Anfang vom Ende oder Ende vom Anfang?

Unter starkem amerikanischen Druck haben Israelis und Palästinenser in Annapolis eine gemeinsame Erklärung vorgelegt

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Die Erklärung wurde zu Beginn des Treffens (Die Welt zu Gast in Annapolis) von US-Präsident George W. Bush verlesen. Darin verpflichten sich beide Seiten, „dem Blutvergießen, Leiden und den Jahrzehnten des Konflikts zwischen unseren Völkern ein Ende zu bereiten“. Man vereinbare „energische, durchgehende und kontinuierliche Verhandlungen“ und werde versuchen, bis Ende 2008 zu einem Abkommen zu gelangen - also pünktlich zum Ende der Amtszeit von Präsident Bush. Außenministerin Condoleeza Rice hatte den palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas bis kurz vor Gipfel-Beginn dazu gedrängt, das Papier zu unterzeichnen, obwohl es zwar auf die israelische Forderung eingeht, die Umsetzung eines Friedensvertrages vom erfolgreichen Vorgehen der Palästinenser gegen die Extremisten im eigenen Lager abhängig zu machen, aber das palästinensische Drängen auf einen recht genauen Zeitplan außer Acht lässt.

Demonstrierte Freude und Einigkeit zwischen dem palästinensischen Präsidenten Mahmoud, dem US-Präsidenten George Bush und dem israelischen Ministerpräsidenten Ehud Olmert. Bild: Weißes Haus

Dementsprechend gemischt waren die Reaktionen auf die Erklärung auf beiden Seiten am Mittwoch: Während bei den Menschen in Israel und den Palästinensischen Autonomiegebieten zum ersten Mal seit langem so etwas wie Hoffnung auf einen Durchbruch erkennbar war, bewerteten israelische und palästinensische Medien das Papier als eine Mogelpackung, in der eigentlich nichts Neues enthalten ist. Aber dennoch ist man sich einig: Die Verpflichtung zu Verhandlungen ist nun da, und Versagen keine Option – es sei denn, die Verhandler wollen den Friedensgegnern auf beiden Seiten das Feld überlassen, die schon jetzt mit Massendemonstrationen mobil machen.

Was Rice versprochen hat, womit sie gedroht hat - nichts, aber rein gar nichts ist dazu durch die dicken Türen des Zimmers in der für amerikanische Verhältnisse historischen United States Naval Academy in Annapolis, Hauptstadt des Ostküsten-Bundesstaates Maryland, gedrungen, in der sie am Dienstag morgen (Ortszeit) den palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas in letzter Minute dazu bewog, die gemeinsame Erklärung mit dem israelischen Ministerpräsidenten Ehud Olmert zu unterschreiben. Sie habe Abbas einfach nur gesagt, es sei an der Zeit, zu unterschreiben, gibt ein Sprecher des State Department die offizielle Version der Geschichte wieder. =b sie stimmt, kann auch der PR-Mensch nicht sagen: „Ich war nicht dabei.“

Tatsache ist: Kurzfristig hatte die Regierung von US-Präsident George W. Bush am Dienstag am meisten zu verlieren. Sie war es, die den Nahost-Gipfel in Annapolis, dessen Organisation Israelis und Palästinenser gleichermaßen als "chaotisch" und "übers Knie gebrochen" bezeichnen, anberaumte, dazu an die 50 Staaten, Organisationen und Privatpersonen einlud, und damit akute Gefahr lief, am Ende neben Irak, Iran, Nord-Korea und einigen anderen einen weiteren außenpolitischen Fehlschlag angerechnet zu bekommen. „Die Rice hat ein richtig schönes Geschenk bekommen“, ist sich der israelische Journalist Joel Asrieli vom Fernsehsender Kanal Zehn sicher:

Die gemeinsame Erklärung von Annapolis ist ein echter Wohlfühl-Erfolg für sie. Rice ist es, die in den kommenden Monaten wird sagen können, dass sie den Annapolis-Prozess angestoßen hat. Hätte Abbas nicht unterschrieben, wäre der Gipfel unter "Ferner liefen“ in die Geschichte eingegangen.

Dass der palästinensische Präsident das freiwillig getan hat, das halten viele Beobachter für unwahrscheinlich:

Das Dokument träg viel zu sehr die Handschrift der Amerikaner und geht viel zu wenig auf die palästinensischen Interessen ein, als das Abbas so etwas ohne triftigen Grund unterschrieben hätte. Letzten Endes steht da doch genau drin, was Israelis und Amerikaner Monate lang gefordert haben.

Ein Redakteur des staatlichen palästinensischen Fernsehens PBC

Will heißen: Die Umsetzung des Abkommens, das beide Seiten bis Ende 2008, also pünktlich zum Scheiden Bushs aus dem Präsidentenamt, vorlegen wollen, ist von der Umsetzung der ersten Phase der Roadmap to Peace abhängig, während abgesehen vom Versprechen, alles zu unternehmen, um das Abkommen bis Dezember 2008 unter Dach und Fach zu bringen, ein genauer, verpflichtender Zeitplan fehlt, wie in die Palästinenser gefordert hatten, um der eigenen Öffentlichkeit eine Perspektive bieten zu können. Denn dort betrachtet man die Handlungen der nach dem Umsturz im Gazastreifen ohne Beteiligung der radikalislamischen Hamas gebildeten Notstandsregierung im Westjordanland mit einigem Misstrauen (Präsident Abbas ohne Plan).

Und so sind die Reaktionen auf den Gipfel und die gemeinsame Erklärung gemischt: Menschen, die den Gipfel und die Vorbereitungen dafür zuvor stoisch ignoriert hatten, sind am Dienstagabend plötzlich am Abendbrottisch, in der Kneipe oder bei einer Wasserpfeife in verhaltene Euphorie ausgebrochen: „Ganz ehrlich – ich hatte überhaupt nicht damit gerechnet, dass dabei was rauskommt“, sagte zum Beispiel der 42jährige Khalil, Manager eines Restaurants im arabischen Osten der Stadt, und seine Gäste pflichten ihm bei: „Es wurde so viel geredet, dass man am Ende nicht mehr glaubt, dass sich jemals etwas ändern wird.“

Ja, das Dokument hat die Stimmung in der Region zumindest für den Moment gewendet, den Menschen Appetit auf mehr gemacht. In diesem Punkt sind sich die Beobachter der Medien auf beiden Seiten einig – aber ansonsten ist ihr Urteil vernichtend: In der Erklärung stehe überhaupt nichts Neues, kommentierten israelische und palästinensische Medien am Mittwoch morgen, so blutleer sei der Gipfel gewesen, bei dem nicht ein einziger der Streitpunkte beim Namen genannt wurde, dass die religiöse Schas-Partei und die rechtspopulistische Jisrael Beiteinu, die in den vergangenen Tagen offen von ihrem Austritt aus der Regierungskoalition gesprochen hatten, sollte Olmert in Annapolis auch nur das Kleinste Zugeständnis in Kernfragen machen, am Mittwoch strahlend erklärten, für einen Austritt aus der Regierung gäbe es zu der Zeit überhaupt keine Veranlassung. Man werde sich die weiteren Verhandlungen anschauen, die am Mittwoch mit einem Treffen von Olmert, Abbas und Bush im Weißen Haus offiziell begannen und vom 12. Dezember an fortgesetzt werden sollen, und dann das weitere Vorgehen entscheiden.

Eigentlich war es die Veranstaltung von Condoleezza Rice. Bild: Weißes Haus

Chance, Verbalkosmetik oder Stärkung der Extremisten?

Ob die Erklärung am Ende tatsächlich in Ergebnisse, in ein Ende des israelisch-palästinensischen Konflikts münden wird, darüber herrscht in diesen Tagen heftiger Streit unter den Analysten von Medien und Think Tanks: Das Ganze sei nichts Neues, nur reine Verbalkosmetik, die darauf abziele, alle Beteiligten mehr Zeit zu verschaffen, sagen die einen. Eine echte Chance, einen Durchbruch, glauben andere hinter der gemeinsamen Erklärung entdeckt zu haben: Denn auch wenn dieses Dokument nur vage und mit heißer Nadel gestrickt ist, so lege es die beiden Seiten dennoch auf Verhandlungen fest – und das nicht nur die aktuellen Staats- und Regierungschefs, sondern auch, falls sie, aus welchem Grund auch immer, stürzen sollten, deren Nachfolger. „Das Ziel ist klar: Kompromisse in allen Kernfragen, und das so bald wie möglich. Alles wird niemand bekommen können“, erläutert Journalist Asrieli: „Daran werden auch potentielle Nachfolger für Abbas und Olmert nicht vorbei kommen, es sei denn, sie wollen international als Friedensverweigerer da stehen.“

Nur: Ob sich die Hamas oder eine rechte israelische Regierung wirklich darum scheren würden, ist mehr als fraglich – schon jetzt halten sie nahezu täglich Massendemonstrationen ab, bei denen martialische und Menschen verachtende Rhetorik, wie man sie bisher nur vom äußersten rechten Rand kannte, hoffähig zu werden scheint: So wird bei Anti-Annapolis-Demonstrationen der israelischen Rechten zunehmend die Vertreibung von Palästinensern und israelischen Arabern gefordert, „weil es anders niemals Frieden geben wird“. Und ultra-rechte Rabbiner stützen diese Forderungen.

Von den gleichen Rabbinern werden Politiker einmal mehr als „Rodef“ (ein religiöser Begriff, der einen aus der Gesellschaft wegen eines schweren Vergehens ausgeschlossenen, der nach der Lesart mancher Gelehrter getötet werden darf) bezeichnet, weil sie dabei seien, jüdisches Land aufzugeben. Eine ähnliche Atmosphäre herrschte in der Rechten Anfang der 90er Jahre zwischen den Osloer Verträgen und der Ermordung von Regierungschef Jitzhak Rabin – mit bekanntem Ausgang.

Ähnlich aufgeladen ist die Situation auch auf der palästinensischen Seite: Dort gibt es ebenfalls bereits seit Tagen Demonstrationen der Islamisten, die in den Verhandlungen den „Ausverkauf“ Palästinas und den Versuch sehen, die arabische Welt gegen die Palästinenser und den Iran auszuspielen. Vergessen scheinen die Tage nach dem Wahlsieg der Hamas bei den Parlamentswahlen im Januar 2006 und dann später nach dem Beginn des internationalen Boykotts, als politische Führer der Hamas immer wieder andeuteten, und manchmal auch direkt aussprachen, dass man den palästinensischen Staaten in den Grenzen von 1967 errichten wolle. Heute sprechen die gleichen Leute vor Demonstranten in Gaza und anderswo von der Auslöschung Israels.

Nach Ansicht des Kollegen vom palästinensischen Fernsehen, das der mit der Hamas verfeindeten Fatah-Fraktion von Präsident Abbas nahe steht, ist das ein Versuch, Boden im Westjordanland gut zu machen und Abbas das Leben schwer zu machen: Die Palästinensische Autonomiebehörde schafft es nur mit Mühe, die schwer bewaffneten Kampfgruppen im Westjordanland in Schach zu halten. Über den Gazastreifen, der im Juni von der radikalislamischen Hamas erobert wurde, hat sie überhaupt keine Macht mehr: „Die Hamas versucht, die Lage zu eskalieren, um den Israelis zu zeigen, dass Abbas die Situation nicht unter Kontrolle hat, wenn die Hamas nicht will.“ Bereits am Dienstag wurde bei einem Gefecht zwischen palästinensischen Polizisten und Demonstranten ein Anhänger der Hamas getötet; 60 wurden am Tag darauf während der Beerdigung des Getöteten verletzt.

Aber auch Israels Regierung dürfte mit der Umsetzung der Erklärung von Annapolis Schwierigkeiten bekommen: Denn die erste Phase der Friedenskarte sieht nicht nur das palästinensische Vorgehen gegen Extremisten vor, sondern fordert den Stopp von Siedlungsbau und die Räumung von ohne Genehmigung gebauten Außenposten. Dafür allerdings wird sich Israels Regierung mit einigen der Radikalsten unter den Siedlern anlegen müssen, die sich im Moment nicht allein auf Demos und markige Sprüche beschränken, sondern auch kräftig - trotz eines vor zwei Wochen verhängten Verbotes - bauen – und das unter den Augen von Polizei und Militär, die im Vorfeld des Gipfels den Auftrag hatten, sich möglichst zurückzuhalten.

Trotz des Gewaltpotentials gibt sich Olmert entschlossen: Man sei dazu verpflichtet, den eigenen Teil der Roadmap einzuhalten, und das werde man tun, erklärte er in der vergangenen Woche zu Beginn einer Kabinettssitzung. Ein Sprecher bekräftigte die Entschlossenheit am Mittwoch: Sobald wie möglich würden alle Strukturen beseitigt, die in Siedlungen ohne Genehmigung gebaut worden seien.