Nach US-Recht sind Entführungen von Ausländern legal

Schäuble sucht neue Lösungen für neue Bedrohungen, hat keine Probleme mit Guantanamo und plädiert für einen "transatlantischen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts"

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Bundesinnenminister Schäuble hatte am Wochenende zu einem Treffen geladen, um über die "Entwicklungen im Bereich des internationalen Terrorismus zu reflektieren". Gekommen waren die Kollegen des Ministers aus Polen, Frankreich, Großbritannien, Italien, Spanien, und den USA sowie Wissenschaftler und Experten. Schäuble betonte erneut: " Rechtsstaatlichkeit und effektiver Schutz der Bevölkerung sind keine Gegensätze.“

Schäuble betonte, dass man diskutiert habe, wie man enger zur Bekämpfung des grenzübergreifenden Terrorismus zusammen arbeiten und den terroristischen Netzwerken auch als Netzwerke gegenübertreten könne. Hier war dann die Rede von einer besseren Zusammenarbeit der Geheimdienste und solchen Werkzeugen wie das der Online-Durchsuchung, schließlich ist, so Schäuble, "das wichtigste Instrument im Kampf gegen den Terrorismus die Information".

Man müsse auch einen "transatlantischen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" schaffen. Zudem sei ein einheitlicher Rechtsrahmen erforderlich. Erleichtert werden soll die Abschiebung von islamistischen Terrorverdächtigen – im Jargon: "terrorismusverdächtige Drittstaatsangehörige". Notwendig seien auch Maßnahmen zur Kontrolle und Überwachung von "Ausländern, die nicht sofort abgeschoben werden können", wie es in der Mitteilung des Bundesinnenministeriums heißt.

Und hier fällt dann doch ein Satz von Schäuble, der sich ja auch schon für das Nachdenken über gezielte Tötungen, die Verwertung von erfolterten Geständnissen oder die unbefristete Inhaftierung von Verdächtigen stark gemacht hat (Schäuble und der Rechtsstaat). Dass Schäuble der amerikanische Umgang mit Terrorverdächtigen, deren Behandlung als rechtsfreie feindliche Kämpfer und die Möglichkeit der Inhaftierung nahe steht, hat er schon des öfteren zu erkennen gegeben und spricht sich auch für eine noch engere Kooperation mit den USA aus. Immerhin hatte Bundeskanzlerin Merkel ja einmal leise die US-Regierung wegen Guantanamo gerügt (Es gibt nicht nur Guantanamo). Schäuble findet auch das offenbar ganz in Ordnung, zumindest so lange es im "transatlantischen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" keine Alternativen gibt. Auf der Pressekonferenz sagte er, wie man dies auf einem Video der Tagesschau hören kann:

Diejenigen, die sagen, Guantanamo ist nicht die richtige Lösung, müssen auch bereit sein, darüber nachzudenken, was die bessere Lösung ist, denn allein mit der Kritik ist kein Problem gelöst.

Wäre denn Schäuble auch mit der Praxis der USA einverstanden, mutmaßliche Verdächtige auf der ganzen Welt ohne Anklage und jenseits allen Rechts im Ausland zu entführen und in irgendwelche Geheimgefängnisse zu stecken oder eben in Guantanamo unterzubringen? Dumm nur, dass Deutschland keine exterritorialen Ländereien wie Guantanamo und auch kaum Stützpunkte im Ausland besitzt.

Recht still ist es um das von der Bush-Regierung eingeführte rechtliche Willkürsystem geworden, das zwar von den Gerichten in den USA ein wenig eingeschränkt wurde, aber weiterhin besteht. Schäuble spricht immer davon, dass Schutz vor Terrorismus durch Überwachung, Prävention und andere Maßnahmen die Rechtsstaatlichkeit nicht tangiere ("Es wird nie zur 'uneingeschränkten' Anwendung freiheitsbeschränkter Maßnahmen kommen"). Gleichzeitig hieß es auch jetzt wieder, dass man mit dem normalen Strafrecht nicht auskomme und nach "neuen Lösungen" suchen müsse.

"It goes back to bounty hunting days in the 1860s"

Zu den neuen Lösungen gehört eben auch, wie dies ein Vertreter der US-Regierung dem Berufungsgericht in London versicherte, dass die USA laut dem Obersten Gericht der USA das Recht hätten, britische Bürger zu entführen, wenn sie strafrechtlich in den USA verfolgt werden. Dabei geht es nicht um Terrorverdächtige, sondern um "normale" Kriminelle, beispielsweise auch Geschäftsleute, Manager oder Banker. "Rendition", die Verschleppung, kann also nicht nur nach Guantanamo, sondern auch in Gefängnisse auf dem US-amerikanischen Territorium stattfinden.

Wie die Times berichtet, hat der britische Anwalt Alun Jones dies im Auftrag der US-Regierung dem Gericht erklärt Das muss nicht nur Briten beunruhigen, sondern letztlich alle Nicht-Amerikaner, die in den USA verdächtigt werden, eine Straftat begangen zu haben. Angeblich würden die Amerikaner dieses Recht seit dem 19. Jahrhundert für sich in Anspruch zu nehmen, um auch durch Kopfgeldjäger Verdächtige der Gerechtigkeit – also der amerikanischen – zuzuführen. Der Wilde Westen setzt sich also ins 21. Jahrhundert fort. Von "neuen Lösungen" ist wenig zu bemerken. So erklärt sich, warum die Bush-Regierung die massenhafte Anwendung von "renditions" und "extraordinary renditions" ganz unbedenklich finden konnte und sie auch nie davon distanziert hat. Nachträglich leuchtet so auch der Satz von US-Präsident ein, der am 17.9.2001 sagte:

I want justice. There's an old poster out West that said: 'wanted, dead or alive.'

Nun betrifft es also auch Geschäftsleute. Zuvor mussten Ausländer aber auch schon damit rechnen, in den USA als Terrorverdächtige festgenommen und in ein Gefängnis ins Ausland verschleppt werden zu können (Vorsicht bei Zwischenlandung in den USA). Das Verschwindenlassen von Personen ist ganz legal in den USA (Ausländer in den USA können zu feindlichen Kämpfern erklärt werden), auch wenn es um bloße Verdächtigungen ohne irgendwelche handfesten Nachweise geht (Eine Person ohne Weiteres verschwinden lassen). Das mussten zahlreiche Menschen erleben, beispielsweise auch der Deutsche al-Masri.

Im konkreten Fall geht es um das Ehepaar Tollman, ausgerechnet auch noch mit der ehemaligen Regierungschefin Thatcher befreundet. Sie sind der Steuerhinterziehung und des Betrugs angeklagt. Bislang ist die Auslieferung gescheitert. Die USA hatten bereits eine Entführung von Gavin Tollman, einem Neffen, 2005 in Kanada versucht und Polizisten gebeten, diesen festzunehmen und ihn an der Grenze zu übergeben. Ein kanadischer Richter ist eingeschritten und hat dies verhindert.

Jones erklärte dem Gericht, dass kein US-Gericht es als illegal betrachten darf, wenn ein Angeklagter im Ausland entführt und in die USA zurück gebracht würde. Einer der britischen Richter fragte, ob Jones dies emsthaft vertrete. Die Antwort von Jones: "Das ist US-Gesetz." Und es scheint eben selbst dann zu gelten, wenn es zwischen den USA und einem Land ein Auslieferungsabkommen gibt.

Die Bundesregierung und Bundesinnenminister Schäuble, der für eine engere Kooperation mit den USA eintritt, müssten nun einmal deutlich machen, welchen "transatlantischen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" sie schaffen wollen und ob die "neuen Lösungen" die alten Praktiken des Wilden Westens sein sollen.