Kommt der Aufschwung bei den Menschen nicht an?

Die Bundesregierung lobte sich und das Wirtschaftswachstum, die Arbeitnehmer müssen aber mit einem Reallohnverlust rechnen, während das Einkommen aus Vermögen und Gewinnen weiter wächst

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Bundeskanzlerin Merkel, die wegen ihrer Abstinenz in innenpolitischen Fragen immer mehr in die Schusslinie gerät und deren Politikstil den Scheitel des Erfolgs überwunden haben dürfte, hatte sich und ihre Regierung gestern gelobt. In der Generaldebatte des Deutschen Bundestages zum Haushalt 2008 gab die Bundeskanzlerin viele Allgemeinplätze von sich und versuchte, im Einklang mit dem Koalitionspartner SPD, den Aufschwung als ihren Erfolg darzustellen. Auf der Webseite der Bundesregierung wird ihr Beitrag unter dem Titel Der Aufschwung kommt bei den Menschen an summiert.

Merkel verkündete "eine gute Botschaft für Deutschland":

Weniger ältere Arbeitslose, weniger Langzeitarbeitslose, mehr junge Menschen, die eine Chance haben! Der Beschäftigungsaufbau geht – das sagen auch die Unternehmen – 2008 weiter. Weniger Menschen müssen Angst um ihren Job haben. Das heißt, es passiert etwas, was wir in diesem Land brauchen, etwas, das man nicht in Euro und Cent berechnen kann: Der Aufschwung kommt bei den Menschen an, bei immer mehr Menschen. Das ist eine gute Botschaft für Deutschland.

Als ein wichtiger Punkt wird immer wieder die Senkung der Arbeitslosenversicherung genannt. Das ist für viele aber schon die einzige Senkung der Beiträge, die zudem nicht bei allen ankommt. Dass die Lebenskosten steigen und so selbst die kleinen Lohnzuwächse das Realeinkommen der Angestellten nicht steigern, war auch Kritikpunkt der Redebeiträge von der Opposition. Gregor Gysi von der Linken, um nur einen herauszugreifen, hatte so ein leichtes Spiel:

Sie haben den schönen Satz gesagt: "Der Aufschwung kommt bei den Menschen an, bei immer mehr Menschen.“ Offenbar haben Sie nur Kontakt zu 10 Prozent der Menschen (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos) - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Das ist ja Blödsinn!) und zu 90 Prozent der Menschen nicht. Was glauben Sie, was die Rentnerinnen und Rentner denken, wenn sie hören, dass der Aufschwung bei ihnen ankommt? Wir hatten gerade eine Rentensteigerung von 0,5 Prozent und eine Inflation von 3 Prozent. Das macht ein Minus von 2,5 Prozent. Da sind die Rentnerinnen und Rentner aber begeistert von dem Aufschwung! …

Nach dieser neuen OECD-Statistik ist es so, dass wir in Deutschland im Vergleich der 15 alten EU-Mitgliedsländer beim Pro-Kopf-Einkommen auf Platz 11 liegen. Die OECD sagt: Im nächsten Jahr überholt uns Spanien; dann liegen wir auf Platz 12. Darauf sind Sie stolz, Frau Bundeskanzlerin? Das ist wirklich kein Grund, stolz zu sein.

Nach Berechnungen der Hans-Böckler-Stiftung (Erste Reue über Verteilungssünden? - Zur Einkommensentwicklung 2006) bedeutet der Aufschwung für die meisten Arbeitnehmer in diesem Jahr einen Reallohnverlust. Die Konjunktur bringe für das seit Jahren kontinuierliche Absinken der Nettolohnquote keine Entlastung. Mit einem Anteil von unter 40 Prozent am privat verfügbaren Volkseinkommen befindet sie sich auf einem Tiefststand. 1960 lag sie noch in Westdeutschland bei 55,8 Prozent, nach der Wende 1991 noch bei 48 Prozent. Dazu tragen auch steigende Steuern und Preise bei, die von den meist geringen Lohnsteigerungen nicht kompensiert werden. Die durchschnittlichen Tariferhöhungen werden von den Preissteigerungen übertroffen. Zudem sind viele der neuen Stellen eher schlecht bezahlt und wächst besonders der Niedriglohnsektor.

Grafik: Hans-Böckler-Stiftung

Hintergrund ist aber eine fortlaufende, von der Politik beförderte Umverteilung, die sich auch darin spiegelt, dass die Kaufkraft der Arbeitseinkommen nur noch ein Viertel der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage ausmacht, während die Gewinne der Unternehmen weiterhin kontinuierlich wachsen und sich seit 1996 verdoppelt haben. Besonders große Zuwächse gibt es seit 2004. Lagen die Bruttogewinne 2003 noch bei 330 Milliarden Euro, so sind sie 2007 schon auf 472 Milliarden geklettert. Im Gegenzug zum Arbeitseinkommen legte das nur einem geringen Anteil der Bevölkerung zukommende Einkommen aus Gewinnen und Vermögen weiter zu und machte 2006 bereits 33,8 des privat verfügbaren Volkseinkommens aus. Gleichzeitig "verfestigt" sich die Armut.

Dazu trägt die Schere bei den Steuern bei, die nach Angaben der Hans-Böckler-Stiftung zwar ein wenig zugegangen ist, aber immer noch weit offen steht. Die Lohnsteuerbelastung liegt jetzt bei 18,3 Prozent (1960: 6,3 Prozent), die Steuerbelastung auf Gewinnen und Vermögen gerade einmal bei 7,1 Prozent (1960: 20 Prozent). Die Unternehmenssteuerreform wird der Wirtschaft in den nächsten viele Milliarden Euro zukommen lassen, die Abgeltungssteuer bewirkt ähnliches für die Bezieher von Zinsen und Kapitalanlagen. Der WSI-Verteilungsexperten Claus Schäfer weist hier auf eine OECD-Studie vom OKtober hin:

Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist der jüngst wieder durchgeführte internationale Vergleich der OECD (2007), nach dem Deutschland unter den großen Volkswirtschaften bei den Arbeitseinkommen das bei Weitem höchste Belastungsniveau durch direkte Steuern und Sozialabgaben aufweist – bei gleichzeitig niedriger Belastung von Gewinn- und Vermögenseinkommen und der im EU-Vergleich niedrigsten Abgabenquote überhaupt.