihre Zahl bei 436, im Jahr darauf sank sie auf 325 um 2003 wieder auf 496 anzusteigen. Der Aufwärtstrend hielt in den Jahren 2004 (506) und 2005 (613) an, erst 2006 (590) kehrte sich der Trend wieder um.

Im Ausland liegt die 'Wahrheit'

Ein häufig genannter Aspekt in der nicht durchführbaren Strafverfolgung ist, dass die Dateien auf Servern im Ausland liegen würden. Detaillierte Kenntnisse liegen der Bundesregierung aber nicht vor. Jugendschutz.net stellt im Projektbericht des Jahres 2006 dar, dass die Stelle im Verlauf des Jahres 2006 auf 365 Fälle mit unzulässigen rechtsextremen Inhalten stieß, wovon fast 60% von deutschen Servern aus ins Netz gestellt wurden. 17 Fälle waren kurz nach der Erfassung schon wieder offline. In 328 der verbleibenden 348 Fälle entfaltete jugendschutz.net Aktivitäten im In- und Ausland und erreichten in 275 Fällen (79 %) die Entfernung der unzulässigen Inhalte. Betrachtet man nur die Fälle auf ausländischen Servern ergibt sich für 2006 eine Erfolgsquote von 74%.

Prävention

Verhältnismäßig ausführlicher geht die Bundesregierung auf zwei Fragen zur Prävention ein. Als nötige Maßnahmen nennt sie

  1. Internet-Monitoring zur Früherkennung,
  2. Gegenaktivitäten mit dem Ziel, Rechtsextremen ihre Propaganda-Plattformen zu entziehen,
  3. Internationale Zusammenarbeit wie z.B. im International Network Against Cyberhate (INACH)
  4. und Medienpädagogische Arbeit und Entwicklung von Medienkompetenz.

An konkreten Angeboten nennt die Bundesregierung das seit Anfang 2007 geführte Dossier zum Thema Rechtsextremismus der "Bundeszentrale für politische Bildung", die Kinderwebsite HanisauLand, jugendschutz.net und das bundesweite Programm Vielfalt tut gut - Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie (in dem auch Maßnahmen mit Schwerpunkt Internet gefördert werden). Beispielhaft wird das Projekt "Bop-net, Beratung:Orientierung:Praxis - Nachrichten:Erfahrungen:Teilhabe" des Trägers "Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V." hervorgehoben. Allerdings scheint sich dieses Projekt im Web gut versteckt zu haben.

Auffallend ist, dass die benannte vorrangige Zielgruppe Jugendliche sind und Rechtsextremismus offensichtlich als ein Jugendproblem angesehen wird. Erinnert sei hier an die Studie "Vom Rand zur Mitte" die im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung entstand und Ende 2006 erschien. Im Interview bei Deutschlandradio Kultur betonte der beteiligte Leipziger Forscher Oliver Decker, dass bei "einem Viertel der Deutschen [...] die Erziehung zu demokratischem Denken nichts gebracht" habe und diese sich eine die "Volksgemeinschaft verkörpernde Partei" wünschten. Ob sie die präventiven Angebote im Web für ausreichend hält, lässt die Bundesregierung offen – ebenso, in welcher Höhe in den letzten Jahren Fördergelder vergeben wurden und ob sie die bestehenden Angebote als erfolgreich bewertet.

Sperrige Debatten um Sperrungen

Das Verbreiten von Bombenbauanleitungen ist bei den deutschen Rechtsextremen offenbar eingeschlafen - zumindest hat die Bundesregierung darüber keine Erkenntnisse. Sperrverfügungen gegen rechtsextreme Websites im Jahr 2006 gab es nicht. Die Bundesregierung geht aber davon aus, dass "Accessprovider Hinweisen auf verbotene Internetangebote durch Sperrung der Seiten auch ohne Sperrverfügung nachkommen".

Um eine EU-weite "Harmonisierung" von Straftaten zur Rassismusbekämpfung herbeizuführen, wurde seitens der Bundesregierung innerhalb der vergangenen EU-Ratspräsidentschaft ein Rahmenbeschluß auf den Weg gebracht, der aktuell dem EU-Parlament zur Stellungnahme vorliegt. Bezogen auf das Internet soll im Artikel 9 Abs.2 die gerichtliche Zuständigkeit wie folgt definiert sein:

"Bei Begründung der gerichtlichen Zuständigkeit gemäß Absatz 1 Buchstabe a [Rassistische und fremdenfeindliche Straftaten ganz oder teilweise in seinem Hoheitsgebiet, d.A.] trifft jeder Mitgliedstaat die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass seine gerichtliche Zuständigkeit auch für Fälle gilt, in denen die Handlungen im Rahmen eines Informationssystems begangen werden und

  1. der Täter bei Begehung der Handlungen in seinem Hoheitsgebiet physisch anwesend ist, unabhängig davon, ob die Handlungen Inhalte betreffen, die sich in einem in seinem Hoheitsgebiet betriebenen Informationssystem befinden;
  2. die Handlungen Inhalte betreffen, die sich in einem in seinem Hoheitsgebiet betriebenen Informationssystem befinden, unabhängig davon, ob der Täter bei Begehung der Handlungen in seinem Hoheitsgebiet physisch anwesend ist."

Als zentrales Element bei der Bekämpfung gefährlicher Inhalte im Internet werden Hotlines betrachtet, die seit 1999 auf EU-Ebene mit einem Förderprogramm laufen, derzeit mit dem Titel "Safe Internet Plus 2005-2008" und einem Fördervolumen von 45 Mio. Euro. Voraussichtlich soll es bis 2013 fortgeführt werden und enthält zwei Schwerpunkte:

  1. die Einrichtung von Hotlines, bei denen Nutzer illegale und gefährliche Inhalte melden können.
  2. die Sensibilisierung der Nutzer über "Awareness-Nodes".

Auf europäischer Ebene sind die Hotlines über die Vereinigung INHOPE verknüpft, die "Awareness-Nodes" über INSAFE. In der Bundesrepublik sind Vertreter in diesem Programm die Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia (FSM), der Internet-Verband ECO, jugendschutz.net sowie die Initiative Klicksafe. Darüber, wie viele Hinweise auf rechtsextremistische Straftaten im Internet über die Hotlines hierzulande eingegangen sind, liefert die Bundesregierung keine Zahlen, so dass ein Vergleich zu einem Bericht aus den Jahre 2001 nicht durchgeführt werden kann.

Fazit

Rechtsextreme sind in der Skala des Bösen im Web offensichtlich zurückgefallen und haben im Verhältnis zu Kindersex und vor allem zu Terror für die Forderungsfront der zu verschärfenden Gesetze und Kontrollinstrumente an Bedeutung verloren. So liest sich jedenfalls die Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage "Rechtsextremismus und Neue Medien". Doch Verschärfungen sind nur die eine Seite - die andere sind Prävention und Demokratieförderung. Gemessen an dem, wie das Internet und die darauf aufsetzenden Dienste sich weiterentwickeln, wie junge Generationen damit aufwachsen und ihr politisches Bewusstsein sowie ihr Verständnis von politischer Willensbildung zunehmend aus dem Web und anderen Internet-Diensten beziehen, könnte man annehmen, dass es hier nicht nur wegen der Rechtsextremen reichlich mehr Butter bei die Fische bedarf.