Die Gewöhnung ans Schlechte

Grassierender Zynismus und die Tyrannei des Zuschauerratings

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"Leben - das heißt Unterhaltung, Spaß und manchmal einfach nur Zerstreung." Stimmt doch - oder?

Es herrscht die Tyrannei der als Demokratie verbrämten Zuschauerratings und der verschwiemelten unstandesgemäßen Hochzeit aus Information und Entertainment. Das Ergebnis ist ein hässlicher Bastard: Stumpfsinn auf fast allen Kanälen, ein versagendes öffentlich-rechtliches Fernsehen, die Machtübernahme des TV-Proletariats und der totale Verfall des guten Geschmacks. Noch nie war das Niveau des öffentlichen TV-Programms so niedrig, die in den Staatsverträgen geforderte Grundversorgung mit Information und Kultur so miserabel, wie heute (vgl. Die Industrialisierung des Denkens). Das schreiben aber gerne auch die Autoren deutscher Feuilletons. Wenn aber einer dann mal eine Frontalattacke gegen dieses Gegenwartsfernsehen von "arte" bis "Sat 1" fährt, das die Dummen dümmer und die Klugen nicht klüger macht und gegen die nicht zuletzt von diesem verursachte Bildungskatastrophe und Demokratiezerstörung - dann ist es auch wieder nicht richtig.

Wer von PISA reden will, darf vom Fernsehen nicht schweigen. Fernsehen macht dumm. Nicht das Fersehen als solches, aber Fernsehen in seiner jetzigen Form. Es gab einmal eine Zeit, da wurden im Fernsehen Intellektuelle respektiert. Da konnte einer berühmt werden, weil er wußte, wer Nietzsche war und weil er Schiller zitieren konnte. In Quizshows hatte man Erfolg als Experte eines Bereichs aus Kunst, Geschichte oder Wissenschaft. Es war einmal. All das ist vorbei. Heute ist das Fernsehen unser kleiner böser Bruder. Es gehört zur Familie, obwohl wir ihn nicht mögen. Es lügt, klaut Schokolade und guckt den Mädchen unter die Röcke. Und das deutsche Fernsehen ist kein bisschen besser als anderes - auch wenn das die Verantwortlichen gern behaupten. Es ist vielleicht besser als das italienische, aber dazu gehört gar nichts. Es ist aber bestimmt schlechter, als das französische und britische und österreichische und das schweizer.

Man könnte ja nun erwarten, dass zumindest die altbekannten Kritiker der Kulturindustrie von Links weiterhin gegen diese Kakaphonie des laufenden Schwachsinns und das Ende der qualitätsorientierten Medienkultur opponieren.

Aber von wegen: Anbiederung allerorten: Die die eigentlich distanzierte Kritiker des Betriebs sein sollten, outen sich als Fans von "Germany's next topmodel", die von denen man Feingeist erwartet, entpuppen sich passionierte Ego-Shooter-Spieler, unabhängige Journalisten sind zuhause heimliche Sklaven der "Big Brother"-Kulturindustrie. Das private Vergnügen schlägt in der Praxis dann schnell um ins objektive Urteil.

Die fehlende Auseinandersetzung mit dem grassierenden Zynismus

Es geht auch nicht darum, dem Publikum seine legitimen Unterhaltungsbedürfnisse zu nehmen, sondern es geht um die fehlende Auseinandersetzung mit dem grassierenden Zynismus, es geht darum, dass Qualitätsbewusstsein wenn überhaupt an der falschen Stelle eingefordert wird. Wie lassen sich in der durch und durch kulturalisierten Ökonomie der Gegenwart auch noch Unterscheidungen treffen? Aber das Bemühen darum wird neuerdings gern durch Denkfaulheit ersetzt.

Ein Beispiel für letzteres ist der Umgang der sogenannten "seriösen Filmkritik" mit Hans Weingartners neuem Film Free Rainer", der vor zwei Wochen gestartet ist (vgl. Kinderbuchartige Konsenssoße). Je "intellektueller" und "linker", um so stärker und undifferenzierter wird dabei auf Weingartner eingedroschen. Als ob man den Kindern ihr Spielzeug weggenommen hätte, als ob sie irgendeinen Alleinvertretungsanspruch auf Weltrevolution verteidigen müssen. Wenn wir es schon nicht geschafft haben, sollen's die anderen bitte auch nicht versuchen: Die "Jungle World" muss man vielleicht nicht lesen. Aber die taz schon.

Wer wütend ist, hat zwar unrecht. Aber in dem eigentlich sehr noblen Blog "new filmkritik" lässt Autor Simon Rothöhler dann doch schon in der Wortwahl jedes Maß vermissen - "dramaturgische Unfähigkeit, schäbige Typisierungen und peinliche Fassbinderumarmungsgesten … fast nicht mehr beschreibbar" - und schließt "Lange nicht mehr so armseliges deutsches Kino gesehen." Das liegt vielleicht daran, dass er sich noch nie einen Film von Marcus H. Rosenmüller oder Marc Rothemund angesehen hat und nie nach Hof oder aufs Münchner Filmfest geht. Aber es trifft hier dann doch ziemlich weit weg vom Ziel.

"Macht kaputt, was euch kaputt macht!"

Immer wieder wiederholt werden jetzt in Bezug auf Weingartner zwei inhaltliche Einwände:

  1. Der Film benutzt selbst die Mittel, die er kritisiert
  2. Dass Fernsehen dumm ist und dumm macht, wissen wir doch schon lange

Beides ist zwar in sehr allgemeiner Weise richtig. Aber warum ist beides ein Einwand gegen den Film? Als ob jeder Film etwas Neues bringen würde. Als ob tatsächlich alle Menschen sich der manipulativen Wirkung des Fernsehen bewusst wären und nicht viele, die es sind, trotzdem dauernd vor der Glotze hängen und dabei immer dümmer werden, sich in abgeklärte Ironie retten und über das "jugendliche Kleinbürgertum spotten", das Weingartner anspricht. Es gibt aber nicht nur die, die sich viel drauf einbilden gar nicht mehr fernzusehen, sondern auch jene, die fröhlich zugeben, jeden Schrott zu gucken und glauben, dass sie trotzdem intelligent bleiben.

Wenn Fernsehen, wie Weingartner behauptet, Heroin ist, macht es krank und süchtig, und dann genügt es nicht, um die schlimme Wirkung der Droge zu wissen, um von ihr loszukommen. Wer da sagt, Weingartner renne nur offene Türen ein, der erinnert nur an einen Süchtigen, der sagt: "Ich hab das Zeug unter Kontrolle". Da müsste man dann schon erklären, warum Trash-TV nichts Schlimmes ist.

Und der Einwand des künstlerischen Selbstwiderspruchs ist auch etwas dünn. Denn Weingartners Film propagiert nichts anderes, als "Macht kaputt, was euch kaputt macht!" Das ist nur ein Selbstwiderspruch, wenn das Kaputtmachen als solches verboten ist - aber die Zeiten des 70er-Jahre Kinderladens sind ja Gottseidank vorbei. Man darf auch wieder mit Kriegsspielzeug spielen und trotzdem den Wehrdienst verweigern.

Ausgewogenheit und Differenzierung als Vorwand

"I watched your six o'clock news today--it's straight tabloid. You had a minute and a half on that lady riding a bike naked in Central Park. On the other hand, you had less than a minute of hard national and international news. It was all sex, scandal, brutal crimes, sports, children with incurable diseases and lost puppies. So I don't think I'll listen to any protestations of high standards of journalism. You're right down in the street soliciting audiences like the rest of us. All I'm saying is, if you're going to hustle, at least do it right." "Network", 1976

Schauen wir also noch einmal, etwas genauer hin. Keine Frage: Dieser Film ist ein Propagandafilm. Er ist einseitig, und er gibt nicht vor, etwas anderes zu sein, gar so "ausgewogen" auf niedrigstmöglichem Niveau, wie die Programme der Sender, die er attackiert. Er ist genau so ein Propagandafilm, wie Robert Redfords gerade ins Kino gekommenes Politdrama "Von Löwen und Lämmern" (siehe Rom brennt) oder Michael Moores Doku-Satire-Attacken gegen Waffenvernarrtheit, Politikerlügen und desaströse Gesundheitsversorgung in den USA. Nur sollte man in all diesen Fällen nicht von der Einseitigkeit der Darstellung und der Einfachheit der Mittel auf die Schlichtheit der Gedanken kurzschließen.

All diese Filmemacher haben eines gemeinsam: Sie sind wütend. Und haben sie haben es satt, ihre Wut zu verbergen, oder in die kühl-abwägenden Floskeln des Politisch-Korrekten zu gießen. Natürlich ist es wichtig zu differenzieren, Gegenargumente zur eigenen Position angemessen zu würdigen. Aber manchmal ist die Forderung nach Ausgewogenheit und "Differenzierung" eben auch nur ein Vorwand, um alles so zu lassen, wie es ist. Manchmal muss man sich streiten. Und manchmal darf ein Text oder ein Film ein Manifest sein.

Satire aufs quotenfixierte Vulgär-Fernsehen

"Free Rainer – Dein Fernseher lügt", Hans Weingartners neuer, dritter Film nach "Das weiße Rauschen" und "Die fetten Jahre sind vorbei", ist sein bisher politischster Film. Weitgehend frei von Moralin, von dem in "Fette Jahre" noch ärgerlich aufdringlichen Vater-Sohn-Subtext, ist dies eine Medien-Satire und ein Message-Movie, mit dem überaus großen Charme einer klaren Botschaft.

TV-Satiren gab es natürlich schon früher: Sidney Lumets vierfach oscarprämierter "Network" - bis heute ohne Frage der beste Beitrag zum Thema - zeigte einen allein den Zuschauerquoten und dem ökonomischen Diktat der Wirtschaftskonzerne unterworfenen Nachrichtensender, und wirkte 1976 noch wie eine Utopie, heute haben die realen Zustände den Film längst eingeholt. Kaum weniger bitter waren Filme wie Redfords "Quiz Show" (1994) über einen Manipulationsskandal bei TV-Shows.

Schon hier belog der Fernseher sein Publikum. Weingartners Satire nun zielt ins Herz der Trash-TV-Gegenwart, in der das Fernsehen bereits von Soziologen und Medienforschern zum "Unterschichtfernsehen" umgetauft wurde, weil die Menschen, die es vor allem sehen, weit überproportional ungebildet sind, sozial schwach, arbeitslos - wer hätte auch sonst Zeit weit über vier Stunden am Tag vor der Glotze zu hängen - durchschnittlich, was nur bedeutet, dass nicht wenige mehr als doppelt solange gucken.

Genau diese Vielseher aber bestimmen über die Quote auch das Programm viermal so viel, wie jene, die nur eine Stunde hingucken.

Seinen Befund breitet der Film mit geradezu fernsehafter Deutlichkeit aus - aber auch mit flotten, treffenden Sprüchen:

Kein Mensch ist so blöd wie die Shows, die wir produzieren.

Im Zentrum steht Fernsehmanager Rainer (Moritz Bleibtreu), einer jener typischen Macher des quotenfixierten Vulgär-Fernsehens, das seine Zuschauer duzt, und vor allem von Analphabeten, Arbeitslosen und Rentnern mit eingeschränkten Sinneswahrnehmungen geguckt wird. "Free Rainer" beginnt als Mediensatire auf jene Welt und deren Menschen, die Sendungen verantworten, die "Steuern und Stilettos" heißen oder "Hol Dir das Superbaby! Wie es um Deutschlands Männer wirklich bestellt ist": Wie werden billige Realityshows produziert? Wie sind die Macher drauf?

Das zeigt der Film, durch viele gute Beobachtungen aus unserer Wirklichkeit überspitzt und überhöht, ohne dass es je so klamottig, debil oder spießig würde, wie zum Beispiel in Marc Rothemunds "Pornorama". Genau diese fehlende Spießigkeit, der Verzicht auf das ausgeglichene oder politisch korrektes Argumentieren wird auch dazu führen, dass nicht alle Kritiken zum Film gut ausfallen werden. Der Film beschreibt zunächst Rainers Leben und Arbeitsalltag, und gerade jene Passagen sind hervorragend gelungen. Glänzend ist diese mit treffenden Strichen hingeworfene kritische Skizze gegen ranschmeißerisches Programm im sich anbiedernden Durchschnitts-TV, gegen das Deklarieren von Kochsendungen zum Kulturprogramm, gegen Nachrichten, die Sensationalismus statt Information liefern, gegen Klatsch und Trash, gegen gegen Kerners Lächeln und Beckmann Scheinfragen.

"Ein Medium, das Gourmetküche herstellen soll produziert seit Jahren nur Fast Food."

"Free Rainer" zeigt, dass diese TV-Welt nicht nur ihr Publikum, sondern auch die Macher krank macht - trotz Luxus-Penthouse und hübscher Freundin. Doch bei der Satire bleibt der Film hier nicht stehen. Was an Weingartners Ansatz besonders sympathisch ist: Er biedert sich dem Publikum nicht an. Er hält ihm vielmehr den Spiegel vor, zeigt, was es ist, was wir alle, auch Weingartners potentielle Zuschauer, sind: leicht manipulierbare, bequeme, stillose Idioten, und vor allem selber schuld am eigenen Untergang und der Rückkehr der Menschheit ins Höhlendasein. Der bequeme Ausweg in die "Wir-sind-ja-nur-Opfer"-Falle funktioniert hier nicht. Das Fernseh-Publikum ist selbst schuld und immer noch schlimmer als die zynischsten Fernseh-Macher.

Diesem traurigen Befund setzt Weingartner stattdessen die Utopie eines Aufstands von Medienguerilleros und gesellschaftlichen Outsidern entgegen, welche die Quoten manipulieren und damit die Macher an ihrem entscheidenden Schwachpunkt packen: ihrer Quotengläubigkeit - und auf diese Weise zum Bildungsfernsehen bekehren.

Und mit der steigenden Qualität, so die utopische Annahme des Films, beginnen sich die Menschen auch an diese zu gewöhnen, und 3sat und Phönix werden zu Marktführern. Die anthropologische Grundannahme hinter dem Film ist die einer Gewöhnung ans Schlechte. Sie wird gestützt durch die Erfahrung, dass nach Einführung des Privatfernsehens Mitte der 80er Jahre zunächst kaum einer dessen einfältige Sendungformate sehen wollte, die Sender aber an ihnen festhielten und auf Gewöhnung setzten - mit Erfolg. Kann man nun diesen Gewöhnungsprozeß umkehren und solange Qualität zeigen, bis die Leute das sehen wollen?

Diesen Tagtraum von einer Bildungsrevolution in Deutschland mag man naiv finden, weil es in der Wirklichkeit vermutlich ganz so einfach nicht ist. In der Tendenz aber schon, und wenn sich wirklich mal ein paar Dutzend Arbeitslose zusammentäten, die Quotenzähler manipulierten oder ihnen einfach nur den Saft abdrehten, würde unser Fernsehen wieder besser - viel schlechter kann es ja auch nicht werden. Aber um Wirklichkeits-Naturalismus geht es diesem Regisseur sowieso gar nicht. Seine Mittel sind schlicht und holzschnittartig, er hat keine Scheu vor Didaktik - aber das kann nur kritisieren, wer jede Form von Entertainmentkino ablehnt. "Free Rainer" ist ein Feelgood-Movie, aber eines mit einer Botschaft.

ZDF und die ARD produzieren eine schwachsinnige Telenovela nach der anderen. Das ist absurd. Da leisten wir in unserer Gesellschaft ein Medium, das Gourmetküche herstellen soll und das Medium produziert seit Jahren nur Fast Food. Die liberale Presse versagt in der Beurteilung dieses Vorgangs. Es gibt nur eine Lösung, nämlich dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen sich wieder auf seine Kernkompetenzen besinnt und alles andere den Privaten überlässt. Quoten hin oder her. Ich finde, es sollten gar keine Quoten erhoben werden für das Öffentlich-Rechtliche, die wurden erfunden als werbefreie Zone. … [Die Alternative zur Quote ist] zu sagen, wie leisten uns hochwertiges Programm mit fundierten Informationssendungen und anspruchsvoller Unterhaltung und uns ist es egal, ob jemand zuschaut oder nicht.

Hans Weingartner

Das stabilste System aller Zeiten

Weingartner, das ist das eigentlich Provozierende an "Free Rainer", meint es ernst. Genau darum wird er jetzt viele gegen sich haben. Denn Ernst ist der Feind der fernsehsüchtigen Spaßgesellschaft wie der abgeklärten Ironie der Intellektuellen, die schon lange kein Fernsehen mehr gucken und jetzt behaupten, dass Fernsehen dumm mache, wisse ja längst jeder.

Aber auf Kritik an Niveauverlust und Trash-TV ist dieser Film gar nicht zu reduzieren. Er zielt auch auf die Quotengläubigkeit und Quotenfixiertheit der Sender, auch der öffentlich-rechtlichen, in denen Risikoscheu und Masse-statt-Klasse-denken längst ähnlich tonangebend geworden sind. Selbst das "Kleine Fernsehspiel" ist nicht mehr ein Treibhaus, in dem sich Talente geschützt entwickeln und etwas riskieren dürfen. Klar: Tugendwächter sind nicht sympathisch. Und sie haben nicht immer recht. Manchmal aber schon.

Doch Weingartner kommt gar nicht im Gestus des Tugendwächters daher. Jenseits von Kritik weist der Regisseur im Film auch darauf hin, wie diese Quoten überhaupt ermittelt werden: Gerade mal einige tausend Haushalte dienen als Bemessungsgrundlage. Wer hier viel guckt, bestimmt auch viel, "Unterschicht" also; Ausländer, Studenten und Gebührenverweigerer werden dagegen genauso wenig erfasst, wie die TV-Abstinenzler - aber wer nicht guckt, tut das vielleicht nur, weil er das Vorhandene nicht sehen will, nicht etwa weil er Totalverweigerer ist. Und wer guckt hin, wenn die Flimmerkiste an ist? Wer überprüft das Verhalten der Einschalter, wer fragt ab, was im Kopf ankommt?

Im Ergebnis, Weingartner läßt seine Zuschauer darüber nicht im Zweifel, ist das Fernsehen in seiner heutigen Gestalt eine Form des demokratisch verbrämten Faschismus. So darf seine Hauptfigur im Film aus Adolf Hitlers "Mein Kampf" zitieren, um das Gegenwartsfernsehen zu charakterisieren:

Jede Propaganda hat volkstümlich zu sein und ihr geistiges Niveau einzustellen nach der Aufnahmefähigkeit des Beschränktesten unter denen, an die sie sich zu richten gedenkt. … Je bescheidener dann ihr wissenschaftlicher Ballast ist, und je mehr sie ausschließlich auf das Fühlen der Masse Rücksicht nimmt, um so durchschlagender der Erfolg. … Gerade darin liegt die Kunst der Propaganda, dass sie, die gefühlsmäßige Vorstellungswelt der großen Masse begreifend, in psychologisch richtiger Form den Weg zur Aufmerksamkeit und weiter zum Herzen der breiten Masse findet. Die Aufnahmefähigkeit der großen Masse ist nur sehr beschränkt, das Verständnis klein, dafür jedoch die Vergesslichkeit groß. Aus diesen Tatsachen heraus hat sich jede wirkungsvolle Propaganda auf nur sehr wenige Punkte zu beschränken und diese schlagwortartig so lange zu verwerten, bis auch bestimmt der Letzte unter einem solchen Worte das Gewollte sich vorzustellen vermag.

Später erklärt der vom Gregor Bloeb glänzend gespielte TV-Manager Maiwald sein zuschauerverachtendes Selbstverständnis:

"Unsere Zuschauer sind opportunistisches Pack … Die wollen Titten sehen und wissen, wie man Steuern spart."

Und weiter:

"Wir sind die Guten. ... Mit dem Fernsehen haben wir das stabilste System aller Zeiten errichtet. Die Leute gehen zur Arbeit, und der Rest spielt sich hier in der Glotze ab."

Wer würde behaupten, dass dies die Wirklichkeit nicht recht gut trifft? Zu allem Überfluß heißt der Senderchef auch noch Gründgens (wobei man zweifelt, dass jemand unter den Zuschauern überhaupt noch weiß, wer das war).

Manches geht dabei fast unter. Etwa der Auftritt von Mira Beham, die bereits 1996 in ihrem Buch "Kriegstrommeln" beschrieb, wie nach dem Einmarsch des Irak in Kuweit sogar vor der UNO falsche, von einer Werbeagentur trainierte Zeugen gefälschte Augenzeugenberichte von völlig fiktiven "Kriegsgräueln" der Iraker präsentierten - ein maßgeblicher Rechtfertigungsgrund für den Golfkrieg von Bush I. Und ein Beispiel für den Verfall und das Versagen der Öffentlichkeit.

Einen unauflösbaren Widerspruch hat der Film dabei dann aber doch: Weingartner tritt glaubwürdig gegen Manipulation ein, kämpft für ein Fernsehen, das als Demokratieförderer statt als Demokratiezerstörer fungiert. Aber eine freie Gesellschaft ist auch in seinem Film nur durch - gut gemeinte - Manipulation möglich, so dass "Free Rainer" im Ergebnis als ein Statement pro Manipulation wirkt.

Die Angst vor dem Schwierigen

Weingartners Attacke gilt der Angst vor dem Schwierigen, der Furcht vor allem Unausgewogenen, womöglich Elitären, dem scheindemokratischen Argument, dass die Masse immer recht habe und immer bewußt, ausgewogen und kompetent entscheide. Warum soll man Fernsehen eigentlich nicht regulieren?, fragt der Film: Warum soll man dem Diktat der Ökonomie nicht Widerstand entgegensetzen? Man reguliert ja auch Rauchen und Alkohol, und Heroin darf im Supermarkt nicht verkauft werden, obwohl sich das ökonomisch rechnen würde, weil es den Menschen irreparabel körperlich schädigt. Wie, wenn Fernsehen in seiner heutigen Form Heroin für den Kopf wäre? Das ist die Kernfrage dieses Films.

Wir alle hängen an der Nadel einer Bande von korrupten Machern, denen es um Quote und Konzernrendite geht, nicht um ihren Programmauftrag. Wäre es anders, würde man bei arte keine Kochsendungen zeigen, bei der ARD keinen Fußball, menschenverachtender Trash-Talk wäre verboten und es gäbe bei jedem Sender eine vernünftige Kinosendung.

Nun wurde allerdings "Free Rainer" in San Sebastian beim dortigen Filmfestival bereits selbst zu einem Publikumsliebling - was ja nichts Schlechtes ist, aber angesichts seiner Geschichte auch dem Regisseur zu denken geben sollte. Weingartner muss nun vielleicht etwas aufpassen, dass er nicht zum deutschen Michael Moore wird, aber im Prinzip ist das alles schon gut. Der Kampf geht weiter.

There is no America. There is no democracy. There is only IBM, and ITT, and AT & T, and DuPont, Dow, Union Carbide, and Exxon. Those are the nations of the world today! … This company is now in the hands of CCA, the Communication Corporation of America. And when the twelfth largest company in the world controls the most awesome, god-damned propaganda force in the whole godless world, who knows what shit will be peddled for truth on this network. So, you listen to me! Television is not the truth. Television is a goddamned amusement park. Television is a circus. So turn off your television sets. Turn them off and leave them off!

Aus: "Network"

Literatur:

Mira Beham: "Kriegstrommeln. Medien, Krieg und Politik"; dtv, München 1996 (Stark erweiterte und aktualisierte Neuausgabe 2006) Hans Weingartner: "Free Rainer. Ein Filmbuch"; Suhrkamp, Frankfurt 2007